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20. Zuischensniel
Lee oe
Nr. 37.
vogen
Die Neue Gesellschaft.
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Beiden spielt, die wahrscheinlich, wie die meisten über¬
Einen leisen Ansatz zur modernen Seelenkomödie
spannt Modernen, in seliger Spießerei enden werden; dann
bringt Arthur Schnitzler mit seinem „Zwischen¬
aber, indem alles zwischen Bewußtsein und Empfinden
spiel“*) (Less ig=Theater). Dieser Wiener
sich abspielt, nie recht Leidenschaft, nie recht Dernunft
Dichter ist heuteeeinste Kopf von allen, die in Deutsch¬
wird, sondern ein Spiel ist, das der von modernen
land für das Theater schreiben. Aber es fehlt ihm
Prinzipien, feelischer Freigeisterei und lockenden Sehn¬
jene Unmittelbarkeit, jene unbefangene Kraft, die auf der
süchten der Phantasie geleitete Mensch mit sich selber
Szene packt. Und in seinem jüngsten Werk hat er über¬
treibt. Aber der Dichter macht zwar feine Beobachtungen
dies nicht verstanden, das, was sich in den Seelen
und geistreiche Bemerkungen, er hat die Zartheit des
seiner Belden abspielt, anschaulich und wirksam zu
Stils und des Dialogs, die nötig ist für diese Art ver¬
machen. Die eigentliche Komödie des modernen Men¬
feinerter Menschen, aber er hat nicht Ohantasie genug
schen, der viel zu kompliziert geworden ist, um noch
und ist nicht fruchtbar an Einfällen, nicht von jener
natürlich zu empfinden und dessen Gefühlsleben sich schon
Rücksichtslosigkeit der Seelenentschleierung, um diese
gar zu sehr im Bewußtsein abspielt, wird eben sein jetzt
Komödie deutlich und glaubhaft zu machen. Und was
erst falsch gewordenes Bewußtsein von sich, ist die
der Dichter uns schuldig geblieben ist, hat die Darstellung
Komödie, die er sich selbst vorspielt, die er sich seibst
aus sich heraus nicht schaffen können, zu schweigen von
vorspielen muß, um vor sich und seinem eigenen Sitten¬
dem, was sie noch verfehlt hat. Das Unbestimmte blieb
gesetz zu bestehen. Besonders, wo die Liebe in Betracht
auf der Bühne noch unbestimmter. Zu einem Bühnen¬
kommt. Hier handelt es sich um zwei Künstler, einen
erfolg wird es die Komödie auch in Berlin nicht bringen,
Komponisten und eine Sängerin, die sich, als sie
die in Wien kühl abgelehnt worden ist. Eine drama¬
heirateten, gegenseitig volle Freiheit und volle Oisen¬
tische Halbheit auch sie.
heit zusagten. Nun ist es mit dieser Freiheit wie mit jeder
anderen auch. Man hat sie, solange man sie nicht
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braucht. Die freie Ehe, in der moderne Menschen sich
verbinden, ist an sich schon ein Widerspruch. Und mit
der Ehrlichkeit und Offenheit ist es meist in dem Augen¬
Ernst Preczang: Zweifel.
blick aus, in dem man den inneren Widerspruch, sei
es auch noch so leise, bemerkt. Denn die Wahrheit kann
Im Sonnenbrand, auf staubiger Chaussee
nicht bestehen, wo schon die Lüge herrscht. Und unsere
wandert, am Stricke die Ziege,
beiden Künstler belügen auch mehr sich selbst als einer
ein altes, grauhaaliges Mütterlein.
den andern. Daß diese innere Komödie nicht konkret
„Wohin mit der Ziege, Frau?“
genug wird, liegt an den beiden Charakteren, nament¬
Müde hebt sie den Kopf: „Schau,
lich dem weiblichen, sie haben beide etwas Unbestimmtes,
der Herr Pfarrer!“ Sie knixt.
etwas, das man nicht fassen, nicht sehen kann; und zum
„Ach Gott, Ehrwürden, die Ziege
Teil liegt es auch an den Eherirrungen selbst, die in
soll nach der Stadt.
dem einen Fall noch gar keine rechte Eheirrung ist und
Ich muß sie verkaufen..
im andern ur auf ein flüchtiges Abenteuer hinausläuft.
