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22. Derjunge-Medandus
GLSTN. EZ-ZN,
Der Reichsbote
Berlin
2b.Okt 1914
Theater und Musik.
Alf. A.
Das Lessing=Theater brachte am
Sonnabend
Arthur
Schnitzlers dramatische
Historie „Der junge Medardus“ zur Erstauf¬
führungs Es war die erste wirkliche Literatur¬
Premiexe herkömmlichen Stiles in der begonne¬
nen Shielzeit und das Theater dementsprechend
stark besucht. In 4½ Stunden von 7 bis ½12“
fünfzehn Bilder, und trotz dieses Aufwandes von
Zeit und anstrengender Bühnenarbeit kein rech¬
ter durchschlagender Erfolg. Es lag weniger am
Stoff, über den noch morgen zu reden sein wird,
als an seiner schwächlichen Bearbeitung. Schnitz¬
lers Werk ist kein Drama, sondern ein Roman
in 15 Kapiteln, dessen Dialoge szenisch vorgetragen
werden. Er spielt in der Zeit Napoleons um
1809, die Schlacht von Aspern wird in ihm ge¬
schlagen und die Reflexe des Kriegstreibens spie¬
geln sich in den bunten Bildern aus dem Wiener
Volksleben wider. Der junge Medardus ist der
Sohn einer Buchhändlerswitwe, deren Tochter
von dem Prinzen von Valois geliebt wird, wäh¬
rend Medardus sich mit der Schwester des schon
im zweiten Bild mit Selbstmord endenden Prin¬
zen einläßt und sie im vorletzten Bild ersticht. Der
kriegerische Hintergrund des Ganzen, die Uni¬
formen der österreichischen Soldaten und die Er¬
bitterung auf Napoleon schufen Beziehungen
zwischen dem vor zwei Jahren geschriebenen
Stück und der Gegenwart, die der Dichter natür¬
lich bei der Niederschrift gar nicht in Erwägung
hatte ziehen können. Aber sie taten gestern ihre
Schuldigkeit und hielten wohl hauptsächlich das
Interesse des Publikums fest, trotz all' der Hem¬
mungen, die des Dichters novellistische Art zu
plaudern und darzustellen dem dramatischen Fluß
der Vorgänge wie ihrer Geschlossenheit und Wir¬
kung bereitete. Auch die gute Besetzung aller
wichtigeren Rollen durch erste Kräfte und die
bildkräftige farbenreiche Inszenierung halfen mit,
die sinkende Anteilnahme an der romanhaften
Handlung bis zum Schlusse hin immer wieder zu
beleben. Mämentlich die militärische Exekution
an dem Bküder der Buchhändlerin, der im
15. Bild standrechtlich erschossen wird, obwohl er
ganz unschuldig ist, wirkte noch einmal kräftig
aufrüttelnd und erregend auf die von ähnlichen
Zeitvorgängen ja auwöchentlich hörenden und
lesenden Zuhörer, und so fehlte es auch nicht nach
den einzelnen Bildern an mehr oder minder leb¬
haftem Beifall.
0
viel fur heute in später
Nachtstunde von dem Verlauf des ersten großen
box 27/2
Weaterabends der Winterzeit, leter den n.
halt des Stückes und die Leistungen der Dar¬
steller, von denen namentlich Theodor Loos
als Medardus, Ilka Grüning als Frau
Klähr und Lina Lossen als Prinzessin von
dabte berorachoben zu werden derdienen,
norgen noch ein weiteres Wort.
Zeitung: Berliner Neueste Nachrich
(Morgen-Ausgabe)
Adresse: Berlin
25. Okt. 1914
Datum:
Theater und Musik.
„Der junge Medardus“.
Dramatische Historie von Arthur Schnitzler.)
Erstaufführung im Lessingtheater.
Es war eine Zumutung! 4½ Stunden! 14 Bilder und
59 Personen. Viele Köche verderben den Brei. Es war ein
plostischer und redender Film. Nach einem vorzüglich ge¬
lungenen, anheimelnden echt Wiener Biedermeierakt übelstes
Schauerdrama, dessen Entwicklung wiegerzugeben, ebenso un¬
möglich wie überflüssig ist. Mit einer richtig gehenden Be¬
erdigung eines Liebespaares auf einem richtiggehenden Kirch¬
hof begannen die Geschmacklosigkeiten, die sich von Akt zu Akt
steigerten und nur hin und wieder durch schemenhafte Ansätze
zum wirklichen Drama gemildert wurden. Die Geschichte des
Buchhändlers Palm, der auf Befehl Napoleons ermordet
wurde, hat den Grundton der mit dilettantenhafter Weit¬
schweifigkeit aufgebauten „dramatischen Historie“
die
keine ist, gegeben. Was hätte daraus gemacht wer¬
den können. O, Arthur
Schnitzler, trotz Bundes¬
genossenschaft und Nibelungentreue muß es gesagt sein,
daß „der junge Medardurs“ so ziemlich das stümperhafteste
Stück ist, das je unter literarischer Flagge dem Berliner Publi¬
kum vorgesetzt wurde. Das patriotische Beiwerk allein, das vom
Jahre 1809 zum Jahre 1914 eine Brücke schlägt, berechtigte
Direktor Barnowsky noch lange nicht, uns ein derartiges Un¬
ding zuzumuten. Wenn nicht Ilka Grüning ergreifende
Herzenstöne gefunden und Friedrich Kayßler dem Ge¬
neral Rapp die typischen Züge eines napoleonischen Feldsolda¬
ten verliehen hätte, wäre der Abend ganz unerträglich gewesen.
Tenn Loos in der Titelrolle war so unnatürlich und ge¬
schraubt wie möglich und Lina Lossens großes Können
mußte vor der Unmöglichkeit der ihr zugemuteten Rolle die
Waffen strecken.
M. Sch.