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20. Zuischenspiel
Wde# Burgtheater.
Arthur Schnitzlers „Zwischenspiel“. Komödie
n drei Akten.
In der neuen Komödie von Schnitzler steckt ein Pariser
Lustspiel. Da ist ein Kapellmeister Monsieur Adams, der seine
Frau und den seine Frau, eine Sängerin, nie betrügt, weil sie
sich vorgenommen haben, sich immer gleich die Wahrheit zu ge¬
stehen. Die Eheleute sind die Vertrauten ihrer außerehelichen
erotischen Vergnügungen. In einem Pariser Schwank könnte
diese ergötzliche Vertraulichkeit, das amüsante Beplandern ihrer
kleinen Abenteuer als Würze einer doch schon etwas mono¬
tonen Ehe begreiflich sein. Dieser Kapellmeister hält es im ersten
Akt mit einer Gräfin, die Sängerin mit einem Fürsten. Da wäre
nun schon ein Pariser Schwankaktschluß da, indem die beiden
einander durch ihre Abenteuer wieder interessant würden und sich
wieder in die Arme sänken. Nun ist aber der Kapellmeister
Schnitzlers ein tiefernster Komponist, den der Dichter sogar mit
dem Vornamen Amadeus auszeichnet. Die vermutliche Chanson¬
nette ist zur seriösen Opernsängerin erhöht und die Beplauderung
der erotischen Seitensprünge wird gar nicht leichtherzig=pariserisch
durchgeführt, sondern mit jenem zu Herzen gehenden Halbernst,
dessen Note Schnitzler so gut trifft.
Der Zuschauer fühlt, daß die Frau bei diesem unechten —
Wahrheitsvertrag eigentlich insgeheim, dem Gatten un¬
merklich, von zehrender Trauer gefaßt wird. Ihren sicheren
Instinkten muß sie die törichte Klugheit eines Freiheitsvertrages
in der Ehe doch erst aufzwingen! Das gibt natürlich einen viel
feineren als einen Schwankaktschluß. Der Zuschauer, der nur ein
klein wenig Expositionslangweile empfunden hat, erwartet jetzt
ein zartes, mit delikater Psychologie verschleiertes Lustspiel.
Der zweite Akt spielt ein paar Monate später Der Ehe¬
bruch mit der Gräfin ist schon beendet, die Sängerin kommt eben
von Berlin mit ihrem Fürsten zurück. Die Gatten sind zu bloßen
Freunden geworden, die es zustande bringen, miteinander über ihre
kurzen Abenteuer zu schwatzen. Beiläufig gesagt, eine Annahme
von so schaler Konstruiertheit, wie man sie auch nur im französischen
Schwank gern hinnimmt. Da erfährt die Sängerin die
komische Tatsache, daß der Graf einen Liebhaber der Gräfin ge¬
fordert habe, aber einen schon vor elf Monaten abgetanen.
(Nebenbei: Was wäre dieser Graf, der immer erst den schon ver¬
rzteRim MUnH
ameswamn. peurn
Heiterkeit ziehen. Auch diesen lächelnden Schluß müßte aber ein
flossenen Liebhaber fordert, für eine Maran=Rolle!) Dagegen
Franzose schreiben. Wenn ein Deutscher irgendwie den Ernst
vertraut die Sängerin ihrem Manne an, daß ihr Fürst auch schon
dieses erotischen Humors ausdrücken wollte, so müßte er
so ziemlich abgetan sei und daß sie dem sinnlichen Duft eines
den Zuschauer mit einer Variation des Wortes von Multatuli
Kollegen von der Berliner Oper zu erliegen fürchte oder hoffe.
entlassen: „Die Ehre des Menschen wohnt über dem Nabel.“
Das gestehen sich die beiden ungeniert, denn ihre Ehe ist ja schon
In einer einzigen Szene des dritten Aktes hat Schnitzler
aus. Es ist nur mehr dies bißchen ewige Freundschaft da. „Wir
den Ton seines Lustspiels getroffen. Das ist jene, in der der Fürst
lassen uns nicht scheiden, wir scheiden,“ hatte der Kapellmeister
Sigismund bei dem innerlich geschiedenen Gatten um die Hand
schon im ersten Akt gesagt. Aber daß es aus ist, ist gar nicht
seiner Frau anhält. Nach dem nächtlichen Zwischenspiel. Da erfährt
wahr, und im zweiten Akt packt den Musiker wieder die immer
nun der staunende Kapellmeister, daß seine Frau mit dem Fürsten
nicht erloschene Leidenschaft für seine Frau so fulminant, daß sie
nur geflirtet hat. Diese fröhliche, von Herrn Korff übrigens
ihm wieder erliegt. Der innerlich Geschiedene verführt in dieser
Nacht seine eigene Frau. Der Gatte als sein eigener Ehebrecher!
