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Pe. Der junge undandus
box 27/1

mmegeesnannn
schen des Uebergangs durch ihr stärkstes und tiefstes
Gemälde einer neuwerdenden Kultur ist doch ein
P
Erleben hinführt, diese überwache Furcht vor den
Schicksal von verständlicher Tragik hineingestellt:
„Der junge Medardus.“
Geheimnissen der eigenen Natur, vor der Wesenlosig¬
das Leben eines Aufrechten, der dieser Zeit des Aus¬
keit entglittener und der Formlosigkeit herankom¬
(Dramatische Historie von Arthur Schnitzler.9—Zur
biegens und Zersplitterns nicht mehr angehören kann.
mender Dinge, die wechselnden Spannungen der
Dann gibt es, soweit der Blick den Bestand des
heutigen Erstaufführung am Neuen Deutschen Theater.)
Ich=Angst und der All=Angst sind seit jeher Schnitz¬
heutigen Theaters umfaßt, nur etwa noch den
lers liebste dramatische Athmosphäre gewesen; auch
Dramatische Historie: das bringt gleich die
„Florian Geyer“, die Geschichte eines Niedersinkens
wenn er, wie in den meisten seiner Einakter, wissend
Vorstellung von mächtig aufgerollten Ereignissen,
ohne Halt, überwältigend in ihrer kargen Sachlich¬
darüber hinzulächeln scheint. In dieser Lüft gedeiht
von Kämpfen, Erschütterungen, Wandlungen, die
keit, unpathetisch und unparteiisch, tief mitleidvoll
nun freilich statt leidenschaftlicher Geberden der un¬
eine Welt für sich zu bedeuten haben. Eine epische
und tief pessimistisch: hauptmannisch.
erbittlich weitertreibende Gedanke; statt blühender
Welt, die von der Willkür eines Einfalls oder vom
Dramatische Historie: die Königsdramen, der
Anschaulichkeit die wissentlich gepflegte Form; statt
was vielleicht nur
Zwang einer Begabung
Götz, der Florian Geyer — es sind verzweifelt ge¬
sachlicher Treue die elegante Ueberlegenheit.
zweierlei Ausdruck für eine Sache sein mag —
fährliche Maße, selbst für einen, der auch sonst nicht
Von derart feinen und feinsten Dingen ist nun
die Form der Szene verlockt worden ist. Das Gesetz
mit Geringem gemessen wird. Dennoch; das Maß
des Dramas, nach dem sich alle Handlung und Be¬
„Der junge Medardus“ Szene für Szene voll. Und
liegt in der Sache selbst und wird von ihr gefor¬
ziehung der Menschen um eine innerste Idee zu kri¬
es ist wunderbar, zu sehen, wie dieses völlig andere
dert. Wer die hochhinstrebende Festigkeit des Dramas
stallisieren hat, ist für dramatische Gebilde dieser
Stimmungsmaterial von der geistigen und techni¬
in den lockeren Fluß einer Historie umzugießen
schen Meisterschaft des Dichters zu Formen gebracht
Art gelockert. Statt sinnvoll geschärfter Gegensätze
wagt, der muß für den bedeutenden Verlust Bedeu¬
ein üppiges Nebeneinander; Fülle statt Regelmäßig¬
wird, die sich in Ausdruck und Rhythmus jenen
tendes zu ersetzen haben. Shakespeare, Goethe, Ger¬
keit, Reichtum statt Schlagkraft. Die höchste Gabe
großen Beispielen dramatischer Historien vielfach
hart Hauptmann: Genie der leidenschaftlichen Be¬
des Dramatikers, ins Zentrum der Ereignisse einen
annähern. Aber gerade diese Annäherung der Form
wegung, Genie der sinnfälligen Spiegelung, Genie
hellen Sinn zu setzen, so daß sie durch und durch
offenbart auf das schärffte wieder den unüberbrück¬
der sachlichen Darlegung; da ist überreicher Ersatz.
leuchtend werden und ihre Bedeutung für uns alle
baren Abstand im Gehalt der Stimmungen dort und
Bei ihnen steht nun Arthur Schnitzler, dessen beste
offenbaren, wird da überwältigt von dem starken
da; es ist eben der Abstand zwischen inniger Lust
Gaben, Delikatesse und Versonnenheit, jenem leiden¬
Trieb des Dramatikers, die Szene zu erfüllen, seine
an der Wirklichkeit und ratloser Angst vor der
schaftlichen, finnlichen oder sachgetreuen Wesen ge¬
Menschen aus eigener Macht zu formen und zu lenken.
Wirklichkeit.
rade zu widersprechen scheinen. Er kommt aus einer
Auf Shakespeare geht die bedeutendste Erinne¬
Annäherung der Form: das große Ereignis
Kultur, die das Feine weit inniger liebt, als das
rung zurück; Schicksal und Taten seiner Heinriche,
wird an der Neugierde und Verblüffung der kleinen
Starke; und er will eine Kultur, so fein und so
seiner Richarde wälzen sich gigantisch übereinander
Menschen abgespiegelt; die Unpersönlichen, die Be¬
stark zugleich, daß die menschlichen Instinkte, vom
her, ungeheure Trümmer aus dem Urgestein des
deutungslosen, — die Leute laufen zusammen, und
Bewußtsein entlarvt, einander offen ins Gesicht sehen
Menschlich=Allzumenschlichen, maßlos und gesetzlos,
aus den Interjektionen ihres Unverstands ergeben
können, ohne allzusehr zu erschauern. Denn heute
durch nichts beglaubigt, als durch die Gewalt ihres
sich doch die sicheren Zeichen dessen, was ist und
können sie das noch nicht, und den Menschen fällt
Daseins, das uns die Schrecken blutiger Läuste her¬
wird. Schnitzler zeigt die denkwürdigen Wiener Tage
ein klägliches Zittern an, wenn er einmal, vom Blitz
überspiegelt. Der nächsie Gedanke zielt gleich auf
von 1809, das Anrücken und die Gegenwart Napo¬
eines starken Augenblicks, vom Licht einer beson¬
Goethes „Götz“, diese genialste Eindeutschung shake¬
leons. Zeigt sie im aufgeregten Hin und Her von
deren Stimmung oder von der Verwegenheit eines
spearischer Anreize; in das behaglich hingebreitete
zu Ende gedachten Gedankens sein Innerstes jäh= allerlei Volk, im Schwatz der Straßen und der
* Das Buch ist bei S. Fischer, Berlin, erschienen.lings erhellt sieht. Dieses Zittern, das solche Men= Stuben, in Gruppierungen und Aufläufen. Ins