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Dichtung die Gestalten und Begebnisse umwittert
sind, und damit das, was ihren eigentlichen Reichtum
ausmacht.
Also bescheiden wir uns mit einer möglichst knappen
Stizzierung der Dichtungs=Elemente!
Hätte Schnitzler die Wesensart seines Werkes scharf
präzisieren wollen, so hätte er es eine ironisch=roman¬
tische Historie nennen müssen. Mit starker Betonung
des Ironischen, denn das Ironische gibt dem Roman¬
tischen die eigentliche Würze, und beides vereinigt sich
zu einer scharfen Kritik am Historischen.
Der junge Medardus Klähr, der Sohn eines
Wiener Buchhändlers, dem in kriegerischer Zeit ein
unheldisches Ende beschieden ward, hat das Zeug
zum Helden. Als solcher wird er gewiß in dem
großen Befreiungskampfe gegen den Vonaparte ge¬
waltige Taten vollführen. Doch welch romantisch¬
ironisches Spiel treibt das Schicksal mit ihm! Da
er, die Brust geschwellt von ungestümem Tatendrang,
ins Feld rücken will, legt man ihm die Leiche der
Schwester in den Weg. Mit einem Abkömmling des
umherirrenden ehemaligen Herzogs von Valois hat sie's
gehalten, und beide haben nun einen freiwilligen Tod
in der Donau gefunden. Was ist dem Medardus jetzt
der Bonaparte und das Schicksal Wiens und das
Schicksal Europas! Er selbst und die Ehre oder
Schande seiner Familie — darum kreist nun all'
sein Denken. Und mit der unheimlichen Klarheit des
Phantasten arbeitet er den jünglingshaften Plan der
Rache Auge um Auge aus: Hat ein Valois meine
Schwester ins Unglück gebracht, so entehre ich seine
Schwester und schreie ihre Schande in
alle
Welt. Der Romantiker Schnitzler läßt
ihn
erst
noch ein Duell
mit einem Verehrer
des
Entehrungsobjektes
bestehen, läßt
ihn
dabei eine Wunde dicht am Herzen empfangen,
und
mit dieser schier tödlichen Wunde muß nun der ro¬
mantische Rächer Medardus über die Mauer in den
Schloßgarten bis zur Prinzeisin vordringen. Bei der
Vollführung des ersten Teiles seines Racheplanés
leistet ihm das Objekt nicht gar sonderlichen Wider¬
stand; aber es hat die Macht, die Vollendung des
Planes zu hemmen: Medardus reflektiert, fast
ein
Beseligter: „Es eilt nicht so sehr,
warum soll
man nicht ein paar wunderbare Nächte haben!“ Wie
dem auszugsbereiten Kriegshelden, so fällt dem sein Nache¬
werk Betreibenden die Ironie des Schicksals grinsend
in den Arm. Und immer wieder krenzt sie seinen
Weg, den sie zudem immer krauser und verworrener
gestaltet. Der kein Kriegsheld werden konnte und
auch bei der Ausführung des privaten Racheplanes
Hemmungen erleidet, denkt nun an eine Ermordung
Napoleons. Doch wie lenkt ihn das Schicksal! Nicht
den Kaiser trifft sein Dolch, sondern die Prinzessin
von Valois, die des Kaisers Geliebte gespielt
hat, — gespielt hat, denn in Wahrheit wollte
sie an ihm handeln wie Indith am Holofernes. So
türmt sich die Ironie zum Gipfel der Groteske, da
der, der dem Kaiser das Leben rauben wollte, zum
Retter seines Lebens wird. Den Dank, den ihm
der Kaiser deswegen überbringen läßt, vermag
Medardus, völlig zusammengebrochen unter der
Wucht aller Vereitelungen seines Wollens, nicht mehr
zu ertragen; er enthüllt seine wahren Absichten und wird
nandrechtlich erschossen, — „dieses Krieges letzter und
seltsamster Held“, wie ihn der französische General nennt.
Aber des Dichters wahre Absicht sollen wir aus dem
Wort erkennen, das des seltsam Umgetriebenen
treuester Freund, der philosophische Buchhändler
Etzelt, über ihn spricht: Gott wollte ihn zum Helden
schaffen, der Lauf der Dinge machte einen Narren
aus ihm.“
Der Lauf der Dinge, soweit sie den Medarbus
betressen, durchzieht die Dichtung nicht in voller
Sichtbarkeit. Oft wird er von Details überwuchert,
die den Dichter auf längere Strecken offenbar stärker
fesseln. Nur zweierlei sei davon wenigstens an¬
gedeutet. Einmal das Treiben der französischen
Emigranten, die mit einer neben Napoleons
Realität sich beinahe komisch ausnehmenden Phantastik
die Wiederauflichtung des französischen Königtums
verfolgen, und dann die Charakteristik des Wiener
Volkstums, bei der Schnitzler so wenig schön¬
färberisch verfahren ist, daß man es den Wienern
nachfühlen kann,
wenn
sie
sich nicht allzu
gern in diesem Spiegel beschauen.
Aber wir
brauchen von der Höhe der Volkserhebung unserer
Tage doch nicht verächtlich auf diese braven
Spießbürger hinabzuschauen. Denn es ist jn das
blendende Meteor Vonaparte, das sie fasziniert, und 1:
in Schnitzlers bilderreicher Historie sich szenisch voll
ausleben können. Aber er hat es nicht ganz in dem er¬
warteten Maße
getan. Die szenisch ergiebigste
Szene auf der Burgbastei während der Belage¬
rung hat er sich ganz geschenkt; wie es scheint, in
der auch sonst hervortretenden Absicht, das Volk
nicht so stark im Vordergrunde agieren zu lassen,
wie es dem Dichter beliebt hat. Leider geht dadurch
dem Werke viel von dem Besten, dem eigentlich
Schnitzlerschen verloren, wenn auch auf der anderen
Seite die Medardus=Handlung in ihrer Verknüpfung mit
der Valois=Angelegenheit somit an Klarheit und
Straffheit gewinnt. Nur schade wiederum, daß die
Schultern des Herrn Theodor Loos zu schwach er¬
scheinen, sie zu tragen. Dieser Künstler hat zu wenig von
dem Stoff, aus dem Helden geformt werden; er gibt die
Entgleisungen eines Dekadenten, nicht die eines durch
widrige Schicksale verpfuschten heroischen Romantikers.
