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„S. MRl 1332
geschrieben, die im Jahre 1809 spielt. 1809: eine in schmettert am Boden liegen zu bleiben, aus dieser
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unsern Augen heroisch verklärte Epoche, heroisch ver= Wiener Vorstadttragödie eines Bürgerssohnes, der
klärter Kampf gegen Unrecht und Unterdrückung, die dem Sinnenreiz einer französischen Prinzessin
beginnende Nemesis für die ungeheuerliche Blutschuld
erliegt und zugleich Napoleon töten will, aus
Redardus.“
eines Napoleon.
diesem Frühlingswahn eines jugendlichen Phantasten
Aber Schnitzler hütet sich, in seinem großartigen
Neu¬
nitzler, Zur
läßt Schnitzler mit unvergleichlichem und unbestech¬
Freskogemälde eine fanfarenumrauschte Apotheose
Burgsheiten
lichem Nahblick und Weitblick jene ganze aus
des Krieges zu geben. Er weiß: Glanz und Nieder¬
Ideal und Instinkt, aus Begeisterung und Ver¬
genblick inne in dem
lage, Glück und Ende der großen Heldenspieler
brechen, aus revoltierender Kühnheit und nackter Mord¬
Gegenwart, besinnen wir der Weltgeschichte ist nur die trügerische Fassade,
und Rauflust, aus Opfer und Profit, aus Phrasen und
allen Lärm zurück in die unendliches Menschenleid verhehlt, unbeachtetes
Feigheit höllisch gebraute Atmosphäre entstehen, jenes
der Erinnerung: siehe,
Dulden und Verzweiflung, stumme, ruhmlose Größe
apokalyptische Verderben, das wir seit 1914 erfahren
ieg, die Jahre vor jener und kriechende, züngelnde kleine Gemeinheit, Feig¬
haben: Krieg.
Es ist die gleich Erde heit und Niedertracht: alles Gute und Böse, aus dem
Krieg und Sterben, Sterben und Krieg: gleich
wohnten, und doch ist sie Menschliches und Allzumenschliches unlösbar ge¬
der in die Unendlichkeit sich fortpflanzenden Schwingung
mischt ist.
andern Stern gelebt.
einer Stimmgabel durchziehen die beiden Begriffe den
Nichts. Oder unfruchtbare
In dieser dramatischen Historie findet man sehr
scheinbar auf Wiener Enge begrenzten Raum dieser
aren wir und wie un¬
wenig historische Namen. Weder Napoleon tritt auf —
dramatischen Historie. Ein Klang aus dem Jahre 1809 ?
haben wir damals alles
nur wie einen unsichtbaren Alpdruck läßt ihn Schnitzlers
Ein Klang aus Zeiten, die wir alle miterlebt haben.
Ruhe, Kraft, Freiheit,
Kunst auf allem lasten — noch der Kaiser Franz. Auf
Diese Welt des jungen Medardus mit ihrem Dunst
keiten, die niemals mehr
zwei Namen beschränkt sich bei allem Reichtum an
von Fäulnis, Zwiespalt und Ungewißheit ist uns viel
ns nicht.
Figuren die Zahl der historischen Persönlichkeiten: der
näher als jene, die wir seit dem Jahre 1914 verloren
u uns selbst: nahmen
General Rapp taucht ein paarmal auf, und bedeutender
haben.
hmaß des Daseins als tritt jener Sattlermeister Eschenbacher hervor der von
Es hin, als eine leise den Franzosen erschossen wurde und nach dem die Eschen¬
Mit der Aufführung des „Jungen Medardus“
n vermessen den Ein= bachgasse benannt ist. Das ist alles.
sollte am Burgtheater des Dichters bevorstehender
wünschten? Oder wir
Ein Dichter wie Schnitzler kopiert und plagiiert
siebzigster Geburtstag gefeiert werden. So hatte es noch
Sorgen. Und niemand
nicht die großen Männer, aus dem monumentalen
Anton Wildgans zu Lebzeiten Schnitzlers angekündigt.
arzen Engels unheilvoll
Drama der Geschichte macht er kein Revuetheater. Aber
Schnitzler ist tot und Wildgans ist tot.
