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Miz
21. Kontesse1oderder Fani Lientag
sagen wäre. Der bittere Kampf des Alters gegen
als er an seinem eigenen Idealismus irre werden
die Jugend und der fast widernatürliche Sieg
wollte. Karßler spielte den Helden dieser Dia¬
der Bresthaftigkeit über das Leben wirkte recht
loge in der Mäske des sechzigjährigen Tolstoi.
Dies Persönliche hat ein bißchen gestört. Vor¬
fatal. Auch hier drang den Darstellern Ibsen
züglich war IIka Grüning. Sie ist die beste Cha¬
aus allen Poren. Nein, das waren keine Bauern.
rakterspielerin, die Berlin augenblicklich be¬
am wenigsten Bauern aus Tirol. Reicher war
sitzt.
der einzige, der sich von lbsen ganz befreit
hatte, aber Ton und Gebärde hatte er darum
Was es sonst noch zu berichten gibt? Am
dech nicht. Er war diesmal Emanuel Reicher.
Nollendorfplatz spielt man jetzt etwas, das die
der einen Bauern spielte. Für diese beiden
Verfasser auf dem Zettel „Kriminalgroteske in
Stücke hätte es bei den Wiener Gastspielen was
drei Instanzen“ nennen, aber es ist nichts, als
ein böser Reinfall und heißt „Fiat justitia“.
zu lernen gegeben. Sollten die Brahmleute doch
Ein auf kaltem Wege erzeugtes Unding, das
ein wenig verknöchert sin?
eine Satire auf Skt Bureaukratius im Gerichts¬
Der künftige Mann des. Lessing-Theaters.
wesen. sein soll. Die seligen Elf Scharfrichter
Viktor Barnowsky. hat dem großen russischen
oder sonst ein paar witzige Sehauspieler hätten
Idealisten eine Totenfeier veranstaltet. Er
daraus eine ulkige Szene gemacht, bei der das
führte Tolstois nachgelassenes Werk „Und das
Publikum sich vor Lachen gebogen hätte, Aber
Licht scheinet in der Finsternis“ auf. In diesen
auf kaltem Wege zu drei inhaltslosen Akten
Dialogen, die kein Theaterstück ausmachen,
ausgewälkt, ist die Geschichté nur verdrießlich
hat der Greis die ganzen inneren Kämpfe und
geworden. Man geht aus dem Theater und är¬
Qualen seiner letzten Lebenszeit zum Ausdruck
gert sich, weil man einen durch ungewöhnlich
gebrächt und die fürchterlichen Zweifel des En¬
lange Zwischenakte und ein paar Szenen ge¬
des, obsein Evangelium auch das rechte gewe¬
füllten Theaterabend dämit verbrachté, daß
sen. Das Weib fordert das Land als Erbe, das
man alle fünf Minuten die Hand vor den-Mund
allen Brüdern gemeinsam gehört, allen Brü¬
legte, um das Gähnen zu verdecken.
dern, die selbst die Ackerkrume furchen, im
Angenehm unanständig geht’s im Besi¬
Schweiße ihres Angesichts; und die Kinder se¬
denztheater zu. Man spielt dort „Aimé des fem¬
hen ihn an mit Augen, in denen er, sein Urteil
mes“ von Hennequin und Mitchell. Hier heißt
liest. Die Verzweiflung, die aus den so ganz
das Stück freilich „Alles für die Firma“. Ri¬
und gar kunstlosen Worten zu uns dringl.
chard Alexander spielt die männliche Haupt¬
greift uns ans Herz — aber am Ende erkennen
rolle. Man halte die beiden Titel, den französi¬
wirzes war ein einzelner Fall-und all-die Leh¬
schen und den deutschen zusammen — und
ren waren nur für den einen, der sich verzwei¬
felt zurückzog von der Welt, von den Seinen, errät so leicht den Inhalt des Stückes. Ein
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Liebling der Frauen, der alles für die Firme
tut. Alles. Eine alte Firma, um die schon di
Pleitegeier kreisten, hilft sich damit, daß si
der Konkurrenz einen jungen Mann wegenga¬
giert, der die ganze weibliche Kundschaft de
großen Modehauses, in dem er sich betätigte
mit hereinzieht. Er ist aber auch ein Teufels¬
kerl. Sein Denken, sein Trachten, sein Leben
und Lieben, seine Tage und Nächte — alle
alles gehört der Firma, mögen die vornehmen
Kundinnen auch noch so häßlich sein. Und der
findet endlich — damit es in dem Stück doch
auch ein bißchen Moral gibt — das kleine Mäd¬
chen, das ihm unverblümt die Wahrheit sagt
und ihn schließlici einen scheußlichen Zierben¬
gel nennt. In das Mädelchen mußte er sich
doch verlieben. Und als sie ihm endich ans Herz
sinkt, an dem vorher schon so viele gelegen, ist
das Stück zu Ende. Mam hat sich so schön ge¬
schämt, ist ein über das anderemal rot gewor¬
den, was sich gelegentlich doch ganz gut macht,
und hat heimlich gekichert. Woraus geschlossen
werden kann, daß jede junge und jüngere Dame
Berlins den Wunsch haben wird, das Stück
kennen zu lernen. Es gibt hiefür auch eine be¬
queme Entschuldigung: in dem Modewaren¬
haus auf der Bühne bekommt man eine Fülle
herrlichste Toiletten zu schen. Na. also: der
Mode zuliebe darf man sich auch einml den
Gefahren eines recht pikanten Stückes aus¬
setzen.
Ida Zock-Stieber.
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