Alle anderen Rollen, an sich nicht sonderlich be¬
deutungsvoll, hatten durch Streichungen noch
mancherlei gelitten. Am sinnfälligsten hob sich noch
die Prinzessin heraus, zumal Lina Lossen ihr die
Konturen eines vornehmen Bildes gab.
Des
ferneren waren in dem köpfereichen Ensembie
die Damen Grüning, v
Emmering,
Santen, Dumcke=Carlsen, die Herren
Abel, Salfner Herzfeld, Landa mit Erfolg
bemüht, ihre mehr oder minder lohnenden Aufgaben
zweckentsprechend zu lösen, und Kayßler spielte den
französischen General als getreues Abbild des Impe¬
rators.
Immerhin, so große Mühe allerseits aufgewendet
wurde, —
wer diese Schnitzlersche Dichtung in ihrem
ganzen Reichium genießen, zum Bewußtsein ihrer
vielen Einzelschönheiten gelangen will, wird gut tun,
das Buch zur Hand zu nehmen.
Eitung: Berliner Volks-Zeitung
(Morgen-Ausgabe)
Adresse: Berlin
Datum:
2 5. Okt. 1914
„Der junge Medardus.“
Arthur Schnitzters dramatische Historie im Lessing=Theater.
Allzuviel Rücksichtnahme ist ungesund. Und es ist nicht gut, ein
Theaterstück daraufhin zu prüfen, ob es ganz oder nur teilweise
in die Stimmung dieser Kriegstage paßt. Die Hauptsache wird immer
die Theaterwirkung bleiben. Diese Wirkung blieb gestern im Lessing¬
Theater aus. Ein feines Lesestück wird in der Bühnenhelle auch dann
nicht gewinnen, wenn stellenweise Trommeln und Pfeifen erklingen
und „draußen“ wirklich Krieg ist.
Arthur Schnitzlers Szenenreihe „Der junge Medardus“
war der große Burgtheatererfolg des Vorjahres. Der Wiener Er¬
folg müßte sich allein aus dem reizvollen Lokalkolorit erklären, wenn
eben nicht hinzukäme, daß Arthur Schnitzler noch immer der un¬
erreichte Künder der Alt= und Neuwiener Schwermut, der Lässigkeit
des Oesterreichertums ist und der Sänger des süßen Mädels und
des Anatol. Heute ist das alles anders geworden. Anatol kämpft auf
den Schlachtfeldern Galiziens, und das süße Mädel strickt, wenn es
nicht von allen guten Geistern verlassen ist, dauerhafte Strümpfe
und Pulswärmer. Das Blut von Feinden und Freunden wird ver¬
spritzt ... da wollen wir keine müde Stimmung aufkommen lassen
und die lässigen Gestalten belächeln, die hier auf den Festungswällen
des Wiens vom Jahre 1809 von Bonaparte entwaffnet werden.
In vierzehn Bildern entwickelt der Dichter die Wandlungen des
Helden und läßt im Hintergrunde die Wandlungen der Stadt er¬
blicken, deren Wesen zu Medardus gehört wie er zu ihr. Man könnte
allerlei moralische Tendenzen aus dieser Historie herausschälen, deren
Unglück es ist, daß sie zum Drama nicht emporzusteigen vermag.
Ein Dichter, dessen Werke wir alle schätzen und lieben, hat diesen
Medardus gestaltet, den der Tod der Schwester aus der selbst¬
gewählten Lebensbahn schleudert. François von Valois hat diese
Schwester in den Tod gerissen. Sie starben beide, aber Medardus
fühlt sich zum Rächer berufen. Das ist der starke, dramatische
Konflikt, der sich in seinen, kunstvollen Bildern auflöst. Die Auf¬
lösung ist so vollkommen, daß man vom Wiedereinsetzen Der Handlung
überrascht ist. Stille, gütige Worte werden gesprochen. Vor den
Fenstern der Altwiener Stuben dehnen sich die Bergketten und Wälle
der alten Stadt. Wie alt sind die jungen Menschen dieses Stückes! ...
Unser Empfinden aber, aufgerüttelt und bestimmt von den flammenden
Zeichen unserer Zeit, sträubt sich gegen einen müden Helden und gegen
die Geschehnisse seiner Zeit.
Unter den sechzig Darstellern herrschte große Uneinigkeit in der
Behandlung des Wiener Dialekts. Neben ausgezeichneten Leistungen,
wie die von Ilka Grüning, Lina Lossen, Traute Carlsen,
Max Landa, Alfred Abel und Friedrich Kayßler standen
Darbietungen, die nicht zum Lessing=Theater gehören. Den Medardus
gab Theodor Loos; die Aufgabe wäre ihm leichter geworden,
wenn er darauf verzichtete hätte, ein Anatol in Uniform zu sein.
Einige Szenen bezeugten allerdings aufs neue die starke Begabung
des jungen Darstellers. Barnowskys Regie ließ sich keine Stei¬
gerungen entgehen und bot schöne Bühnenbilder, dämpft; aber nicht
selten an unrechter Stelle.
M. Sch.