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21. Kont Mizz1oder der FPani Lientag
Fürst Ravenstein (55 Jahre alt), besucht ihn und ladet ihn ein,
Professor: „Ich bin fern davon, dir einen Vorwurf zu!
machen, Kind.“
mit nach Ostende zu fahren. Er, dessen Frau ebenfalls schon
Feuilleton. 72¾%
lange tot ist, eröffnet dem Grafen zu dessen größtem Erstaunen,
Komtesse: „Hast auch wirklich keinen Grund. War's nicht
schön?“
daß er, Rav n ein, einen 17jühr. Inehrlichen Sohn habe, ener
Komtesse Mizzi.
Wohl während der Proben ist dem Dichter noch ein
jetzt adoptieren, durch des Kaisers Gnade mit dem Namen Ra¬
Witz eingefallen, der in das offenbar schon gedruckte Buch
venstein beglücken, in die Gesellschaft einführen und daher zu¬
eues Stück Arthur Schnitzlers. X
nicht mehr Aufnahme hat finden können. Komtesse Mizzi
erst seinen nächsten Freunden Arpad und Mizzi vorstellen
ruft nämlich dem melancholisch, aber doch würdevoll ab¬
Wien, 6. Januar.
werde. Die Komtesse kommt aus dem Schloß zu den beiden, im
Garten behaglich Plaudernden; der Graf wird ans Telephon
gehenden, etwas posierenden, ganz wenig pathetischen Aka¬
ben ist überhaupt merkwürdig, man vergißt's
demiekünstler nach: „Und grüß' mir auch herzlich deine Frau
gerufen. Mizzi fragt: „Gibts gar nichts Neues in der Welt?“
sagt die Komtesse Mizzi in Arthur
7
74) Es
und deine Kinder!“
Der Fürst antwortet: „Unser Sohn hat maturiert.“
heuester Komödie, die am 5. Januar im
Schon daraus daß die Inhaltsangabe dieses Einakters
stellt sich im Gespräch des Paares heraus, daß Mizzi just zu
Volkstheater zur Uraufführung gelangt ist.
jener Zeit, als ihr Vater=Wittiber vom Anbandeln mit Lolo
so lang geraten ist, kann man ersehen, wie kompliziert sich
t „Komtesse Mizzi oder der Familientag“
vollauf in Anspruch genommen war, in einem Ursulinerinnen¬
das Stück aufbaut. Die Technik, mit der Schnitzler hier ar¬
mAkt, am Tag der ersten Aufführung im
beitet, ist virtuos bis zur Vollkommenheit. Der Dialog ist
kloster in den Sommerferien dem jetzigen jungen Ravenstein
Fischer, Berlin, erschienen.) Also, das Leben
flüssig, witzig und hält jenen nonchalant=lässigen Ton meister¬
das Leben geschenkt hat. Tamals wollte Mizzi mit dem
ürdig. Wohlfeile Weisheit konstatiert manch¬
Fürsten durchgehen; er aber hat es vorgezogen, zu warten bis
haft fest, der speziell in Wien das äußerlich=einigende Band
nschicksals Fügungen und Wendungen seien
zwischen dem Hocharistokraten, dem Salonkünstler, der Ballet¬
seine Frau starb und Mizzi dann wiederholt Heiratsantrige
so verblüffend unwahrscheinlich, daß man
teuse und dem Grabenfiaker bildet. Da wir es mit einer
zu machen, die sie, stark abgekühlt, immer refüsiert hat. Sie
auf dem Theater dargestellt, als unglaub¬
Komödie zu tun haben, nehmen wir auch die ziemliche Künst¬
entschädigte sich dafür am Herzen verschiedener anderer Män¬
ls unmöglich verlachen würde. Schnitzlers
lichkeit der Verwicklungen mit gelassenem Frohsinn hin, und
ner, was der Fürst ebenso genau weiß, wie sie alle seine
bt so ein Lebensbild, worin das Unglaub¬
ärgern uns nicht, daß die Pointen überpointet werden.
Liaisons in diesen 17 Jahren kennt. Wieder macht ihr der
vird.
Nur.
