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schagncenechanuhnacenmn
es erlebt! Ich habe es auch erlebt. Wir alle haben es erlebt:
Kinder, zum Beistand fürs ganze Leben.
Gefühl, Neigung, Liebe, das kommt und geht, ohne nach
Ungeduldig, spöttisch lächelnd ging er. In den nächsten
Gesetz oder Wille zu fragen. Nichts, gar nichts haben wir
Monaten versuchte das Paar mit allen Mitteln modernen
dazu getan, weder Zeit noch Ort gewählt, und plötzlich ist
Seelenraffinements die verlöschenden Flammen von neuem
die erste liebende Regung da. Drüben aber, weit drüben,
anzufachen. Doch aus der Asche loderte jetzt die Glut des
auf der anderen, dunklen Seite, graut der Abend, schreckt
Hasses empor. O wie war es abscheulich, als der lang vor¬
das Sterben einer Liebe. Jener weint still ergeben vor sich
bereitete Bruch endlich mit Eclat erfolgte! O wie war das
hin, ein zweiter knirscht in tobendem Trotz mit den Zähnen,
häßlich, brutal und gemein!
ein dritter begießt das welkende Pflänzlein mit den tausend
Diese wahre Geschichte könnte fast Wort für Wort als
Quellen der seligen Erinnerungen — umsonst! Sie können
Inhaltsangabe des „Zwischenspieles“ dienen. Das
alle drei den Tod der Liebe nicht aufhalten, die nach uner¬
Merkwürdige aber an der erdichteten Komödie ist,
forschlicher Fügung sterben muß. Gefühl, Neigung, Liebe,
daß nicht nur Held und Heldin, sondern auch der Dichter
das wird, wächst und vergeht, indes Menschensatzung und
selber, er, der als Puppenspieler die unglaublich zerspal¬
Menschenwille ohnmächtig beiseite stehen.
tenen, dünnen Fäden seiner Marionetten lenkt, diesen
Aber ich sagte ja schon: mit Worten, kühlen Theorien,
springenden Punkt, diese differencia specifica
ist diesem Stück nicht beizukommen. Vielleicht kann ich's,
zwischen Liebe und Ehe nicht zu kennen scheint oder nicht
indem ich eine kurze, selbsterlebte Geschichte erzähle: Ich
kennen will. Sein Held Amadeus Adams, der von Kainz
kannte einmal einen jungen Musiker, der, verschlossen und
mit fast schöpferischer Kraft der Nachempfindung gespielt
in sich gekehrt, nur der Kunst lebte, ein Grübler und
wurde, ist Kapellmeister und zugleich Komponist. Die Hel¬
Träumer. Eines Tages sang eine berühmte Sängerin ein
din Cäcilie Adams=Ortenburg ist eine berühmte Opern¬
paar seiner Lieder. Er kam, hörte und liebte. Und was er
sängerin. Alles trägt sich zu, wie in meiner Geschichte. Auch
gar nicht zu hoffen gewagt hatte, geschah, er wurde wieder¬
dieses Paar hat bei Abschluß des Traumes weder die Stärke
geliebt und erhört. Nun wurde der Sinnierer ein ganz
auseinanderzugehen, noch die Fähigkeit, ihr Verhältnis
anderer Mensch: hell, klar, froh, lachend, leuchtend. Nie
auf die ruhigere — erkaltete erstarrte Lava ist fruchtbarer
hatten wir Wenigen, die er seiner Freundschaft würdigte,
Humus! — Ehebasis zu stellen. Sie beschließen, in unge¬
ihn so gesehen. Im April war's, in einem wundervollen
schlechtlicher Kameradschaft weiter beisammen zu bleiben.
Vorfrühling. Alle Knospen quollen. Auch des Freundes
Dabei lugt schon jedes nach einem neuen Traum aus. Der
Mann findet ihn bei der Opernsängerin Gräfin Friederike
geheimste Kräfte blühten. Einen Tag nach dem andern
konnte man ihn schon um 4 Uhr morgens in den sanften
Moosheim, die Frau in einem harmlosen Flirt mit dem
Fürsten Siegmund Maradas=Lohsenstein. Da Schnitzler
Waldtälern rund um Wien herum antreffen, pfeifend,
beharrlich Ehe und Liebesrausch identifiziert, so leben bei
singend, glückschluchzend, schaffend. Nie war ihm seine Kunst
so leicht geworden. Gegen 8 Uhr kehrte er heim, kleidete sich
ihm Herr und Frau Adams jetzt als sehr wahrheitsliebende“
Freunde miteinander, der Mann aber steht mit der Gräfin
rasch um und holte sie ab, um sie zur Oper zu geleiten.
