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22. Der junge-Medardus
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Dramatische Rundschau.
Von Oswald Brüll.
„Der junge Medardus“ des
Burgtheaters.
(Zur ersten Aufführung von Arthur
Schnitzlersdamatischer Historie an
rinreichsenischen Bühne).
In der schlesisch=galizischen Grenz¬
stadt, die mein augenblicklicher Aufent¬
haltsort ist und die dem Kriegstheater
um vieles näher liegt als dem Burg¬
theater, erfuhr ich vor ein paar Tagen
aus einer Zeitungsnotiz, baß „Der
junge Medardus“ soeben das Berliner
Rampenlicht erblickt habe. Ganz un¬
gläubig las ich dies; als ob da stünde:
künftige Woche übersiedelt der Stefans¬
dom nach Berlin.
Auf Ehrenwort, ich weiß mich frei
von jeglichem Feuilletonistenpathos,
wenn ich mich solch starken Vergleiches
bediene. In der gegenwärtigen Zeit
eitle Phrasen in die Luft werfen, wäre
mehr als geschmacklos, wäre Blas¬
phemie. Es ist meine innerste Über¬
zeugung: „Der junge Medardus“ hat
zu stark in seinem geistigen Nährboden
Wurzel geschlagen, als daß er auf
fremder Scholle gleicher Entfaltung
fähig wäre.
Daß das Stück in Wien spielt,
im Wien des Jahres 1809, — ist für
das Gesagte keine zureichende Er¬
klärung. Die Mehrzahl der Dramen
Schnitzlers hat Wien zum Ort der
Handlung und sind doch nicht alle in
Wien bodenständig geworden; ja, einige
(„Der einsame Weg“, „Zwischenspiel“,
„Professor Bernhardi“) haben draußen
im Reich die größere Zugkraft er¬
wiesen. Ist ja überhaupt ein Großteil
der dramatischen Kunstwerke unserer
Literatur eindentig lokalisiert, ohne da¬
seiner allgemeinsten Publikums¬
wirkung beengt zu sein. „Glaube und
Heimat“ hat wohl an der Elbe nicht
weniger zu erschüttern vermocht als am
Inn.
Nein. Wenn „Der junge Medar¬
dus“ dem geistigen Bestand Wiens
heute inniger verbunden ist als sein
Schöpfer selbst, und wenn dieses Ver¬
hältnis in der Literaturgeschichte viel¬
leicht nicht seinesgleichen hat, so ist dies
an anderem gelegen. Einmal daran,
daß Wien nicht bloß der Schauplatz des
Stückes ist, = wie in anderen Hervor¬
Rundschau
„spezifisch österreichisch“ ist — wann
könnten wir darin bessere Einsicht ge¬
winnen, als in dieser prüfsteinharten
Zeit. Der letztbezeichnete Typus dee
Österreichertums wird in Schnitzlers
Stück durch Eschenbacher vorgestellt,
dem jungen Medardus gegenübergestellt.
Medardus lebt, wie er ist, er stirbt wie
Eschenbacher.
Oheim und Reffe verbildlichen also
die beiden Gefühlsgegensätze, die im
Österreichertum enthalten sind. Den
Gegensatz reicher zu gestalten, ander¬