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Text

„ODOENVEY
I. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus: Kölnsche Volksken
2 1. 1911
vomien
Uums Ohrich
E
Diesen Erfolg hatte dieses Schauspiel nicht zum wenigsten der
neuerwachten Vortiebe des Publikums für unser biedermeierisches
SWelt und Wissen 1
All=Wien jener Tage zu verdanken; freilich auch der Zugehörig¬
keit des Verfassers zu jener unsere Theater beherrschenden Clique!
Denn welcher sonstige Antor hätte es gewagt, dem Burgtheater
Wiener Brief.“
ein über vier volle Stunden dauerndes, unzählige Verwand¬
+ Wien, 29.Dez.1910.
lungen enthaltendes und das gesamte Personal des Burgtheaters
Neunzehnhundertzehn wird sobald nicht vergessen sein; denn
bis auf den Altmeister Baumeister in Anspruch nehmendes Stück
#### war für uns Wiener ein doppelt erinnerungswurdiges Jahr:
einzureichen?! Ein Schnitzter durfte es sich erlauben und war
des Erfolges in der tonangebenden Presse im voraus sicher, was
Dr. Lueger ging, im Frühjahr dahin, und im Dezember ward
auch für das Burgtheater auf die Entscheidung trotz der un¬
sein größtes Weik, die zweite Kgiser Franz Joseph=Wasserleitung,
geheuren Kosten des Stuckes entscheidend wirken mußte. Das
zur Vollendung7 Zudem war es unsetts) Kaisers 80. Lebens¬
Drama selbst enthalt manches Schöne und Wirkungsvolle im
jahr, das Jahr der großen-Zersten“ internationalen Jagd¬
ausstellung, und nochdazan das Kometenjahr. Hat man vom
Detail, aber als Gesamtes wird auch der gnädigste Richter es
Kometen auch luenig' söder nichts gesehen, um so mehr wurde
nicht als Meisterweik oder auch nur hervorragend bezeichnen.
Aber es spielt in Alt=Wien, läßt uns Alt=Wien neu erleben —
von ihm geschriben und geredst. Und das bleibt haften.
Unsere Kinder werden die Ereigussse des Jahres unseren Enkeln
und das mußte ziehen und zog! Ob es außer Wien den gleichen
und diese unseren Urenkeln erzählen, und vielleicht feiert man
Erfolg haben wird, davon wird ein endgüttiges Urteil über die
im Jahre 2010 die Renaissance des Jahres 1910 — des
Vorzüge desselben abhängen. Für den neuerwachten Geschmack
Lueger-, Kaiser= und Kometenjahres — ebenso literarisch und
an Wien zeugt es endlich dar wir sogar eine Alt=Wiener
künstlerisch wie wir jetzt im Jahre 1910 sozusagen eine Wieder¬
[Operette Srhhiten Hob
geburt des Jahres 1810 feiern — ebenfolls auf literarischem“
und künstlerischem Gebiete. Bisher lebte das Alt=Wien dieses¬
Jahres 1810, d. i. Alt=Wien in der Zeit Beethovens, Schuberis,
der Biedermeierzeit, während die damalige Weltgeschichte von
Napoleon des Großen bezwingender Erscheinung beherrscht war,
höchstens im Gedächtnis einiger Wiener Geschichtsforscher,
Wiener Sammler und Liebhaber von Alt=Wiener Kunst fort;
jenes All=Wien, das noch von Mauern umgürtel, von den
grünen lachenden Glacis umsäumt, mit Basteien und Türmen be¬
krönt war und sich eigentlich nur auf die innere Stadt
beschränkte. Nun aber — im Jahre 1910 — auf einmal, plötz¬
lich interessiert sich alles wieder für dies altmodische Wien! Die
Bauten und namentlich deren Verzierungen greifen wieder vielfach
auf Motive dieser Zeit zurück, namentlich die Villen in der
Umgebung: wie oft schmückt das Blumenkränzlein der Bieder¬
meierzeit wieder ihre Fronten und Firsten! Die Herren von
heute lieben wieder den die Taille eng einschneidenden Rock und
die bunte Weste, und unsere holden jungen Wienerinnen
flechten sich hinter die zart geröteten Oehrlein wieder
die noch vor kurzem viel belächelten „Schneckerln",
wie wir sie an den Bildern der Urgroßmütter sehen.
Vornehme Bürgersleute und Adelige geben viel Geld aus, um
sich in den Besitz von Alt=Wiener Möbeln und vor allem von
Alt=Wiener Porzellau zu setzen! Bei den Versteigerungen von
Gemälden und Stichen, die uns an Orte, Bauten, gesellschaftliche
Zustände und berühmte Persönlichkeiten dieses Alt=Wien erinnern,
werden höchste Summen erzielt, so neulich staunenswert hohe
Preise bei der Versteigerung des Nachlasses unseres Mitter¬
wurzer, des großen Schauspielers des Burgtheaters und un¬
zähliger anderer Bühnen, auf denen er als niemals Ruhe und
Rast findender Gast Triumphe geseiert hat, während der Nachlaß
eines Kainz in Berlin weit geringere Preise erzielte. Aber vor
allem erlebten wir in diesem Jahre in unserer Literatur eine
förmliche Rückströmung des Geschmacks wie der Erinnerung ins
Jahr 1810! Wir erhielten mehrere Alt=Wiener Romane, Otto
Hauser hat sogar einen Roman Alt=Wien belitelt, und gerade
in ihm finden wir nicht bloß ein getreues Gemalde der Orte,
Verhättnisse und Persönlichkeiten der Zeit um 1810 herum,
sondern vor allem eine sich hingebende Vertiefung und daraus
entspringend eine eindrucksvolle Erschöpfung des Geistes jener
Zeit, wo man so romantisch weich dachte, fühlte und lebte und
darum von der Kraftnaine und den Gewalttaten eines Napoleon
so überwältigt war. Alt=Wiener Romane lieferten uns außer
Hauser noch Bartsch und Haus Hart, und der Junge Medardus
Artur Schnitzters hat uns Alt-Wien, oder wenigstens Ausschnitte
aus dem po#itischen und kutnreiten Leben in Wien im Jahre 1810
auf die Buhne gestellt. Und dieses Stück wurde nicht nur das
Senschionsune des Burzthentesgsondern auch desse Kasseustück.
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