meisterhaft gespielte Szene war auch die einzige, in der das
Publikum aus einem Gefühl achtungsvoller Langeweile zu einem
Wenn das kein Pariser Lustspiel ist! Was die Frau in dieser
kleinen bißchen Lachen kam. Mit einem Wort: die Komödie Schnitzlers
legitim=illegitimen Nacht erlebt, hätte ein Franzose freilich besser
hat zu viel werden wollen und deshalb wurde sie zu wenig. Schnitzler
andeuten können. Der hätte sie einfach, belustigt oder bestürzt,
hat es nicht nötig, sein Talent künstlich hinaufzuschrauben. Er braucht
erstaunt oder erfreut, für einen Moment aus dem Schlafzimmer
herauskommen lassen.
auf die allzeit prompten Bewunderer nicht zu achten, die gestern
erst korporativ die Musik entdeckt haben und heute schon ein
Nein, sagt Schnitzler im letzten Akt, mein Stück ist kein
Andantino auf der Kniegeige spielen.
Lustspiel! Statt daß die mongtelang ausgehungerten Gatten
Was wäre die Schnitzlersche Komödie ohne Kainz? Nur
durch das erotische Wiedersehen der letzten Nacht heiter und
das vermagerte Gesicht dieses einzigen Künstlers anzusehen, dieses
leichter gestimmt würden, kriegt vor allem die Frau ganz regel¬
zuckende Gesicht, in dem alle Leidenschaften des Denkens zu spielen
rechte Ibsen=Zustände. Das Frauenzimmer düstert ganz unerträgliche
scheinen, war ein unerhörter künstlerischer Genuß. Und ebenso
Spintisierereien vor sich hin und bereut besonders, man weiß
überraschungsreich wie dieses stets veränderte Antlitz des Künstlers
nicht warum, das eheliche Zwischenspiel. Mit jedem, der ihr
ist seine Sprache. Wenn Kainz diesen Kapellmeister Adams gibt
gefällt, würde sich die freie Seele diese erlösende Nacht gestattet
dann vergibt man dem Dichter den Vornamen Amadens. Dieser
haben, nur mit dem nicht, bei dem sie schon so oft gelegen und
Musiker dürste sogar van . .. heißen. Fräulein Witt ist, bei
der ihr auch als Mensch, als Kamerad, als Vater ihres Kindes
aller Anerkennung ihrer Mühen, keine Partnerin für Kainz. Neben
lieb ist. Keinem anderen würde die Sängerin, die doch keine
Kainz ist Herr Treßler zu nennen, der einen ewig über¬
Choristin ist, am nächsten Morgen kurzweg adien sagen. Ihren
legenen Schriftsteller durch die Leichtigkeit und Diskretion seines
Mann schickt sie in der Früh, fast aus dem Bett noch, in die
Spiels erträglich machte. Die Gestalt des von Aphorismen
weite Welt. Diese plötzliche Verdrehtheit, diese unmotivierte
strotzenden Schriftstellers ist aber schon allzu abgeschabt, der Scherz,
Komödie von seelischer Interessantheit mag in der begüterten,
sich mittelst eines Schriftstellers über den Tölpel Publikum zu
israelitischen Bourgeoisie überzeugen, dort, wo es keine bedeutenden
belustigen, ist auch schon einigermaßen bekannt. Und wie ver¬
Frauen gibt, wo sich aber jedes bessere Mädchen, genau nach
schlissen ist schon die Originalität dieses Literaten, der sich über
den neuesten literarischen Erscheinungen, mit seelischer Bedeutung
die schlechte Regie der Wirklichkeit beklagt! Doch gibt es noch
drapiert. Naturwüchsig würde zu dieser Pariser Komödie des
ein ebenso altes Cliché in dem Stück: ein Kind, das symbolisch¬
Ehebruchs in der eigenen Ehe nur ein französischer Schluß
tiefsinnig mit einem Kindertheater spielt. An dieser Wurstelsym¬
passen: Nehmt das Erotische doch nicht immer tragisch! Nehmt
bolik zehrt die Jungwiener Literatur nun schon lange genug.
es doch nicht immer so schwer und ewigkeitsbedeutend! Aus
Stefan Großmann.
diesem Zwischenspiel könnten die Gatten nur einen Gewinn an