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M
2 Deundardus
hkranken= besesen ist, von ihm die Tat als Lohn der Liebesnächte
erwartet.
Noch weiter geht die tragische Ironie. Medardus steht,
Was jedoch
den Dolch im Gewande, an der Treppe von Schönbrunn,
Kkunst des
des Kaisers gewärtig. Da kommt Helene, von der jetzt
mGlacis,
das Gerücht geht, sie sei Napoleons Geliebte. Medardus
pfeln, der
von Raserei gepackt, ersticht seine Feindin statt seines!
mung des
rettet
Volksfeindes und
da ist der Schicksalswitz
Wirklich¬
damit ihm, dem Bonaparte, das Leben. Helene hatte,
on Schön¬
wie sich herausstellt, selbständiger Weise auch ein eigenes
gie hinzu,
Attentat vor.
ppen, mit
Diesen Hohn, als das Zerrbild eines Schutzengels
Umschlag¬
für den großen Widersacher dazustehen, erträgt Medardus
ürgerlichen
nicht. Er weist alle Gnaden ab, erklärt seinen Entschluß,
itlers In¬
nie von seiner Bedrohung des Kaisers abzulassen und
itteln ge¬
wählt so, mit der Verurteilung zur Kugel, die reinliche
ingen, die
Sicherheit des Todes gegenüber der bemakelnden, narren¬
erum, auf
den Ungewißheit des Lebens.
Strategie,
Vielleicht wollte Schnitzler hier zeigen wie in einer
erkappten
edlen, aber schwachen Natur die große, reine Miene der
acher und
Seele sich zur Grimasse verstellt, so daß der Mensch schau¬
mühsamer
dernd vor sich selber flieht. Des Medardus Freund,
wo etwas
der Buchhändler Etzelt, der philosophische Kopf des Stückes,
drückt das so aus: „Gott wollte ihn zum Helden schaffen,
die dünn¬
der Lauf der Dinge machte einen Narren aus ihm.“
Sphäre zu
Von Schnitzler, dem scharfsinnigen und zugleich
ter, wenn
schöpferisch darstellenden Psychologen hätte man freilich
trakabinett
verlangt, daß er nicht nur obenhin den „Lauf der Dinge“
sten.
zeigt, sondern daß er uns einversetzt und zum Miterlebnis
das „weite
der inneren Vorgänge seines „halben Helden“ macht. Dies
ngsthema,
bleibt aus.
istorischen
Noch schlimmer wirds, daß die Ankurblerin der Schick¬
inde, voll
salsmaschinerie, die Prinzessin, kein Wesen, sondern eine
mit Makulaturfetzen ausgestopfte Theaterschlange ist. Mani
Recht und
schämt sich für Schnitzler, den Frauenmann, dieses pa¬
ach gerad¬
vierenen Zwitters gezeugt vom Federhalter im Schmink¬
durch¬
topf. Lina Lossens Innerlichkeit war zu schade dafür.
rborgenen
Der Darsteller des Medardus, Herr Loos, wand sich
Haß und
krampfhaft durch die Vorgänge seiner Rolle, brachte aber!
vertriebene
nicht mehr zu Tage, als eben „halt“ seinen Schwächling,
in Wien,
und der kann nicht fünf Stunden fesseln.
it ihr ins
„Nebenfiguren sind immer das beste“ sagt mal Fantane.
in diesem
So auch hier: Ilka Grünings tätig wirkende Wiener“
MNotiv des
Hausfrau, gut bürgerlich, aus der dann der elementare
Aufschrei des geängsteten Muttergeschöpfes erschütternd
hrdus, der
herausbricht. Heinz Salfners ehrenfester Meister
it seinem
Enchenbacher, der aufrechte, wartkarge Märtyrer; Kay߬
freiwillig
lers General Rapp, kantig „sehnig, in stählerner Form,
nten und
ein Charakter, wie er ihn gern gibt, mit scharf=unerbittlichem
Und nicht
Ton und schmalen Lippen. Damals napoleonisch, heute
ger. Denn
essin um¬
würde man sagen: Potsdam.
Und Landas Herzog von Valois, das Royalisten¬
finden als
Phantom, glich im Soleil=Antlitz trotz blinder Augen mit
auert ihm
ezerfleischt Puderperücke, Brokat und Delphinkrückstock einem, dem
schweifigen Goldrahmen entstiegenen Ahnenbild aus den
Korridoren von Versailles.
Felix Poppenberg.-
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Zeitung: Leipziger Neueste Nachrichten
Adresse: Leipzig
Datum:
Berliner Theater. Im Lessingtheater erlebte, wie uns
unser F=Mitarbeiter schreibt, am Sonnabend Schnitzlers
„Junger Medardus“ seine Erstaufführung, nachdem das Werk
in Wien bereits vor einigen Jahren über die Bühne ging. Man be¬
greift, was zu der Wahl dieser dramatischen Historie reizte. Es ist
nicht nur das Aktuelle des kriegerischen Milieus von 1809, in dem sich
die handelnden Menschen bewegen: es ist vor allem die Durchdringung
von Skepsis und Gefühl, von Glaubenswollen und Zweifelnmüssen, die
den Begriff Schnitzler ausmacht und in der sich ein wenig auch die
Aufgabe spiegelt, die die Auseinandersetzung mit dem Starken, Ein¬
deutigen, Ursprünglichen unserer kriegerischen Tage dem heutigen In¬
tellekinalismus gestellt hat. In dem „Jungen Medardus“ lebt etwas
von den Problemen, vor die das abstrakte Geschlecht von 1914 durch den
Krieg gestellt it; weil wir aber beiden, dem Krieg wie der Zeit vor
ihm noch zu nähe sind und viel mehr geneigt, uns hinreißen zu lassen
als zu betrachten, so kann gerade solch ein Stück wie dieses seine besten
Qualitäten heute nicht entsalten. Ganz abgesehen davon, daß Schnitzler
hier nicht, wie in seinen modernen Stücken, eine psychologische Novelle,
sondern einen Roman dialogisiert hat; daß ihm die Kraft zu wirklicher¬
Gestaltung einer einfach starken Zeit fehlt — und daß bei einer Auf¬
führung wegen des Umfangs der Dichtung immer nur ein Torso auf
die Bühne kommen kann. Man hatte im Lessingtheater — not¬
gedrungen — die Handlung herausgeschält und die Wiener Bilder und
Bildchen fallen gelassen; so trat die Psychologie noch mehr hervor, die
Zeit noch mehr zurück. Es lebt viel Feines in diesem Spiel mit Liebe
und Tod, mit Schicksak und Willen, Heldentum und Skeptik — alle
diese Dinge sind uns jetzt aber in Wirklichkeit so nahe auf den Leib
gerückt, daß uns ihr Spiegelbild nicht treffen will. Für die Aufführung
hatte Barnowsky alles getan, was er nur tun konnte: Theodor Loos;
als Medardus gab alles Problematische, Schnitzlerische fein und diskret,
während er die heldischen Möglichkeiten umging; Lina Lossen, schön:
und klar wie immer, brachte in die aristokratische Dekadenz der
Helene einen seltsam eigenen Reiz — und neben ihnen setzten sich Ilha
Grüning, Kayßler, Salfner, Abel und andere für Wien und Schnitzler
ein. So ging das Publikum trotz aller Längen mit und Schnitzler, der
der Aufführung beiwohnte, konnte für den freundlichen Beifall danken.