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22junge Medandus
Ausschnitt aus:
Wiärise.
Horgon Zostung.
vom:
7
„Der junge Medardus.“
Man schreibt uns aus Berliin: Der späte Schluß der Vor¬
stellung, es war ein Viertel vor Mütternacht, als ich das Lessing¬
Theater verließ, hinderte mich daran, Ihnen auf telephonischem
Wege mitzuteilen, daß Arthur: Schnitzlers dramatische
Historie „Der junge Medarbutz“ geregennnich ihrer Berliner
Erstaufführung nur einen Achtungserfolg errang. Und dieser
hatte sich erst gegen den Schluß des Werkes eingestellt. Zwölf Bilder
(„Der junge Medardus“ verfügt über vierzehn!) waren vorüber¬
gegangen, ohne daß das Publikum Anlaß zu besonderen Beifalls¬
lundgebungen sfunden hätte. Und über manchem Bild war der
Vorhang nied tgeglitten, ohne daß sich auch nur eine Hand gerührt
hatte. Man sah den Dichter, den man auch hier hoch schätzt und
liebt, in einer Parkettloge sitzen, man richtete seine Theaterglätrf
mit Spannung auf den noch immer schönen Kopf, aber selbst die An¬
wesenheit des Autors konnte die Berliner nicht in jene begeisterte
Stimmung versetzen, die man allgemein als Ergebnis der Wirkung
des „Medardus“ erwartet hatte. Ehrlich: man wußte hierzulande
mit dieser Historie, die im Jahre 1809 auf Wiener Boden spielt,
nicht viel anzufangen, man stieß sich an der Zerrissenheit der
Handlung, die, nicht reich und fesselnd genug, sich auf vierzehn
Bilder verteilt und — vor allem — man konnte sich nicht mit dem
Charakter des Helden befreunden, der in jedem Luftzug hin= und
herschwankt. Ich glaube wohl zu wissen, was Arthur Schnitzler mit
seinem Medardus geben wollte. Von den Berlinern aber konnte
man nicht verlangen, daß sie mit all dem Tun und Lassen, das aus
Medardus' Herz und Seele entspringt, einverstanden waren, und daß
sie die Psychologie dieser Gestalt, von der der Dichter selbst sagt,
daß sie „seltsam" sei, verstanden. Dazu kommt noch, daß die
Romantik, von der die dramatische Historie stark beseelt ist, in
Spreeathen arg in Verruf geraten ist. Man belächelt das Springen
feuriger Liebhaber über Gartenmauern genau so, wie das Schleichen
durch Gartenpforten. Dazu kommt, daß man im „jungen Medardus“.
nicht einmal mit reiner Romantik, das heißt mit einem Stil zu
rechnen hat, sondern daß sich in ihm mehrere Stilarten in sprung¬
hafter Abwechselung vorfinden.
Für mich persönlich zeigt die Kunst Schnitzlers, die mit dem
„Medardus“ in stofflicher Hinsicht einen Mißgriff getan haben mag,
zwei Höhepunkte. Sie erscheint in ihrer ganzen Kristallklarheit in
zwei Episoden: in dem uralten Herrn, der Generationen überlebt
und noch sein Ururenkelkind zu Grab geleitet und in dem Arzt
Büdinger, der nur ein paar Worte zu sagen hat, in diesen paar
Worten aber einen ganzen Menschen und sein Schicksal niederlegt
Ich möchte fast sagen, daß um dieser zwei Episoden willen der ganze
„Medardus“ seine Berechtigung als Werk eines bedeutenden Dichtere
erwiesen hat.
Aus dem überreichen Personenverzeichnis mögen die Namen der
Herren Loos (Medardus), Salfner (Eschenbacher), Abei (Etzelt),
Herzfeld (Berger), Gottowt (Büdinger), Götz(uralter Herr), der
Damen Grüning (Frau Klär) und Lossen (Heiene v. Valois)
verdientermaßen Erwähnung finden. Ueberwältigende schau¬
spielerische Leistungen waren nicht zu verzeichnen. Die ich nannte
hatten den Wunsch, ihr Bestes zu bieten.
Leo Heller

Ausschnitt sü: gemeine Zeitung
Borlin.
vom: 270K11973
ah. Im Lessingtheater erlebte am Sonnabend „Der junge
eine dramatische Historie von Arthur
Medardus“.
Schnitzler, seine Erstaufführung, die dem anwesenden Dichter von
##verkanftem Hause einen Achtungserfolg eintrug. Daß es nicht mehr
war, liegt teils an der ermüdenden Länge des Stuckes (fast fünfstündige
Spieldauer bei 14 maligem Szenenwechsel), teils an der Zersplitterung
des großen Grundgedankens und dem kraftlosen Hin= und Herschwanken
des Titelhelden zwischen starkem Wollen und schwächlichem Versagen.
ig wurde
Eine straffere, zielbewußtere Führung der Hau
bei der
bei dem weltge, hichtlichen Hintergrunde der Zeit
em
liebevollen Kleinmalerei Wiener Bürgerleber
den
Erfolge begegne sein. Denn an sich ist das
zwischen Vatenandspflicht Familienrache und
überreich an dramatischer Wucht nur eben allzu
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verästelt. Seinen Achtungserfolg hat der Dichter
sche
verdanken der liebevollen Hingebung, mit der sich die
bildern
Bühne seines Werkes annahm. In wunderhübschen
kam alles Trauliche und Gemütliche Alt=Wiener Volkslebens, alle
Poesie junger Liebe und nächtlicher Schloßgartenromantik und alle
kriegerische Kraft der Soldatenszenen zu glücklichstem Ausdruck.
Unter den 60 Rollen des Stückes, bei dem die Spielleitung selbst
den meisten Nebenrollen dankenswerte Sorgfalt gewidmet hatte,
ragten außer dem Titelhelden (Theodor Loos), der freilich diese halt¬
lose, verschwommene Figur nicht lebenswahr genug gestalten konnte,
als besonders gutgelungene Verkörperungen ihrer Aufgaben besonders
hervor: Heinz Salfner in der prachtvollen Type des kernfesten,
aufrechten Bürgers Eschenbacher, Ilka Grünberg, die rührend schön
die schicksalverfolgte Mutter darstellte, Alfred Abel (Buchhändler
Karl Etzelt), Lina Lossen (die adelsstolze, dämonische Helene von
Valois), Friedrich Kayßler's männlich bedeutender General Rapp
und Kurt Goetz in seiner glänzenden Charakterisierung des „uralten
Herrn : Das Publikum rang sich trotz stellenweise auftretenden Pro¬
testes zu Beifall durch, für den der Dichter durch mehrfaches Erscheinen
an der Rampe dankte.