. Die Wellen der Jahre
er gestaltet schöpferisch Geschichte aus der „Geschichte
ledlich an den warmen
Was vorgestern im Burgtheater geschah, ist eine
derer, die keine Geschichte haben“
enhäuser bauten, und
leere Geste. Gewiß, Herr Direktor Röbbeling hat sich
Da ist die Historie von dem jungen Wiener Bürger¬
rägen, gewohnten Lied
salviert: man kann ihm nicht nachsagen, daß er das
sohn Mebardus, der sehnsüchtig das große Abenteuer in
Versprechen seines Vorgängers und die eigene Ver¬
Riesen, der bald zu
sich einsaugen möchte wie ein Liebender den Duft einer
pflichtung ignoriert habe.
sollte.
Rose und dem das Leben nur bittersüßes, aus Haß und
Aber eine Erfüllung kann ärger sein als ihr
Liebe tödlich gepaartes Gift zu kosten gibt: ein
Gegenteil: es kommt nur auf das Wie an.
ungestümes, trotziges und dabei so hilfloses Kind, dieser
Das Wie: ein Abend, deprimierend in seiner lieb¬
nde: Dichter, die aus Medardus, das bis zum Schlusse, bis zur Salve des
losen, fast möchte man sagen feindseligen Gleich¬
der Vergangenheit Exekutionspelotons träumt, Gott habe einen Helden aus
gültigkeit.
körbaren Gleichgewichtes ihm machen wollen, und in Wirklichkeit hat der Lauf
Daran sind nicht einmal sosehr die Einzelleistungen
ie ein unabwendbares der Dinge nur einen armen Nurren aus ihm gemacht.
schuld: Herr Lohner plagt sich redlich mit dem
Aus diesem erschütternd lächerlichen und unschein¬
Medardus, kommt über das rein Aeußerliche nicht
en hat Arthur Schnitzler baren Einzelschicksal, das durch den Luftdruck
hinaus. Dieser Schauspieler braucht vor allem einen
dem jungen Medardus historischen Geschehens emporgewirbelt wird, um zer= wirklichen Regisseur. Frau Johanssen als Prin¬
zessin Helene sucht den armen Medardus mit allen
Theaterrequisiten des Hochmuts und der Erotik zu
faszinieren; vorschriftsmäßig läßt sie alle gefährlichen
Verführungskünste spielen, vom wogenden Busen an¬
gefangen. Aber sie macht wenigstens gute Figur. Herr#
Mayerhofer ist ein anständiger Eschenbacher.
Frau Ortner=Kallina eine Agathe von keuscher,
zarter Innigkeit. Sehr vornehm, fast etwas zu vor¬
nehm. Herr Reimers als Herzog, dem sein!
Schwiegersohn, Herr Hennings, an edler Würde
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und Eleganz in nichts nachsteht. Mit scharfer satirischer
Charakteristik zeichnet Herr Heine den Dr. Assalagny.
Und herrlich, erschütternd die beiden Mütter: Frau
Medelsky als Frau Klähr, Frau Kallina als
Herzogin.
Nein, an dem tristen Eindruck, den dieser „Medar¬
dus“ hinterläßt, sind in erster Linie nicht einmal
Operettenfiguren schuld, wie Herr Höbling als
General Rapp. oder Herr Huber als Wachshuber,
oder . . . Doch lassen wir das. Sondern schuld ist: die
Flüchtigkeit, der billige, verwaschene Plakatstil, die
oberflächliche Banalität, die verdrossene Wurstigkeit,
kurz: der Ungeist, mit dem das Ganze abgetan wird.
Von Schnitzlers Dichtung war in dieser Auffüh¬
rung nur der tote Buchstabe übriggeblieben. Von
ihrem Geist, ihrer Tiefe. ihrer Weisheit — nichts.
Der Rest ist Röbbeling.
Moriz Scheyer.