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bos 2772
22. Derjunge Medandus
Zeitung: Weser-Zeitung
Adresse: Bremen
13.5
Datum:

keine höheren Werte kennt als das liebe Ich, als und ihn auch dann noch in Ehren begnad
Berliner Theater.
egoistische Gelüste und Eitelkeiten. Wenn man ihnl er gesteht, wie und aus welchen Gründen
im ersten Akt so daherkommen sieht, in seiner
schehen. Aber Medardus will keine Gn
Von Dr. Friedrich Düsel.
schmucken Uniform, den jungen Herrn Medardus will den Tod. Den nutzlosen Tod vor den
Berlin, Anfäng November.
Klähr, ist man wohl einen Augenblick versucht, an
läufen der Füsiliere. Mehr war ihm
„Der junge Medardus“ von Arthur Schnitzler.
Theodor Körner zu denken: aber bald schämt man
schieden.
Kotzebues „Deutsche Kleinstädter" und Louis
sich des Vergleiches: von entschlossenem Tatenmut
Gerade diese webrlose Resignation,
Angelys „Fest der Handwerker“. — „Der große und
lebt gar nichts in diesem Zweifler und Zauderer;
Stücke noch in der vorigen Spielzeit den R
der kleine Klaus“ von Gustaf af Geiserstam.
was ihn in flackernde Bewegung setzt, ist nicht mehr
sondrer echtmenschlicher Seelenkenntnis ein
Als das Lessingtheater sich jetzt, fünf Jahre nach
als eine romantisch erhitzte Ehr= und Abenteuersucht,
hätte, macht es jetzt vor dem Richterstuh
der Entstehung des Stückes, zu der Aufführung des die von dem Dichter mehr willkürlich als charakter¬
starken Wirklichkeit stumpf. Sein Wert sch
„Jungen Medardus“ von Arthur Schnitzler ent=treu und überzeugend mit verwegenen Erfindungen
nur noch von kulturhistorischer Bedeutung,
schloß, hegte es wohl die Hoffnung, der Weltkrieg und Verwickelungen genährt wird. Das erste ist,
sich ein feines lyrisches Aroma, wie Lave
werde dem im Wien des Jahres 1809 spielenden daß Medardurs sich aus einem Vaterlands¬
aus alten Familientruhen, mischt. Sehr hü
Drama unter die Arme greifen und ihm die verteidiger in einen Rächer seiner Schwester ver-namentlich die zarten Bilderbogen
Wirkung ganz verschaffen, die das Gedenkjahr ihm wandelt, die gemeinsam mit dem ihr nicht be=malerei, die das freundnachbarliche Bür
nur halb gegönnt hatte. Aber darin täuschte es sich. stimmten Liebhaber in die Donau gegangen ist.
aus dem Wien von 1809 illustrieren:
Ein Krieg von der Größe des gegenwärtigen stellt Mit diesem Liebhaber hat es eine eigne Bewandt=lheimischen werden sie durch ihre liebevolle,
Maßstäbe des Gefühls und der Gesinnung auf, die nis: es ist ein Prinz, ein Valois, und er hat eine
dringliche Echtheit noch mehr entzücken
allem was sich vorher, ohne Kenntnis dieses Er= Schwester, die ganz erfüllt ist von dem königlichen
Fremden. Aber das sind Friedensschönhe
lebnisses, aus der Kriegssphäre seinen Stoff geholt Schicksal und Beruf ihres entthronten Geschlechts.
einem Kriegsstück; sie sind „fehl am Orte“,
hat, höchst gefährlich werden müssen. Es geit Das hindert sie freilich nicht — wie andre Gegen¬
Zeit soll erst wieder kommen.
solchen Stücken wie der Semele, die an der Er-sätze, so liegen bei Schnitzler auch Stolz und
Doch wie? Sehnt sich die vom Schlack
scheinung des Göttervaters dahinschmelzen, muß, Schamlosigkeit, Eis und Feuer eng beieinander
—.