Fürst einen Antrag, der wiederum abgelehnt wird. Es treten
schen schloßartigen Villa mit einem wunder¬
Nur ging dieser Uraufführung die Volkstheater=Premiere
auf: Lolo und der junge Ravenstein. Den jungen Ravenstein
der Nähe von Wien kommen nach und nach
hat sein Vater herbestellt; Lolo kommt ungebeten, weil ihr
eines älteren Stückes von Schnitzler voran, das seit Jahren
der Graf immer versprochen hat, sie dürfe sich vor ihrer Ver¬
8 Einakters sieben Menschen zusammen, die
ein Repertoirstück des Burgtheaters ist und das, wenigstens
in verwandtschaftlichen Beziehungen
heiratung einmal Park und Schloß ansehen, wo er mit seiner
von uns Oesterreichern, beinahe schon für klassisch angesehen
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Tochter wohne. Beide gefallen der Komtesse sehr gut. Es
etzt sa stein richtiger, wenn auch uneingestan¬
wird. Es war die „Liebeler, die jetzt 13 Jahre alt und
vor kurzem gleichfalls im Verlag von S. Fischer, in 9. Auf¬
#g“ im altaristokratischen Sinn dieses Wortes
tut ihr leid, daß Lolo nicht ihre Stiefmutter wird, es tut
lage erschienen ist. Nach der reinen, einfachen, zarten, edlen
Das Schlößchen — vielleicht hat Schnitzler
ihr fast leid, daß sie zu ihrem Sohne so gar keine Beziehungen
Kunst dieses Schauspiels wirkte die nachfolgende Komödie trotz
ias Schloß in Hetzendorf gedacht — gehört
hat. Nun folgt ein zärtlicher, aber doch diskreter Abschied
Grasen Arpad Pazmandy. Er ist 61 Jahre
oder vielleicht gerade wegen ihrer vielen Finessen ein wenig
Lolos von der Komtesse und vom Grafen; dann empfehlen
raußen mit seiner wohlkonservierten Tochter,
gekünstelt, blut'os: Gedankenprodukt. Vielleicht kann man
sich auch der alte und der junge Fürst, ihre Einladung nach
zzi, die 37 Frühlinge zählt und Blumen¬
den Inhalt eines jeden, über den Tag hinaus dauernden
Ostende nochmals herzlich wiederholend. Arpad und Mizzi blei¬
nen sich Flieder und Goldregen dadurch von¬
Bühnenstückes mit drei Sätzen wiedergeben. Zum Beispiel:
ben allein zurück. Der Graf redet seiner Tochter zu, nach Ost¬
eiden, daß der eine violett und der andere
Ein junger Mann hat gleichzeitig ein Liebesverhältnis mit
ende mitzufahren, sie läßt sich ganz gern überreden und der
hne alte Jungfer, die es nicht mit Hunden
einer verheirateten Frau aus der Gesellschaft und mit einem
Graf entfernt sich, um gleich telephonisch für denselben Zug,
ern mit Pinsel und Palerte hält, meint man.
Mädel aus der Vorstadt. Er fällt in einem Duell mit dem
mit dem die Ravensteins fahren, ein Kupee zu bestellen. Plötz¬
, daß die Komtesse nichts weniger als eine
Mann der verheirateten Frau. Das Mädel tötet sich aus Ver¬
lich kommt der Prof. Windhofer beim Gartentor herein, um
daß sie es mit ganz andern Dingen hält.
zweiflung darüber, daß er in ihr nicht mehr, nicht alles hat
der Komtesse die tägliche Malstunde zu geben. Mizzi erklärt
augenblicklich ziemlich melancholisch. Wie
finden können, so daß es ihm möglich wurde, sich für eine
ihm, daß sie für den Sommer verreise und fügt auf seine
eit gestorben ist, da war er noch ein Mann
andere totschießen zu lassen . .. das ist die „Liebelei“. Den
Frage hinzu, sie glaube nicht, daß sie im Herbst ihre Stunden
wieder aufnehmen werde....
hren. Niemand kann es ihm also verdenken,
„Familientag“ wird auch der größte Stilkünstler nicht in
schönen Balletteuse Lolo angeknüpft und 18
drei Sätzen auseinanderwickeln können
Professor: „Also ... ich bin entlassen, Maria.“
ich gelebt hat. Leider hat diese Lolo immer
Dargestellt wurden beide Stücke im deutschen Volkstheater
Komtesse: „Wie kann man sich so ausdrücken, Rudolf?
habt, sich, wenn sie sich einmal ins Privat¬
ganz unvergleichlich, weil die zum größtenteile wienerischen
Es ist wirklich nicht sehr nett.“
zu verheiraten. Der Graf wär' auch zur
Darsteller den österreichischen Ton, der gerade über diesen
Professor: „Verzeih'. Es ist doch ein bißchen rascher
Die Lolo hat sich grad' wahnsinnig in einen
Werken Schnitzlers liegt, mit unerreichbarer Leichtigkeit und
gekommen, als ich gedacht habe.“
Echtheit trafen. Der Erfolg war, da Schnitzler der dramatische
. Hausbesitzer und Bürger von Wien“ ver¬
lieber von dem heiraten. Begreiflich, daß
Liebling Wiens ist, ein großer familiärer Jubel, als wären
Komtesse: „Besser, als wenn es zu langsam kommt.
Glaubst du nicht?“
niedergeschlagen ist. In seiner Betrübnis,
alle Besucher des ausverkauften Theaters zu eines lieben
schuldiges, (wie er meint) in der Lolosache
Verwandten Ruhmestag geiommen, zu einem: Familien¬
hterchen Mizzi nicht teilnehmen lassen kann,
tag.“
er Trost gebaten, Sein bester Freund, Egon
*) Die Reifeprüfung des Gymnasiums bestanden.
Dr. Wilhelm v. Wymetal.