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20. Zuischensniel
box 25/5
uum
Theater und Mulik.
Gastspiel von Josef Kainz.
Zum ersten Male: Zwischenspiel. Komödie in drei Akten
von Artur Schnitzler.
[(Leipziger Schauspielhaus, am Sonäbend, den 30. Oktober.)
So hat uns denn Kainz nach all der großen klassischen Kost, die er
in immer neuen Gängen in d. sen vergangenen beiden Wochen auf¬
tischte, gestern auch einmal eine moderne, zeitgenössische Speise vorge¬
setzt und nach so viel buntem farbenglühenden Kostümpomp kam er
uns endlich einmal auch wie unseresgleichen, als ein Mensch unserer
Tage, unserer Kultur, im Alltagskleide unserer Gegenwart. .. Und
in dieser Verwandlung — um es gleich zu sagen — hat er uns sein
Feinstes gegeben, hat er auch den Ungläubigen, Skeptischen gezeigt, doß
er ohne jede Deklamation, ohne Pathos, ohne alle die Raffinessen seiner
Sprechkunst, Menschentum zu zeichnen, zu zergliedern, es in allen
seinen Irr= und Wandelgängen aufzudecken vermag, wie nur je ein
großer Meister .. . Dies eigenartig fesseinde, seltsam ergreifende, an
den dunklen Abgründen unserer überfeinerten, nervösen Kultur mit
ironischem Spott, mit melancholischem Lächeln, mit leisem Wehgefühl
vorübergleitende Bühnenspiel Artur Schnitzlers, das er uns
gestern als Novität brachte, gab Kainz mehr als reichliche Gelegenheit,
in das Dämmerdunkel rätselvoll sprunghafter psychischer Regungen
hineinzuleuchten. Der Amadeus Adams, den er gestern vor uns zer¬
gliederte, ist eine der schwierigsten und problematischsten Gestalten, die
die moderne Bühne hervorgebracht hat. Kein Zweifel, daß es einer
der geistvollsten Köpfe unter den lebenden Literaten deutscher
Zunge war, der ihn gestaltete! Wir kennen und schätzen in Schnitzler
ja seit Jahren den führenden Dramatiker des jüngeren Oesterreich,
wir kennen seine geschmeidige Hand, mit der er Bilder aus dem Leben
unserer Zeit so feinlinig, so vorsichtig, geschmackvoll, so mit zartestem
graziösem persönlichem Kolorit (und daher stets künstlerisch bei
aller Wirklichkeitsabschilderung!) für die Bühne nachgezeichnet hat.
Wir haben seine feine stille Art, die mit so ruhiger Sicherheit an Wun¬
den rührt, ohne ein dramatisches „Halloh!“ darüber zu rufen, so
manches Mal mit innerer Freude und Anteilnahme von der Bühne her
empfunden. Auch diese „Komödie“, die doch im Grunde eine so bitter¬
ernste Tragödie vor uns enthüllt, sie gab uns gestern viel von dem,
was wir von Schnitzler zu erwarten gewohnt und berechtigt sind. Und
doch entließ sie uns in zwiespältigem Gefühl . .. Der scharfé Ibsen=
Nachgeschmack, den sie mit ihrem letzten Akte hinterläßt, er verdunkelte
und dämpfte den Genuß an dem so ungemein geistvoll und intim an¬
gesponnenen Zwischenspiel Schnitzlers.
Es ist das urewige Thema der Künstler=Ehe, dem der Oesterreicher
seine geistreiche Variation abgewonnen hat. Zwei geniale Musiker¬
Naturen haben ein eheliches Glück von besonderer Tiefe durch Jahre
hindurch genossen. Allein die nervöse, von den modernen Kultur¬
errungenschaften angekränkelte Phantasie des Mannes erträgt ein
solches Glück auf die Dauer nicht. Es treibt ihn, durch ein frevent¬
liches Spiel dies Glück zu zertrümmern. Er redet sich seibst und seiner
Frau ein, daß sie völlig frei sein müssen, beide, um wirklich glücklich
nebeneinander weiterleben zu können. Und dann, als er seinen Willen
durchgesetzt hat, als er glauben muß, daß seine Frau die Freiheit ebenso
benutzt hat, wie er selbst, da erkennt er an seinem rasend aufsteigenden
Verlangen, an seiner wütenden Eifersucht, daß er sie liebt, und allen
seinen Theorien zum Trotz nicht leben kann, ohne sie auch als Weib zu
besitzen. Als sich nun gar ergibt, daß sie makellos geblieben ist in
diesem „Zwischenspiel“ da kommt er jubelnd und glühend zu ihr zurück.
Nun aber weist sie ihn von sich, denn sie hat den Glauben an ihn ver¬
loren — das Zwischenspiel wird zum Finale dieser Ehe. ..
Hat Schnitzler damit die Tragödie des Künstlers schildern wollen,
der mit dem Fluch des ewig rastlosen Geistes, der ewig schweifenden
Phantasie belastet, nie die Ruhe in einem dauernden Glück zu finden
vermag? Oder hat er die Tragödie des liebenden Weibes geben wollen,
das mit allen Werten und Schätzen seiner Liebe an der geistigen und
seelischen Unruhe des Mannes zu Grunde geht? Beides wird ihm
vorgeschwebt haben, für beide Themen mischt er mit gleich abwägender
Hand die stimulierenden Elemente — aber das letzte, entscheidende
Wort zu sagen hütet er sich, er entläßt uns im Dunkeln, im Zwielicht.
Wir fühlen es lebhaft: es sind Edelmenschen, die da auseinander¬
gezerrt werden, sind hochwertige Naturen mit so vielen großen Glücks¬
möglichkeiten trotz ihres modernen, krankhaften Tricks — und begreifen
nicht recht (trotz aller geistreichen Worte, die alle für die Notwendigkeit
dieses Endes plädieren), warum sie nicht an irgend einer Stelle doch
das rechte erlösende Liebeswort finden, das sie zu einander führt. Ja
lieber Schnitzler: so altmodisch sind wir immer noch ... wir trauen
der Macht des Herzens größere Wunder zu als derjenigen des
Geistes!
Indes — die Hauptsache war ja doch Kainz gestern, nicht
Schnitzler. Nie habe ich seine Größe so gefühlt als gestern in diesem
letzten Akt, wo er nach der erlösenden Unterredung mit dem vermeint¬
lichen Liebhaber seiner Frau aufjubelte, aus tiefstem Herzen erlöst,
jubelte und tanzte vor Freude wie ein kleiner Bub. Dann ans Klavier
stürzte, um in Jubelhymnen seine ekstatische Seligkeit auszutoben. Um
endlich vor der Zurückweisung durch seine Frau wie zu erstarren und
in wildem Schmerzparoxysmus unterzugeben ... Ja, das war der
beste, der geniale Kainz —
nehmt alles nur in allem. Gewaltigeres
haben wir von ihm nicht gesehen. Das ausverkaufte Haus hat es ihm
durch stürmischen, nicht endenwollenden Beifall gedankt.
Die eminent schwierige Rolle der Gattin war Frl. Hedwig
Reinau, zugefallen. Daß sie sie nicht erschöpfte, ist selbstverständlich.
Aber sie waxzimmerhin äußerlich glaubwürdig. (Der Schönheit glaubt
man ja de Bedeutung so gern) und das mag anerkannt sein. Für
die hürsch arrangierte Szenerie des Musikgemachs hatte die Regie des
Hapen Herterich das Möglichste getan.
Dr. Egbert Delpy.