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Kontesse Mizzi oder der Fanilientag
box 26/4
M. März 1927
Seite 9
Ein solcher klassischer Einakter ist auch die „Kom¬
tesse Mitzi“, deren heitere Unverwüstlichkeit die Auf¬
führung am Akademietheater neuerlich erhärtet. Das Wiener
Gesellschaftsbild, das der Wiener Dichter in diesem Stück
#Akademielheater.
vor bald zwanzig Jahren entwarf, ist nicht nur koloristisch,
*
auch gesellschaftlich seither bedeutend nachgedunkelt — Fürst
„Komtesse Mitzi“ von Schnitzler. — „Das'Peilchen“
von Molnar.
Ravenstein sitzt nicht mehr im Herrenhaus und Graf
Pazmandy fährt nicht mehr mit seiner Tochter nach Ostende
Zu den Toten des Weltkrieges gehört, wenn man den
aber indem das Zuständliche etwas zurücktritt, tritt der
Versicherungen deutscher Theaterdirektoren Glauben schenken
zeitlose Spott über alle Klassenvorurteile in Liebessachen nur
darf, auch der Einakter. Diese dramatische Kunstform hat sich
tät
um so deutlicher hervor. Es ist ein Vorwurf, eines Komödien¬
überlebt, heißt es, das Publikum will nichts mehr von ihr
hat
dichters würdig, und er hat ihn im vorliegenden Fall ge¬
wissen, nur Mehrakter lohnen die Mühe ihrer Aufführung.
au
bei
funden. Zu der Endgültigkeit dieses Eindrucks, die ein un¬
Lauter Behauptungen, die man als solche nicht ernster zu
lar
gewöhnlich starker äußerer Erfolg besiegelte, trug auch eine
nehmen braucht als andere dieses an unbewiesenen und schwer
frei
liebevoll launige Darstellung bei, die dem liebenswürdigen
zu beweisenden Behauptungen so überreichen Zeitalters. In
abe
Meisterwerk nichts Wesentliches schuldig blieb. Es ist, was
Wahrheit ist der Einakter die klassische und die ewige Form
die wenigsten von sich behaupten können, nicht ganz ver¬
des Dramas. Der „König Oedipus“ ist ein Einakter und —
Pr
geblich älter geworden, denn zu Thaller, der den Grafen
um zweitausend Jahre zu überspringen — der „Zerbrochene
an
Pazmandy schon vor achtzehn Jahren im Deutschen Volks¬
Krug“ ist es gleichfalls. Davon abgesehen ist der Einakter
Kli
allen anderen Kunstformen durchaus ebenbürtig, von denen
theater mit einleuchtender Echtheit verlebendigt hat, tritt nun,
hült
ein mehr als ebenbürtiger Partner, Herr Devrient, dessen
Bü¬
er sich oft nur durch eine größere Ehrlichkeit unterscheidet:
ver
Fürst Ravenstein einen Vorzugsplatz in der Galerie
er nimmt für die Entfaltung eines Einfalles nicht mehr Zeit
dei¬
älterer Lebemänner dieses Künstlers für sich in Anspruch
und Raum in Anspruch, als der ihm innewohnenden Be¬
nehmen darf. Man weiß nicht, was man an diesem
deutung zukommt. Tritt dazu eine besondere dichterische Ver¬
in den muntersten Lustspielfarben gehaltenen Charakter¬
anlagung, derjenigen des Novellisten verwandt, so wäre es
Th¬
gemälde mehr bewundern soll: die Vornehmheit
mehr als unbillig, den Einakter aus dem Bereich des
Ka
oder die Selbstverständlichkeit und Mühelosigkeit, mit der
praktischen Theaters zu verbannen weil er „nur“ ein Einakter

diese Vornehmheit sich gibt. Sie nimmt keine Anläufe
ist. In diesem Falle befindet sich Arthur Schnitzler, dessen
und
und erreicht ihr Ziel, gleichsam ohne sich vom Fleck zu
„Letzte Masken“, „Literatur", „Große Szene“, „Puppen¬
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rühren. ... Auch Frau Retty als Komtesse Mitzi und der
Sc
spieler". — um nur einige seiner kurzen Dramen anzuführen
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ihr nahestehende junge Herr Albach als naseweises junges
— wahre Meisterwerke sind, die in jedem Sinn, auch im rein
aufe
Fürstchen geben gutes Burgtheater, dessen überkommene
dramatischen, zu den geglücktesten und schlakenlosesten dieses
schri
Gesprächskunst sich an den im Bereiche dieser Komödie
Dichters zählen. Man kann Schnitzler, ohne seinen abend¬
gestellten Aufgaben neu entwickelt und bewährt. Frau
füllenden Stücken im geringsten Abbruch zu tun, geradezu] Veri
Medelsky als Lolo ist vielleicht um eine Linie zu derb
einen Klassiker des Einakters nennen.
in ihrer Mundart, auch ein wenig geschmacklos in ihrem
Anzug. Trotzdem ist die kurze Szene, in der sie der Gräfin
und diese ihr ihr Herz ausschüttet, eine von jenen, die in
ihrer scheinbaren Anspruchslosigkeit eindringlich fühlbar
machen, welche unzerstörbaren Werte das oft achtlos hin¬
geworfene Wort „Burgtheaterkultur“, noch immer und
immer wieder in sich schließt.
Auf Schnitzlers Komödic folgte, in lustigster Laune
gespielt und aufgenommen, das „Veilchen“ von Molnar,
über das anläßlich der Faschingsvorstellung des Burg¬
theaters bereits ausführlich berichtet wurde. Frau Seidler
ist in der Rolle des so bescheidenen und in seiner Be¬
scheidenheit so hintergründigen Veilchens von bezaubernder
Drolligkeit. Die übrige Darstellung — Herr Höbling,
Heim und Arndt — ist vergnügt genug, nur vielleicht
für einen so leichten Schwank zu gründlich. Die exakte
Regie des Herrn Brahm läßt nichts vermissen als ein
paar wohlangebrachte Striche.
R. A.