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rliner Börsenzeitung
6. APia 1927
Wiener Premieren.
Wien, 1. April.
Da die großen Bühnen mit dem Beethovenfest vollauf
beschäftigt waren, gab es nur einige Neueinstudierungen
von geringerer Bedeutung. Im Akademietheater
wurde „Komteß Mizz
“, das altösterreichische Genre¬
bild von Schnitzler, wider ausgenommen, danach wurde
„Das Verlchen“ von Molnär gegeben, die gleich¬
falls bekannte einfallsreiche Komödie aus der Theaterwelt.
Bedeutender war die Auffrischung von Schnitzlers
„Komödie der Verführung“ im Burgtheater
in teilweise neuer Besetzung und mit starkem Erfolg.
Bei Reinhardt wurde Hans J. Rehfischs Komödie
„Nickel und die 36 Gerechten“ herausgebracht. Von
den Herren Herrmann und Hors Thimig, den Damen
Höflich und Woiwode in den Hauptrollen ganz vor¬
züglich gespielt, fand sie starken und nachhaltigen Erfolg und
dürfte sich wohl für einige Zeit auf dem Spielplan halten.
In den Kammerspielen wird ein Ueberkriminal¬
drame „Nr. 1 7“ von Jesserson=Farjeon gespielt.
Die grauenhaftesten und unwahrscheinlichsten Vorgänge sind
Hier gehäuft, und man weiß vor lauter geraubtem Schmuck
und Leichen, die daliegen und verschwinden, nicht aus noch
ein. Dazu kommt eine merkwürdige Liebesgeschichte zwischen
dem Tetektiv und der Verbrecherin. Der Regisseur, Rober
Wiene, hatte die ergötzliche Idee, das Stück im Stil
eines Kinodramas spielen zu lassen. Diese Taktik und die
Glanzleistung Hans Mosers, der einen köstlichen Tol¬
patsch gibt, retteten den äußeren Erfolg des Abends, um
den sich die Damen Fiebig und Diora und die Herren
Jesch und Lorre bemühlen.
Im Lustspiel¬
theater wird der französische Schwank „Der Mann
im Loch“ von Nancy und Gorsse gegeben. Hier ist
der Vorwurf ähnlich wie im „Fledermaus"=Text. Der Ehe¬
mann will zur Geliebten und gibt an, er müsse in den
Arrest. Als die Gattin ihm nachspürt, geht er wirklich ins
Gefängnis. Diese Zeit benutzt die Frau, um als Schiebers
Ehegespons große Einkäufe zu machen. Dem Mann aber
wird verziehen, weil er wirklich die Unannehmlichkeiten des
Eingesperrt=Seins auf sich nehmen mußte. Viele Situa¬
tionen sind in diesem Schwank geschickt ausgenützt, die Regie
Dr. Stelzers sorgt für schnelles Temvo, und so stellt
sich freundlicher Erfolg ein, der auch den Durstellern der
Hauptrollen (Maria Waldner, Lotte Erol, Paul Mahr und
Hugo Riedt) zu danken ist.
Die Volksoper ist auf der Suche nach zugkräftigen
Repertoirstücken bei der „Schönen Helena“ von Offen¬
bach gelandet. Nicht ohne deren Text durch eine Neubearbei¬
tung von Theodor Walbau dem modernen Revue¬
geschmack anzunähern, also zu verschlechtern. Was sollen
viele derbe Aktualitäten, wenn Feinheit, Geist und Cha¬
rnkter der Götter= und Heldensatire verloren gehen? Dazu
kam, daß sich der Kapellmeister Oskar Jaschg nicht zurück¬
halten ließ, auch die Musik hie und da zu „verbessern“.
Die Dustellung war übertrieben und von Rainer
Simo:g ganz auf die derbkomische und groteske Note
eingestellt worden. Trotz des stürmischen äußeren Erfolges
darf man sich davüber nict im unkiaren sein, daß hier der
Kunstgeschmack gänzlich dem Geschäft geopfert wurde.
