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#on und deshalb auch derjenige, dessen
Werke am wenigsten gespielt und am meisten
verrissen werden. Einen schlagenderen Beweis
hiefür wie die Aufführung der „Liebelei“
kann man sich nicht vorstellen; man sah bei
jeder Szeue wie dieses lebenswahre, geist¬
sprühende Werk eines echten Dichters seine tiefe
Wirkung auf das sehr blasierte Publikum eines
Premierenabends im Volkstheater ausübte, es
gab sogar Applaus wie bei der Entdeckung
eines neuen Talentes, und am nächsten Tage
konnte man aus den Zeitungen erfahren, daß
die „Liebelei“ den Herrn, der Schönthau lobt,
antiquiert anmutet. Glücklicherweise ist Schnitzler
über Lob und Tadel erhaben. Der Dichter hatte
diesmal, soweit die weibliche Seite in Betracht
kommt, eine ganz mustergültige Garde zur Ver¬
fügung, die nicht nur mit Lust und Liebe bei
der Arbeit war, sondern auch tiefes Verständuis
mitbrachte. Frl. Waldow als Mizzi Schlager
bewies in dieser ihr fast auf den Leib geschrie¬
benen Rolle, daß sie nicht nur eine sehr ver¬
wendbare Kraft, sondern auch eine selbständige
Schauspielerin ist, der man ruhig schwierigere
Aufgaben anvertrauen kann. Frl. Hanne¬
mann als Christine gab sich redliche Mühe
und erzielte im Höhepunkte der Handlung durch
ihre tiefinnerliche Darstellung starke Wirkung.
Einigermaßen störend wirkte nur der Mangel
an Kenntnis des wienerischen Dialektes. Herr
Kramer war nicht in seinem Element, aber
gut. Herr Edthofer versagte in seiner gewiß
sehr schwierigen Rolle vollständig.
Die Sen¬
sation des Abends war eigentlich ein Einakter:
„Komtesse Mizzi“ oder „Der Familien¬
tag“, eine fein ausgedachte Geschichte, die in
Buchform stark wirkt, aber auf der Bühne durch
die Unwahrscheinlichkeit der Verhältnisse einiger¬
maßen befremdet. Herr Thaller gab mit
ehrlichem Humor einen stark magyarisierenden
Grafen, der seit langen Jahren ein Verhältnis
mit einer Balleteuse hat, die sich nun verheiraten
will. Vorher verabschiedet sie sich von ihrem
langjährigen Freunde und macht ihm bei dieser
Gelegenheit einen Besuch auf seinem Landsitze.
Da kommt nun die ganze Familie zusammen:
Empfangen wird die einstige Balleteuse von der
Tochter des Grafen, einem achtunddreißigjährigen
Fräulein, das mit ihrem Professor ein Ver¬
hältnis hat, aber in ihrer Jugend mit dem
besten Freunde ihres Vaters, dem Fürsten Raven¬
stein, einen Buben hatte, um den sie sich bis
heute nicht gekümmert hat; nun wird er von
seinem Vater, der ihn adoptiert hat, vorgeführt,
nachdem er die Matura glücklich bestanden hat.
Der Fürst macht auch der Komtesse einen
neuerlichen Heiratsantrag, aber sie nimmt vor¬
läufig noch nicht an. Diese merkwürdige Kom¬
tesse mit Vergangenheit und Gegenwart wurde
von Frl. Galafrés entzückend und ver¬
führerisch gegeben. Herr Kramer gab den
Fürsten in sehr eleganter Manier und Herr
Edthofer schuf, gleichsam um das Publikum
mit seinem früheren Spiel zu versöhnen, eine
köstliche Figur mit dem jungen Fürsten, den er
in seiner halb knabenhaften Frechheit und Früh¬
reifheit lebensgetreu auf die Bühne stellte. Das
Stück enthält außer dem selbstverständlich stets
geistvollen Dialog so manche scharfe Bemerkung,
so manche graziöse und auch kecke Wendung, die
ihre Wirkung auf das Publikum nicht ver¬
fehlten. Und so wurde es denn ein ehrlicher
Erfolg, der uns umsomehr freuen kann, da wir
uns kaum erinnern können, wann auf diesen
Brettern ein echtes Wiener Talent zur Sprache
getemmen ist. Schnitzler ist aber gewiß das
erste Talent der Jung=Wiener, wenn nicht ihr
einziges.