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20. Zuischenspiel
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Wien, 9.—14. Oktober. Diese Woche stand im Zeichen
Arthur Schnitzlers. Das Burgtheater, mit dem Schnitzler ein
padr Jährchen geschmollt hatte, führte sein neuestes Werk, die drei¬
aktige Komödie „Zwischenspiel“ auf. Als Uraufführung. Bekannt¬
lich hat Schlenther vor einigen Jahren Schnitzlers „Schleier der
Beatrice" zurückgewiesen. Daher datierte die Feindschaft Schnitzlers.
Nun scheint wieder alles geordnet zu sein. Kehre zurück, alles ver¬
gessen und — aufgeführt. Auch das „Zwischenspiel“. Das hätte
nämlich Schnitzler auf keinen Fall aufführen lassen sollen.
Dieses Werk hat seine einigermaßen berechtigte große literarische
Stellung stark in Mißkredit gebracht. Bloß um geistreich zu
sein, schreibt man kein Drama. Wenigstens ein Arthur Schnitzler
darf es nicht tun, der der mit seiner „Liebelei“ so etwas wie
ein neues Genre in der Dramatik schuf und uns mit dem
„Vermächtnis“ eine ganz bedeutende, freilich viel zu sehr
unterschätzte Dichtung und mit den „Lebendigen Stunden“
und den Anatolszenen brillante Bühnenwerke gab. Ein Artur
Schnitzler muß entweder auf der Bühne ein gewichtiges Pro¬
blem zu lösen versuchen, oder er läßt die Sache hübsch sein.
Für eine Tändelei ist sein Talent zu groß. Mit dem Zwischen¬
spiel ist das nun so eine eigenartige Sache. Wohl hat sich
Schnitzler hier an ein der Lösung wertes Problem gewagt —
er behandelt eine moderne Künstlerehe mit all ihren Schatten¬
seiten — aber er hat es so behandelt, wie es etwa ein
Possenautor, der mit den niedrigsten Mätzchen arbeitet, getan
hätte. Alles erklügelt, alles ausgetüftelt. Ein Kapellmeister
(Kainz), der auch Komponist ist, hat eine sehr hübsche junge
Frau (Lotte Witt), die Opernsängerin ist. Angeblich ein Star,
eine Primadonna. Sieben Jahre leben sie schon miteinander
(oder nebeneinander?), und ein kleiner Junge ist die Frucht
dieser glücklichen Ehe. Mit einem Male genügen sie sich nicht.
Sie suchen — Zerstreuung. Er zerstreut sich mit einer koketten
Gräfin (Frau Kallina), die seine Schülerin ist und sehr schlecht
singt, dafür aber in Verführungskünsten gut Bescheid weiß.
Sie — des Kapellmeisters Frau — zerstreut sich mit einem
jungen und feschen Fürsten (Korff), der wieder gut Walzer
spielen soll. Der beiden Zerstreuung ist also gegenseitiger
offener Betrug. Pardon. Wie sagt nur Schnitzler: „Wo
kein Betrug ist, ist auch keine Lüge.“ Da hätten wir's also.
Die beiden haben nämlich eine „Abmachung“ getroffen. Jeder
tut, was ihm beliebt, nur sagt er es dann dem anderen Teile,
was er „erlebt“ hat. Also eine Ehe, die auf Wahrheit basieren
soll. Und was geschieht? Sie geht in Trümmer. All das
Glück von ehedem wird dahin. Der Schluß? Es gibt gar
keinen. Oder doch. Der Kapellmeister reist ab: Frau Cäcilie
bleibt allein zurück. Der Vorhang fällt; es ist zehn Uhr.
Was hat Schnitzler getan? Nichts anderes, als uns drei
Stunden lang genarrt. Und diejenigen, die es sich nicht ge¬
fallen ließen, zischten. Und sie hatten Recht. Die Dialoge
waren von einer ermüdenden Länge. Ja, sogar einen Mo¬
nolog hat sich Schnitzler geleistet. Die humoristischen Szenen
gelangen ihm recht gut. Die Darstellung rettete viel. Genau
besehen, war es ein — Achtungserfolg. Ins Deutsche über¬
tragen — ein Durchfall. Hoffentlich macht das nächste Werk
Schnitzlers, der mir nach wie vor als der sympathischste
Dichter Wiens gilt, wieder alles gut. Auch Dichter dürfen
irren. Und als einen Irrtum will ich sein „Zwischenspiel“
gelten lassen. Hatte Schnitzler also im Burgtheater keinen
Erfolg, so war ihm dieser im Deutschen Volkstheater
doppelt beschieden, wo man seinen „grünen Kakadu“ (mit
Kramer, Birron und Frl. Galafres) und sein „Freiwild“ (mit
Jensen und Frl. Erl) ins Repertoire einschob. Ueber die
beiden Stücke, die eine treffliche Darstellung fanden, ist sonst
nichts zu sagen. Sie sind mir mehr wert, als ein Akt vom
„Zwischenspiel“ Mit dem „zerbrochenen Krug“, den das
Volkstheater mit dem Schnitzlerischen Einakter brachte, zeigte
sich Vallentin als glänzender Regiekünstler, nachdem ihm vor¬
her mit. „Rosmersholm“ sein Experiment ein wenig mißglückt
war. Ueber Henry Lavedaus dreiaktiges, von Alfred Halm
sorgsam übersetztes Schäuspiel „Der Marquis von Priola“
dessen Uraufführung im Stadttheater stattfand, möchte ich gerne
ausführlich sein. Doch heute geht es nicht mehr. In Kürze:
Ein schlechtes, aber interessantes Stück, eine spannende Don
Juan=Komödie mit einem paralytischen Helden. Glitzernde,
geistsprudelnde Dialoge, fein geschliffene Apercus mit wirk¬
samen Pointen. Salondramatik. Parfümierte Worte, parfü¬
mierte Frauen. Raffinement in Aufbau und Durchführung.
Die Titelrolle spielte Hr. Schönfeld als Gast. Einem Gast¬
spiel der Pepi Glöckner haben wir im Raimund=Theater
Rudolf Oesterreichers neue Posse „Bediene Dich selbst“.
danken. Inhalt: Frauenemanzipation. Dritter Akt: allgemeine
Heirat. Die humoristische Begabung Oesterreichers habe ich
schon im Vorjahre anerkannt. Auch diesmal schafft er ge¬
lungene komische Situationen. Einlagen helfen immer dort,
wo dem Verfasser der Faden zu reißen droht. Ein großer
Lacherfolg, vielleicht auch ein Kassenstück. Im Theater an
der Wien eine neue Operette: „Vergelt's Gott“ von Leo
Ascher, einem jungen begabten Wiener Komponisten. Originelle
Musik. Text: Viktor Léon. Diesmal gut. Handlung: ge¬
ring, aber unterhaltend. Spielt in Amerika. Treumann, der
vom Carltheater hierher übersiedelt ist, spielte die Hauptpartie.
Rudolf Huppert.