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20. Zuischensniel
Ohr zu lauschen, und wessen Nerven nicht nur auf dramatische
Keulenschläge reagieren, dem wird diese Dichtung eine Fülle
von neuen Erkenntnissen vermitteln, dem wird sie ungeahnte
und reiche Schönheiten enthüllen.
Der Kapellmeister Amadens Adams und die Opernsän¬
gerin Cäcilie Adams=Ortenburg haben in glücklicher Ehe einige
Jahre mit einander verlebt. Sie hatten sich bei ihrer Ver¬
einigung das Gelübde gegeben, einander in keiner Hinsicht zu
beschränken und alle Gedanken und Empfindungen, die erlaub¬
ten und auch die unerlaubten, sich offen und ehrlich mitzu¬
teilen. Die Ehe war in Freiheit geschlossen und sollte ohne
Haß und Vilterkeit in dem Augenblick gelöst werden, wo einer
des anderen überdrüssig geworden sein würde. Dieser Augen¬
blick scheint jetzt gelommen zu sein, da Amadeus mit einer
koletten gräflichen Opernsängerin, Cäcilie mit dem jungen
Fürsten Sigismund eine Liebelei angeknüpft hat. Sie gestehen
sich ohne Scheu, wie die Dinge liegen, und die tiefer blickende
und seiner empfindende Cäcilie sucht noch in letzter Stunde
zeinen Rückhalt bei ihrem Eheherrn. Sie wünscht durch ihn
ihrer wachsenden, aber noch nicht übermächtigen Neigung zu
dem anderen entrissen zu werden. Amadeus, eine sanguinische,
er und Musik.
naive, von Augenblicksstimmungen abhängige Musikanten¬
natur, verweist sie aber leichten Herzens auf das gegenseitig
mer Theaterbrief.
garantierte Recht der völlig freien Selbstbestimmung. So
ns geschrieben: Keine elementaren
scheiden sie denn von einander, anscheinend fröhlich und guter
pfe kommen in Schnitzlers neuer
Dinge, er mit etwas weinerlicher Rührseligkeit, sie mit der
wischenspiel“ mit deren Auf¬
düsteren Ahnung eines drohenden Verhängnisses. Sie bleiben
ssingtheater einen interessanten
gute Kameraden und unterhalten von der Sommerfrische und
Der Held und die Heldin sind Ge¬
ihren weilläufigen Kunstreisen aus eine rege Korrespondenz.
ten, in vielfacher Hinsicht überspann¬
Nach einiger Zeit trefsen sie wieder in ihrem Heim zusammen.
senien und Empfinden sich in anderen
Er ist aufs neue in Liebe zu Eäcilie entbrannt und die Cifer¬
im sogenannten schlichten Naturmen¬
sucht martert ihn. Sie steht ihm mit denselben Gefühlen gegen¬
hlichen gemeinsamen elementaren In¬
über wie am Tage der Trennung. Die Neigung zum Fürsten
lich im Grunde auch sie, aber ihre
besteht nach wie vor, aber ein gewisses seelisches Reinlichkeits¬
keize, für die die unverbildete Psoche
bedürfnis hal sie vor dem letzten Schritt bewahrt. Eine Liebes¬
e Motive, die ihr Tun und Lassen be¬
nacht vereinigt das Ehepaar, und diese Nacht schafft Klarheit
tiler Art, ihr Innenleben ist so kom¬
in beider Seelen. Der gute Amadeus ist zu der Ueberzeugung
erungen sind so diskret, daß man mit
gelangt, daß ein Zusammenleben mit Cäcilie doch recht ange¬
gespannter Aufmerksamkeit auf jede
nehm und ersprießlich sei, und da er erfährt, daß sie ihm trotz
spielende Licht und jeden vorüber¬
des Umganges mit dem Fürsten Sigismund tatsächlich „treu
en muß, um alles zu verstehen und
geblieben“ ist. d. h. sich keinen Ehebruch hat zuschulden kommen
fragt sich, ob solche modernen Charak¬
lassen, so sieht er keinen Grund für eine weitere Trennung.
Träger einer dramatischen Handlung
Cäcilie aber ist durch das Abenteuer der Nacht darüber be¬
sine Jahrhunderte alte und durch ihr
lehrt, daß es für immer aus sei zwischen ihnen. „Eheleute
n verweist den Dramatiker auf kräfti¬
können mit einander, wenn sie nur die nötige Phantasie be¬
reMittel, und das Publikum hat sich
sitzen, auch uneheliche Kinder zeugen“ — die Wahrheit dieses
Brettern herab eine laute, schlichte,
Lehrsatzes, den der poetische Hausfreund Albertus Rhon zur
vernehmen, deren Verständnis sich
moralischen Basis seiner glücklichen Ehe gemacht hat, ist Cäcilie
Wer so wohlfeilen Genuß im Thea¬
jetzt zum Bewußtsein gekommen. Sigismund beherrschte ihre
Schnitzlers neuem Werk kaum auf
Wer sich aber bemüht, mit feinerem? Phantasie auch während der ehelichen Liebesnacht, mit ihm
hat sie die Ehe in ihrem Herzen gebrochen, die körperliche Treue
ist ihr nichts als ein leeres Wort. Zur Banalität einer äußer¬
lich korrekten. konventionellen Scheinehe will sie ihr Zusammen¬
leben mit Amadeus nicht entwürdigen. Den Ekel ihrer rein¬
lichen Seele vermag auch der Gedanke an ihr Kind, das fünf¬
jährige Peterl, nicht zu bannen. Sie setzt die endgültige Tren¬
nung durch, und Amadeus verläßt das Haus.
Durch Albertus Rhon, den Räsonneur des Dramas, läßt
Schnitzler wiederholt in ironischer Weise andeuten, wie wohl
aus der Geschichte des Ehepaares Adams ein regelrechtes Thea¬
terstück zu machen wäre. Zum Schluß müßten sie sich wieder¬
finden oder der Teufel müßte sie holen — so verlangt es das
Publitum. Auch könnte der kleine Peterl in rührenden Szenen
eine wirkungsvolle Rolle spielen. Ich bin überzeugt, daß auch
ein schwächerer Dramatiker, als Schnitzler, dieses Kunststück
mit leichter Mühe zuwege gebracht hätte. Daß der Verfasser
des „Zwischenspiels“ es verschmäht hat. mit Rücksicht auf die
Bequemlichkeit gedankenloser Parkettinfassen billige Kulissen¬
effekte zu erstreben, daß er uns statt eines im landläufigen
Sinne wirkungsvollen Theaterstückes lieber eine feine, dra¬
matische Dichtung gegeben hat — dafür wollen wir ihm dank¬
bar sein. Er hat, scheint mir, dadurch der ästhetischen Kultur
im Lande der Dichter und Denker einen wertvolleren Dienst
erwiesen. Denn sein „undramatisches“ Stück zwang das Pu¬
blikum von der ersten bis zur letzter Szene in seinen Bann,
und zwar waren es nicht die raffinierten Premièrenbesucher,
sondern die harmlosen Sonntagsgäste des Lessingtheaters, die
ich zu beobachten Gelegenheit hatte. Gewiß trug die glänzende
Darstellung mit Bassermann als Amadeus und Irene
Triesch als Cäcilie ihr Teil zu dem Erfolge bei, aber in der
Hauptsache — den Eindruck gewann ich — war es doch die
Kunst des Dichters, die wunderbar anziehende und fesselnde
Eigenart Schnitzlers, die das Publikum nötigte, einmal wider
seine Gewohnheit leiseren und zarteren Tönen sein Ohr zu
J. S.
leihen.
S