ermüdete Welt nicht gerade jetzt nach
sobald er sich ihr in seiner unverhüllten Macht und sich dem jungen Medardus, dem Beleidiger ihres! Friedensseligkeiten aus den Zeiten da de
Gewalt zeigt. Den Erinnerungsfeiern der Be=Stolzes, nachdem eine Kugel ihres ebenbürtigen
vater die Großmutter nahm? Manchmal w
freiungskriege, wie wir sie noch vor fünf Jahren Verlobten im Duell ihn nur gestreift hat, in dirnen¬
scheinen. Der Zuschauer des gewaltige
auffaßten, mag Schnitzlers Stück einigermaßen hafter Anwandlung hinzugeben. Medardus hat
theaters, das sich Tag um Tag vor uns
genügt haben; aber wie sich schon im Sommer 1913 seine ganz besonderen Absichten bei dem Liebesspiel: möchte es abends einmal, wenn die m
unser gleichsam von der Ahnung des Kommenden
wenn die Prinzessin ganz die Seine geworden, will Schatten sich auf die Erde senken, ganz st
aufgerütteltes Verantwortungsgefühl gegen Haupt¬
er hingehen und ihre Schande vor aller Welt aus=Ifriedlich haben. Da erinnert er sich an Ko
manns Breslauer Festspiel auflehnte so erst recht
schreien. Aber auch dazu bringt er's nicht, teilsl und seine Pfahlbürgerkomödien, die der lic
jetzt das Bewußtsein der Wirklichkeit gegen eine weil er selbst zu sehr zum Sklaven seiner erotischen von Weimar in seiner großen Güte und L
undramatische Bilderfolge,
nirgends in den Gefühle wird, teils weil er sich von ihr betrogen neben den Werken eines Goethe und
innern Kreis der Kriegsstimmung hineindringt, ge-glaubt. Denn bald wird ruchbar, daß die stolze duldete, ja sogar zu „Lieblingen des Puh
schweige denn an ihren Herzpunkt rührt.
Hélene von Valois als Geliebte Napoleons inwerden ließ, und wenn die Kammerspi
Was begibt sich denn eigentlich? Der junge Schönbrunn bei ihm ein= und ausgeht. Nun könnte Deutschen Theaters sich und den Schauspiel
verwöhnte Wiener Buchhändlerssohn, nach dem die
Medardus ja vielleicht auf einem Wege zu seinen Erholung die „Deutschen Kleinst
fünf Akto nebst Vorspiel getauft sind, zieht gleich
beiden Zielen gelangen, aber kaum daß er die aufführen, so wird der Deutsche von heute,
andern Standes= und Altersgenossen die Uniform Treulose erstochen, muß er erfahren, daß sie gerade Welt gegen sich in Wafsen sieht für ein
an, singt Vaterlandslieder und schwört dem sein
auf dem besten Wege war, den Tyrannen und Biedermeier mit den Biedermeiern, Phili
Vaterland bedrohenden Napoleon Tod und Ver-Räuber ihres Thrones, eine moderne Judith, in
den Philistern. Und er lacht und kreischt n
derben — damit aber ist sein patriotischer Herois-] Liebesarmen zu erwürgen So hat er im Gegen=aus vollem Halse, wenn Lucie K
mus auch schon erschöpft. Was sonst noch geschiebt teil verhindert ver der Zweck und Inhalt seines übrigen nicht einmal die ergötzlichste unter
und es ist sehr viel Abenteuerliches, Romanti=] Lebens sein sollte Napoleon, dem er Tod und Ver=] komischen Alten“ zu denen sich mit p
sches und Romanhaftes —, gehört zu dem, was derben schwor, lebt durch ihn!... Es heißt zu viel Laune die Schönheiten des Deutschen Theat
Schnitzler und mit ihm eine ganze Wiener Schule in verlangt, wenn uns nach der Entwirrung solchen In-geben, als Frau Stadt=Akzise=Kassa=Sch
vermeintlich höherem Sinne Leben und Menschlich=Itrigennetzes zugemutet wird dennoch an den tragi= vor der Frau Unter=Steuer=Einnehmerin, d
keit nennt: ein immer mit dem Tode und andernschen Heroismus dieses Unhelden
glauben. Ober=Floß- und Fischmeisterin, dem Herr
letzten Dingen kokettierendes Spiel, das aber doch Napoleon will ihn für die „Rettuntstat“ belohnen Berg= und Weginspektors=Substitut und