Ueber die Beethoven=Feier der Staatsoper mag
nachträglich noch einiges gesagt sein. Der Ritter Gluck
sowohl als Musikdramatiker wie auch als Ballett¬
komponist nicht ohne Einfluß auf Beethoven geblieben. Es
woar daher ein hübscher Gedanke der Festleitung, die
Bühnenaufführungen mit dem Don Juan Belett
dieses Meisters zu eröffnen. Die Neubearbeitung durch
Heinrich Kröller hat textlich ein Vorspiel hinzugefügt
e Gastmahlsszene erweitert. Die Musik zu diesen
Sienen wurde aus Glucks „Alceste“ übernommen.
Die
tragische Größe der Musik, die sich der bekannten Handlung
eng anschließt, wird durch eine Orchestrierung gehoben, die
die Ergehnisse einer späteren Zeit vorwegnimmt. Den
Höhepunkt bildet das dämonische Höllenfurioso, das die
Tragödie beendet. Als zweites Stück wurde Beei¬
hovens „Ruinen von Athen“ in der Neu¬
bearbeitung von Hofmannsthal und Richard
Strauß gewählt. Es sind dies Teile aus dem 1812 kom¬
ponierten Kotzebue=Festspiel zur Eröffnung des Budapester
Opernhauses, dann aus dem Ballett „Die Geschöpfe des
Prometheus: Der Sinn des Textes ist jetzt die Durch¬
dringung deutscher und hellenischer Kultur, indem ein
deutscher Fremdling die Trümmer der Akropolis er¬
blickt, ihm die Gnade der Verwandlung zuteil wird und
er plötzlich in das Fest der Panathengen versetzt wird.
Dieses so recht zum Festspiel geeignete Stück wurde von
den Festgästen mit geoßer innerer Anteilnahme auf¬
genommen.
Ein bebeutsames künstlerisches Ereignis war die Auf¬
führung der altenglischen Oper „Dido und Aeneas“
von Heury Purcell im Rahmen eines historischen Opern¬
abends im Redoutensaal. Das Stück, das von Denz Gal,
einem bekannten Jungwiener Komponisten, der In¬
strumentation wesentlich bereichert wurde — Holz= und
Blechbläser wurden eingefügt, das Cembalo stellenweise
ausgespart — ist eigentlich als ein Vorläufer der Händel¬
schen Barockoper zu betrachten. Im Barockkostüm, Reifrock
und Purpurgewand wurde es auch in Wien gespielt. Bei
der Aufführung, die von Marie Gutheil=Schoder mit
größter Feinheit vorbereitet wurde, ließ man die Deko¬
vationen nur andeuten. Das Spiel wurde nur halb¬
dramatisch lebendig, indem Bewegungs= und Gesangschor
von einander getrennt waren. Die Tänzer und Tänzerinnen
umschwebten die handelnden Personen, die Chorsänger
saßen in der Tracht des Gesindes an der Seite und hatten
ihre Notenblätter in der Hand. In ganzen war diese Oper
doch nur ein Werk für historisch Gebildete oder Fein¬
schmecker. Denn die der Aeneis des Vergil entnommene
Handlung ist nicht mehr stark genag, um drei Akte zu
tragen, zumal alle lebendigen und eratischen Stellen aus¬
gelassen sind (die Oper wurde für eine Mädchenschule ge¬
schrieben). So bleibt denn nur die Musik, die allerdings
in den Tänzen stark rhythmisch und melodisch eingänglich
ist und sich in dem berühmten Klagegesang der Dido und
in dem großen Schlußchor zu wirklich tragischer Größe er¬
hebt. Die Aufführung war von Direktor Schalk liebevoll
vorbereitet. Frau Born und Fräulein Hellets¬
grüber entsprachen allen Anforderungen, nur Herr
Renner war ein etwas trockener Aeneas. Die Hexen¬
szene geviet dank dem durchschlagenden Alt Fräulein
Andays besonders gut. Der Beifall war stark, ebenso
„wie bei der anschließenden „Serva padrona“ und dem
steifen Rokokoballett „Die Freier der Tänzerin" von
Rameau.