War die Probe vorüber, dann gingen sie zusammen hinaus
die Frau (allerdings nur platonisch) mit dem Fürsten in
in den Frühling oder in eine Gemäldeausstellung oder einer Art Gewissensehe. Gerade dieses komplizierte Verhält¬
nis jedoch läßt dem Musikus seine Frau wieder begehrens¬
sonstwohin. Den ganzen Nachmittag musizierten sie mit¬
wert erscheinen. Der einstige Gatte und jetzige Freund
einander. Niemand verstand ihn so wie sie. Niemand sang
seine Lieder so wie sie. Dafür studierte er wieder alle Rollen
erobert sich mit bestrickenden Schmeichelworten für eine
Nacht seine Gattenrechte wieder und bricht so die zwei
mit ihr. So wie er verstand es kein Korrepetitor, ihre
Gewissensehen. Die Folge dieses neuartigen Ehebruchs
reproduzierende Kraft bis zu den äußersten Grenzen
unter Eheleuten ist, daß sich der Ehemann, der seine Gräfin
emporzutreiben. Waren sie beide mit eigener Arbeit
ohnehin schon satt hat, neuerdings in seine Frau zu ver¬
weniger beschäftigt, dann geleitete er sie durch die Herr¬
lieben glaubt und hocherfreut ist, als er aus zuverlässigem
lichkeiten von Musik und Dichtung der toten Meister,
Munde erfährt, daß zwischen dem Fürsten und seiner Frau
denen er einmal gleich werden wollte. Den Abend verlebten
nichts vorgefallen sei. Es wäre also alles gut. Die Basis
lie im Theater, sei es, daß sie sang und er mit kritischer
k einer Ehe in meinem Sinne, welche der Hafen ist, in den
Andacht lauschte, sei es, daß sie beide andächtig=kritisch
man still auf gerettetem Boot heimkehrt — wer mehr for¬
lauschten. O Feierzeit, o reiche Zeit!
dert, muß scheitern —, einer Ehe, welche durch kleine Sei¬
Ein Jahr später kam der Musiker, den wir alle fast
tensprünge des Mannes nicht erschüttert werden kann,
ganz aus den Augen verloren hatten, zu mir, seinem lang¬
wäre nach wie vor gegeben. Jetzt aber will Frau Cäcilie
jährigen Freund, und klagte mir in leidenschaftlichen
nicht mehr mittun. Alles Zureden und alle Bitten des Ka¬
Worten ein bitteres Leid. Außerlich sei in seinen Beziehun¬
pellmeisters verhallen ungehört, und schmeczüberwältigt
gen zu der geliebten Frau keine Anderung eingetreten. Sie
stürzt der Abgewiesene auf den Bahnhof, eine längere Tour¬
sänge noch immer seine Lieder, er korrepetiere noch immer
nee anzutreten. Cäcilie aber sinkt unter heißen Tränen in
jede Rolle mit ihr, sie läsen noch immer zusammen Goethe,
ihrem verlassenen Heim zusammen, was Fräulein Witt
sie lebten noch immer als Mann und Frau in freier Ge¬
irrigerweise so darstellte, als sei sie in dreizehnter Stunde
wissensehe. Aber obwohl scheinbar jeglicher Anlaß zu einer
wieder anderen Sinnes geworden.