Hab nicht satt ...
So macht denn die Schnitzlersche Komödie den Eindruck
Sie zittert und schluchzt.
der Mattheit, ihr fehlt das Zwingende, die innere Logik
„Nicht satt!“ Betrübt nickt der Pfarrer
des Geschehens, ohne die es kein gutes Drama gibt.
und läßt seinen Blick
Am gelungensten ist noch der zweite Akt, in dem die
weit über die leuchtenden Felder schweifen:
Sängerin von einer erfolgreichen Kunstreise aus Berlin
„Da steht nun das Korn in unendlichen Reihn —
zurückkommt, berauscht von ihren Triumphen, von der
„Entschuldigen, Herr Pfarrer;
Freiheit mit den neuen „Verheißungen“, eine andere
aber das Korn ist nicht mein.“
geworden, mit aberteuerlichem Sinn, mit ausgebreiteten
„Ja, ja.“ Er nickt wieder.
Armen dastehens, und wartend, und den eigenen Mann
Dann hebt er von neuem die Lider
in diese Arme lockend, daß er der Verführer seines
nach der anderen Seite:
Weibes wird. Aber gerade das wird der Grund ihrer
„Seht da in die Weite!
Trennung, weil sie in diesem Augenblick jeden andern,
So fern man schaut — ein Ernteglück!
der gerade da gewesen wäre, auch in ihre Arme gezogen
Erdäpfel dort — ach, Stück bei Stück,
hätte, und sie überdies ja dabei eine ganz andere war, als
Gewaltig läßt Gott den Segen gedeihn!“
das Weib, mit dem er sieben Jahre zusammen gelebt
„Ehrwürden, verzeiht. Die Kartoffeln
hat. Das war eine stille, gütige Frau, aber die, die
gehören nicht mein.“
heute kam, hat eine Stimme, die er nie gehört, Blicke,
„Wohl, wohl, liebe Frau. Die Güter der Welt
die ihm fremd sind, eine noch unbekannte Schönheit,
sind ungleich verteilt.
sie ist nicht besser, eher grausamer, aber mehr geschaffen
Doch ist's mit der Seele nur wohl bestellt
zu beglücken. So betrügen sich denn die Eheleute mit
und Frohsinn im Herzen
sich selber und verlassen sich um dieses Betruges willen,
und Treue und Glauben,
der schlimmer ist, als alle vorangegangenen seelischen
und laßt Ihr Euch Euern Gott nicht rauben ¬
oder fleischlichen Ehebrüche. Denn, so erfahren wir
Die Alte sinkt schluchzend zu Füßen ihm hin:
schon im ersten Akt, man kann auch, wenn man modern
„Herr Pfarrer, vergebt mir Sünderin!
und differenziert genug ist und Phantasie hat und zu
Als die Ziege ich heut' aus dem Stalle nahm,
leben weiß, Abenteuer im eigenen Heim haben, so daß
o, was da für ein Gedanke mir kam!
einem die eigene Frau, ohne daß sie es ahnt, uneheliche
Ehrwürden, Ehrwürden, nehmt's nicht als Spott!
Kinder zur Welt bringt. — Die Komödie ist im doppelten
Es bricht mir das Herz —.:
Sinne ein Zwischenspiel, erstens, indem sie zwischen der
Wir Armen haben wohl keinen Gott ...!“
Ehe und der Trennung, wo nicht dem Wiederfinden der
mh#########
*) Berlin S., Fischers Verlag.
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