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20. Zwischenspiel
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zappeligen, hypernervösen Musiker, die sich schon äußerlich, ohne das fette und runde
Kinn ihrer Vorgänger, mager, bartlos und dunkelhaarig präsentieren. Auch diese können
wir in Wien mit den händen greifen, wenn wir auch nur über den Opernplatz gehen;
und darum spielt auch das Stück mit Recht in Wien.
Amadeus ist seit ungefähr sechs Jahren mit einer Opernsängerin verheiratet, deren
Name, Cäcilie, uns wieder an die erhabensten Wirkungen der Musik erinnert. Ein
blühender Knabe, jetzt fünf Jahre alt, ist der hochgestimmten Ehe entsprossen. Da
glaubi Amadeus zu fühlen, daß es zwischen ihm und seiner Frau nicht mehr beim alten
sei; und sie, der es nicht entgangen ist, daß er allen seinen Schülerinnen den hof macht,
kann ihm nicht unrecht geben. Er schlägt ihr vor, zu scheiden — aber in demselben
Augenblick, wo er sie freigibt, zieht er sie wiederum an sich. Daß ihre künstlerischen Be¬
ziehungen aufrecht bleiben, versteht sich für ihn ganz von selbst; ist er doch ihr bester
Korrepetitor und umgekehrt wieder gewohnt, daß sie ihm seine musikalischen Einfälle „ent¬
deckt". Natürlich werden sie auch ihren Buben gemeinsam erziehen; und so ist es am Ende
am besten, das gemeinschaftliche heim gar nicht aufzugeben und sich nach den Ferien
wieder zusammenzufinden. Da wollen sie als Kameraden hausen und einander nicht ver¬
lieren. Die Gattin wendet schüchtern ein, daß dann aber doch Geheimnisse, die sie vor
einander haben müßten, zwischen ihnen stehen würden; Amadeus aber meint, das dürfe
eben nicht sein! Er sagt der Geliebten Lebewohl und begrüßt die neue Freundin. Er
findet sogar, daß sich nicht viel geändert habe: „nur die Befangenheit ist fort, die Bangig¬
keit dieser letzten Wochen.“
Dasselbe findet freilich der Zuschauer auch, und er sieht sich durch den höchst kunst¬
vollen Dialog zu einem Ziel geführt, das den Ausgangspunkt aufzuheben scheint. Wenn
sich Amadeus bewußt ist, daß sie sich gegenseitig am besten verstehen, daß ihm keine
Freude mehr blühen würde, wenn er Cäcilie verlieren müßte — was ist denn dann
anders geworden zwischen ihnen? Die Antwort hat der Dichter in der ersten Szene vor¬
bereitet, wo Rmadeus einer seiner Schülerinnen auf seine, eine ganz merkwürdige Weise
den Hof macht. Er bricht die Musikstunde geärgert und gelangweilt ab, stellt der talent¬
losen gräflichen Sängerin seine Frau als unerreichte Künstlerin gegenüber und will von
der Zudringlichen, die weiß, daß er in sie verliebt ist, nicht durchschaut sein, weil er
nicht lügen kann, nicht lügen will. Das also ist es! Um einen Freibrief für Seitensprünge
zu haben, will er von Cäcilie scheiden und sie doch in seinem Geistesbann behalten. Er
will schuldlos sündigen oder, was auf dasselbe hinausläuft, in der ehelichen Kamerad¬
schaft frei sein. Ein Musiker der älteren Generation, so einer mit dem fetten Unterkinn,
hätte das leichter genommen als Amadeus Adams, dessen Sinnlichkeit voll von Geist ist
und dessen Musik offenbar von Geist und Nerven lebt.
Die Kameraden gehen also während der Ferien getrennte Wege. Er braucht nun
nicht mehr zu lügen, er geht mit ehelichem Dispens zu seiner gräflichen Schülerin, die er
bald satt ist, und sucht sich dann auf andere Weise zu übertäuben. Sie umgekehrt schreibt ihm
jeden Tag seitenlange Briefe und hofft insgeheim immer noch, daß er sie auf dem Lande
besuchen werde. Für ihrer beider Kunst bedeutet die Kameradschaft nur einen Vorzug.
Er hat in einem glücklichen Rugenblick, in momentaner Nervenerregung den Schluß zu
dem „Swischenspiel“ gefunden, das nicht ohne Grund „Capriccio“ genannt wird und das
nur Cäcilie singen kann. Sie ist als Künstlerin gewachsen, ihre Stimme ist voller und