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20. Zwischensniel
202 Hus dem Kunstleben.
Leseing -Cheater.
Arthur Schnitzler: „Zwischenspiel“.
Eine meisterhafte, auf Schnitzlers künstlerische
Individualität mit Sorgsamkeit und Geschick ab¬
gestimmte Darstellung täuschte einen Teil der alten
Stammbesucher des Lessing=Theaters wohl — zwei
Akte wenigstens — über die Tatsache hinweg, daß
diese feinziselierte Arbeit mit der Bühne so gut wie
nichts zu tun hat. Vielleicht war es auch mehr Sym¬
pathie für den interessantesten und begabtesten Dichter
des heutigen Wien als Wärme für sein Werk, die ihm
zu einem vollen (nur zum Schluß schwach bestrittenen)
Achtungserfolg verhalf. Gleichviel — der Beifall
war wohlverdient, wenn man die Komödie rein¬
literarisch und nicht durch die Kassiererbrille des
Zugstückjägers betrachtet. Aber kaum ein anderer
aus der Zunft der gegenwärtigen Poeterei hätte es
ohne schmähliche Niederlage wagen dürfen, einen
an irgendwelchen Vorgängen so blutarmen Stoff zu
einem drei Akte schweren Bühnenwerk zu gestalten.
Es gehört in der Tat ein ungewöhnlicher Aufwand
von Geist, Grazie und Psychologie dazu, aus diesem
dramatischen Nichts ein Etwas wie dies zu machen.
Eine Ehekomödie! zwei reife Menschen, Kapell¬
meister und Sängerin, haben sieben Jahre in glück¬
licher Ehe miteinander gelebt — und kommen nun
in das Alter, das Goethe etwa mit der „zweiten
Pubertät“ bezeichnet. Sehr fein hat die subtile
Seelenkunde Schnitzlers den
bei reifwerdenden
Menschen charakteristischen Wettstreit zwischen Resig¬
nation und Lebens= ja: Abenteurerlust hier gestaltet.
Die schmerzlich=süße Früchtezeit des Lebens, da alle
Gärten bunt schimmern, läßt von schöneren Früh¬
lingen träumen, als die Wirklichkeit sie
mals bringt. Ist
es nicht der Herbst, der
einen unhemmbaren Wandertrieb in der Brust
des Vogels weckt? Hörst Du den Wildgansschrei
hoch in den Lüften? O herbstlich Menschenherz,
auch Dir ist noch ein Süden mit azurnen Sommern
beschieden ... So etwa mögen die beiden Gatten
Amadeus und Cäcilie denken, mögen sie träumen,
als sie in ihrer Liebe zu einander das erste herbst¬
liche Frösteln spüren. Schon schweifen ihre Blicke
verlangend nach einem neuen Glück aus — Cäcilie
ist von den Huldigungen eines jungen Fürsten,
Amadeus von den Reizen einer jungen Gräfin
entzückt. Mit der Ruhe psychologischer Analytiker
sprechen sich die Gatten aus und beschließen, fortan
nur Freunde noch zu sein
keins soll dem Glück
des Anderen im Wege stehen. Drei Akte hindurch
wird nun dieser Zustand — etwas akademisch, aber
immer mit Geist
wie an einem Bratenwender
hin- und hergedreht. Der Parallelismus, in diesem
Sinne für Bühnenoptik so ungünstig wie möglich, ist
gleichwohl fein erdacht und sinnreich durchgeführt.
Einmal noch, am Schluß des zweiten Aktes,
finden sich die Beiden und sinken sich selig
in die Arme. Aber ihre wilde Herbstessehnsucht ist
dadurch so wenig gehemmt wie die der Schwalbe
durch einen heißen Oktobertag. Wie sollte auch
eine Liebe nicht verbluten, die man drei
Akte hindurch seziert? Verdienen denn, fragt
die kluge Ehephilosophin, verdienen die vielen
Stunden, die uns zu anderen locken, weniger
Glauben als dieser unser kurzer Rausch? Nein, sie
ist ihrer nicht sicher, sie ist nicht neugierig ein Ende,
das Ekel in sich birgt, kennen zu lernen. So gehen
beide ohne Abschied auseinander. Zum neuen
Glück?
oramanisch Aklängieken, seivst mit dem Geschick
eines Schnitzler, man kann große Leidenschaft
nicht mit der mikrokosmischen Lupe erfassen. Dies
Werk hat keinen Horizont und darum kein höheres
Interesse..
Was uns dennoch an ihm fesselt, ist
ein gewisser schwermütiger Leichtsinn, der über dem
Ganzen wie halbe Herbstbeleuchtung liegt, eine mit
tändelnder Satire und überlegener Ironie durchsetzte
Wehmut um verschollene Seligkeiten, ist die feine
Kunst, mit der Schnitzler Schleier auf Schleier von
den Seelen hebt und wieder senkt, ist die sauber
geschliffene Art, mit der selbst retardierende
Momente, die bei andern Dichtern ermüden
würden,
zu kleinen Zierraten psychologischer
Schmiedekunst herausgearbeitet werden. Vor allem
aber fesselt uns das sichere Gefühl, hier von der
Hand eines vornehmen Künstlers auf so absonderliche
Nebenpfade der Dramatik geleitet zu werden, eines
Künstlers, der jedes Mittel alterRoutine, jeden aus¬
getretenen Pfad, jeden abgenutzten Steg, jeden Über¬
rumpelungsversuch unserer Empfindung nach plumper
Sudermannsart — stolz verschmäht. Wir waren in
guter Gesellschaft
Und in dieser künstlerischen Delikatesse eiferten
die Darsteller dem Dichter nach. Bassermann,
dem die gebrochene Linie der Schnitzlerschen Ge¬
staltung besonders zusagt, gab das Auf und Ab,
das Hangen und Bangen des von Zweifeln,
Hoffnungen und stiller Resignation hin= und
hergeworfenen Gatten mit überzeugender Wahr¬
heit und den saubersten Abtönungen. Ein
wenig zu lang gedehnte Sprechweise und zu lang
gedehnte Gliederbewegungen sollte der große Künstler
nicht zu weiterer Entwicklung gelangen lassen. Frau
Triesch hatte die Aufgabe der Gattin in ihrem Kern
erfaßt und brachte so eine wunderbare Lebensgestalt
zutage
— das alte Wort Wallensteins bewies hier
wieder einmal seine Wahrheit: „Hab' ich des
Menschen Kern erst untersucht, so weiß ich auch sein
Wollen und sein Handeln.“ Mit goldechtem Humor
gab Herr Reicher einen drolligen Librettisten.
Die übrigen Darsteller reihten sich würdig an. Die
Regie hatte tüchtig und klug gearbeitet. Namentlich
kam der Dialog zu reinster Geltung, er floß prächtig
dahin, leicht bewegt und in allen Nuancen glitzernd,
wie wenn über ruhigen Strom ein zarter Wind auf
leichten Sohlen läuft und die Fläche silbern kräuselt.
Karl Strecker.,