Anderung ihres Gefühlskomplexes fehle, empfänden sie
Mit den üblichen Formeln läßt sich diese seltsame Welt
eins wie das andere mit Schrecken, wie der betörende
des „Zwischenspiels“ nicht abfertigen. Es besteht wohl kaum
Zauber, der sie bisher umfangen gehalten hätte, Stunde
ein Zweifel, daß die außerordentlich subtile Dichtung ein
für Stunde schwächer würde, wie die unsägliche Ekstase ihrer
schlechtes Theaterstück ist. Die vierfache Wurzel des Übels
Liebesgemeinsamkeit allmählich verblasse und wie ihr
erblicke ich erstens in der schon ausführlichst erörterten Sub¬
großes, früher unausschöpflich scheinendes Glück in Nichts
stitution von Liebe für Ehe; zweitens in dem Mangel
zerrinne. Wie das Fliehende halten? Wie das Verlorene
irgendeiner Handlung, irgendeines Aufeinanderprallens
wiedergewinnen?
von Willensentladungen im ältesten Sinne. Es wird ge¬
Zu jener Zeit stand ich gerade vor dem Abschluß
redet und geredet und wieder geredet, Stimmungen kom¬
meiner juristischen Studien. Auf meinem Tische lag das
men, werden zergliedert und verwehen, es ist ein ewiges
allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für das Kaisertum Öster¬
Auf und Nieder, in dem keiner weiß, was er will oder nicht
reich. Ich griff danach, schlug es auf und las meinem
will, ein rechtes Bild unserer zeitgenössischen Nervenmen¬
Freunde den zweiten Satz des § 44 vor: „In dem Ehe¬
schen. Den dritten Mangel sehe ich darin, daß in der Ko¬
vertrage erklären zwei Personen verschiedenen Geschlechtes
mödie kein einheitlicher Ton festgehalten ist. Verführt durch
gesetzmäßig ihren Willen, in unzertrennlicher Gemeinschaft
zu leben, Kinder zu zeugen, sie zu erziehen und sich gegen= den Titel „Komödie“ und durch die Fülle von Selbstironie,
seitig Beistand zu leisten.“ Das ist in der Diktion ein wenig die das Stück birgt, haben viele Zuschauer durch zwei Akte
veraltet, nicht wahr? Aber es steckt die tiefe, alte Weisheit hindurch geglaubt, es handle sich um eine Satire auf den
modernen Stimmungsmenschen, der mit seiner über¬
darin, die du nicht zu kennen scheinst, daß Liebe und Ehe
spitzten psychologischen Analysis jede einfache, reine, unbe¬
zwei ganz verschiedene Dinge sind. Zum mindesten diese
fangene Empfindung zerslöre. Erst im dritten Aufzug er¬
Traum= oder Rauschliebe, die ihr gerne festhalten möchtet.
kannte man, daß die Sache sehr ernst und der Titel Ko¬
Aufbauen kann sich allenfalls auf solch einem Traum die
mödie ganz anders gemeint war. Der vierte und letzte Fehl:
Ehe. Erinnerungen an eueren Frühling, ein Kind, euere
das Mißliche, das mit dem Auftreten eines schaffenden!
Gemeinschaft in der Kunst, der Beistand von Mensch zu
Mensch, dessen niemand entraten kann — wenn nur eines Künstlers auf der Bühne immer verknüpft ist. Wir müssen
von diesen Elementen stark wirkt, so kann es eine gute Ehe es dem Dichter aufs Wort glauben, daß Adams ein ge¬
Mientantisch fingen, snngen 1e
Gesang, eines wirkt so grotesk, wie
Augenblicken.
Schnitzler ist unser Bester. Bra
werden, daß solchen Mängeln ganz
züge gegenüberstehen, die besonders
Buch wird in einigen Wochen, nach h
bei S. Fischer in Berlin erscheinen
tung kommen? „Zwischenspiel“ ist e
es nur einem Meister gelingt, voll I#
tails und metaphysischer Weisheit,
großen Stiles, wie der „einsame B
was ihr wollt, nur kein gutes Thea
Dieser Ansicht waren auch die
Burgtheaters, ein Publikum, un
Schnitzler wohl der erklärteste ist. 1
rend der Aufführung, einige Hervo
am Schluß Applaus, von stärkerem
dieses Zischen war der ehrliche Au
eher pein= als lustvollen Gefühle,
erlösende Befriedigung die von tragi
in ungewissem Zwielicht dämmernd
verläßt. Zwischenspiel! Ich wünsche
den ich wie seine Kunst liebe und ver
Ziele, nach denen er seit einigen Jah
und daß dieses „Zwischenspiel“ in
Schaffen eben wirklich nicht mehr
bedeute.
Wilh
Wien.