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22 Dearans
box 27/4
#0 m. Sewanr.
neter weit sichtbaren Uniformen. Sonnabend abend wurde die ser¬
ische Antwortnote abgelehnt. Sonntag früh ging in Wien eine
Ausschnitt Mreslauer Morgen Zeitung
unkelnagelneue Armee herum, grundverschieden von der alten,
nodern bis zum letzten Hosenknopf. Feldgrau, auf fünf Schritte
chon „nicht mehr vom Terrain zu unterscheiden“, in naturleder¬
30 001.197.
vom:
arbenen Stiefeln, in denen man so bequem zu gehen scheint, wie in
Pantoffeln, weg war dieses Ungetüm aus Zelluloid und Pappen¬
deckel, der degenerierte Nachkomme der schwarzen Halsbinde, die noch
Das kriegerische Wien.
Radetzkys Armee trug, und an seiner Stelle erschien ein schlichtes
weiches, graues Halstuch. Die Offiziere sind von der Mannschaft
(Von unserem Korrespondenten.)
äußerlich nur noch dadurch zu unterscheiden, daß sie in Automobilen
Wien, 28. Juli.
fahren. Zu Fuß gehen nur noch die Generale, wenn sie sich nach der
Arbeit vieler Tage und mancher Nacht ein bißchen Bewegung machen
Wer in Schuitlers „Der junge Medardus“ den Akt gesehen hat,j wollen. Die übrigen Offiziere fliegen in Dienstautomobilen durch
der auf der Wiener Bastei spielt, der kann sich eine schwache Vor¬
stellung davon machen, wie es jetzt in Wien zugeht. Die psycholo¬
die Straßen von einem Amt, von einem Kommandogebäude zum an¬
gische Treffsicherheit dieses Aktes ist bewunderungswert. Alles, was
deren, und wenn sie eine halbe Stunde lang frei sind, so sausen sie
sich nun in den Straßen täglich wiederholt, ist dort vorausgeahnt.
an der Seite irgend einer liebenden Weiblichkeit in einem Autotaxi
Das junge Volk, das sich hochrufend selbst in eine Art von Paroxys¬
durch die Straßen der inneren Stadt, um Einkäufe zu besorgen. Die
mus versetzt, die Frauen und Mädchen, die eine schwüle Schaulust be¬
Börse ist gesperrt, aber für Reisekoffer ist eine Hochkonjunktur aus¬
drückt und hinaustreibt, die Männer, die sich stolz und ungelenk in
gebrochen. Natürlich ist auch die Zahl der Offiziere sprunghaft ge¬
wachsen. Wer vielleicht noch gestern „verkannt und sehr gering“ in
den ungewohnten Uniformen recken, und andere, die ganz den Ernst einem Bankkontor saß, ist heute schon ein herrlicher Ulanenleutnant,
der Stunde fühlen, und denen man es anmerkt, daß die Tage der
Worte vorbei sind, daß nun die Stunden des Handelns gekommen
und ein anderer, der es gestern noch versuchte, den griechischen Verben
sind.
auf mi neue Schönheiten abzuringen, schämt sich heute bereits seines
Eigentlich hat sich ja in diesem Straßenbild gar nichts geändert,
blonden Umhängebartes, der zu einem Artillerieoffizier so gar nicht
passen will.
es gibt weite Stadtbezirke, denen man den Krieg gar nicht anmerkt,
aber aus tausenderlei kleinen Anzeichen macht er sich doch wieder an
Während die Schreibmaschine diese Worte klappert, tönt es un¬
ausgesetzt von weitem dumpf herüber, bald ruhig und in einem
illen Ecken und Enden fühlbar; nirgends noch so, wie die Aengstlichen! Flusse, dann stürmisch, stoßweise, aber ruhig wird es nie. Ein paar
hn fürchten, sondern überall so, wie wir Skeptiker glaubten, daß Straßen weit liegt das Kriegsministerium. Dort singen sie unter
tur die hurraschreienden Ueberpatrioten ihn in den Jugendlese=den Fenstern des Feldzeugmeisters Krobatin seit Tagen ununter¬
üchern schildern könnten. Tausende haben in diesen Tagen ihre brochen die Volkshymne, und wenn eine Strophe zu Ende ist. wird
Vaterstadt, haben Eltern und Geschwister, Weib und Kind verlassen
über ich habe noch nirgends ein bekümmertes Gesicht, noch nirgends
dreimal „Hoch!“ gerufen, dann hebt wieder einer mit dem Kaiserlied
in Träne gesehen. Tränen .. .. Vielleicht doch . . .. Wenn wieder
an und alle anderen fallen ein. Und ähnlich wie da draußen geht es¬
inmal in irgend einer Straße das „gute, alte, heißgeliebte: Gott!
in dem ganzen weiten Oesterreich und nicht anders in Ungarn.
rhalte“ klingt — der zu früh verstorbene Poet Wilhelm Freiherr
Wir lachen. Denn wo ist alle Uneinigkeit unter den Völkern¬
om Appel nannte es so — und es erklingt jetzt unausgesetzt,
der Monarchie? Wir lachen. Und so viele Tränen kann uns kein
Krieg bringen, daß dieses Lachen ausgelöscht werden könnte.
Straßen auf und Straßen ab dann steigt es allen unbegreiflich süß
ind atembeklemmend in die Kehle hinauf und mancher legt den Kopf
Nun aber, in diesem Augenblicke, bringt man mir der
zurück und beißt sich auf die Lippen. Zu dumm
amtlichen Text der Kriegserklärung an den Schreibtisch. Wir haber
sie erwaxtet. Die paar französischen Zeilen des Grafen Berchtolh
Aber wir Leute aus dem zwanzigsten Jahrhundert zeigen ja
können an der Stimmung, in der wir seit Tagen leben. nichts ändern.
insere Gefühle nicht gerne her. Gar die ganz uralten, bis in die
etzten Tage fast schon halbvergessenen Gefühle, wie da ist die rasende
Georg Bittner.
Liebe zu dieser Luft, den Bergen, den Flüssen, den alten Häusern
ind zum Kaiser, zum Kaiser, dieses unbegreiflich hohe, wütende, durch
allen kleinen Kram der Welt nicht zu verdeckende Hängen an dir ...
Oh, du, mein Oesterreich!
Der Erzherzog Eugen wollte heute vormittag aus dem Kriegs¬
ministerium heraus und über die Straße gehen. Die Tausende, die
jetzt dort tagaus tagein stehen und auf irgend etwas — was, wissen
sie natürlich selber nicht — warten, umringten ihn im Nu, wären ihm
wahrscheinlich alle gleichzeitig, oder doch einer nach dem anderen, um
den Hals gefallen, wenn er sich vor dieser Ueberzahl nicht rasch
wieder ins Kriegsministerium geflüchtet hätte. Der Erzherzog Eugen
hat allerdings zwei Eigenschaften, die ganz besonders dazu angetan
sind, um die Wiener zu sanatisieren: er ist wunderschön, so schön, daß
man zu träumen glaubt, wenn er langsam und aufrecht und groß wie
ein Gott über die Ringstraße geht — und er heißt — Eugen.
Die Armee, so viel man von ihr in Wien sieht, hat sich in zwei
Tagen ganz verändert. Der unmilitärische Teil Oesterreiche #:
schon immer gedacht, warum denn gerade unsere Armee keine Feld¬
uniformen hat. Ossiziere und Mannschaften trugen, von ein war
Ausnahmen abgesehen, immer noch die schönen, blauen, viele Kilo¬