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19. Der Ruf des Lebens
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ogl. 5.3. L. 1-6er.
letzte Seligkeit mit Marie zusammen, bevor er sich den Tod gibt.
In der friedevollen Resignation einer spätsommerlichen Stille
Kunst und Wissenschaft.
erwacht sie von neuem zum Leben, das sich nicht nur in der Tra¬
gik großer Leidenschaften, sondern auch in den Wundern der Na¬
tur und in der bescheidenen Enge des Alltags darbietet. Dieser
Pl Ein neues Draura von Schnitzler. Aus Berlin, 24. Febr.,
Inhalt, der freilich des Bizarren und Ueberraschenden genug
#1.
wird uns geschrieben: Arthur Schmuts neues dreiaktiges
bietet, ist von Schnitzler mit einem reichen künstlerischen Leben
Schauspiel „Der Ruf des Ledens ging am Sonnabend
erfüllt worden, in dem sich eine feine Kraft des Charakteri¬
im Lessing=Theater mit ziemlich stark bestrittenem Erfolge zum
sierens mit einer abgeklärten Reife der Weltweisheit verbindet.
ersten Mal in Szene. Was wohl die meisien Besucher verwun¬
Wundervolle Feinheiten offenbaren sich in den Dialogen der
derte und irre machte, waren die gelben und fast theatralisch
dem Tode vermählten Offiziere, in den düster spöttischen Geist¬
vorbereiteten Handlungsmomente, die man an Schnitzler, dem
reichichkeiten des Obersten, in dem großen Gegensatze der sich
feinen Psychologen seelischer und stiller Konflikte, nicht gewohnt
zwischen Marie und ihrer schwindsöchtigen, dasLeben in gierige
war. Unser Publikum ist durch das naturalistische Miliendrama
Bügen austrinkenden Kusine Katharina auftut, in unendlich
sehr skeptisch gegen Morde und Ueberraschungen geworden. be¬
sielen andern Einzelheiten. Die Darstellung war vortrefflich,
sonders wenn sie sich nicht in dem idealen Gewand des Mythos
sund so wurde dem, der an Aeußerlichkeiten vorbei in die innere
und der Historie verstecken. Aber bei Schnitzler an Suder¬
Schönheit dos Werkes blickte, ein großer und reicher Eindruck
#annsche Effekte denken zu wollen, heißt das wahrhaft Dichte¬
fübermittelt.
rische und Echte gegenüber der bloßen Mache arg verkennem Auch
die Menschen dieses Dramas entladen sich in plötzlichen Aus¬
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brüchen einer wilden Leidenschaft, aber es ist kein Theaterdonner,
der hier rollt, sondern die Notwendigkeit ihres Tuns enthüllt sich
Krein aus den Charakteren. Es ist ein Beweis für die Verzärte¬
lung und Blutlosigkeit unseres dramatischen Empfindens, wenn
man jetzt bei jeder tragischen, dramatisch zugespitzten Handlung
Zeter schreit. In die Mitte des Jahrhunderts werden wir ver¬
setzt, nach Oesterreich. Ein Krieg ist ausgebrochen und die Re¬
gimenter ziehen in eintönigem Gerassel durch die Straßen.
Eines von ihnen, die blauen Kürassiere, zieht in den Tod; vor
30 Jahren hat es durch seine plötzliche Flucht eine Niederlage ver¬
schuldet, und nun bitten die Offiziere den Kaiser um die Gnade,
jene alte Schuld durch ihr Leben sühnen zu dürfen. Von denen,
die damals feige die Flucht ergriffen, lebt nur noch einer, der
alte Rttmeister Moser, der in seiner schweren Krankheit von sei¬
ner Tochter Marie gepflegt wird und mit seinem Mißtrauen und
seiner Selbstsucht die Arme quält. Marie liebt einen jungen
Offizier von den blauen Husaren, Max, mit glühender Leiden¬
schaft, und als sie hört, daß das Regiment in aller Morgenfrühe
des nächsten Taues ins Feld rückt, gibt sie dem Vater, um sich
von ihm zu befreien, einen schweren Schlaftrunk, an dem er
stirbt; sie selbst stürzt davon, um dem Geliebten ein einziges Mal
anzugehören. Leutnant Max hat ein Verhältnis mit der schönen
Frau seines Obersten, die ihn in der Kaserne aufsucht, um ihn
zur nächtlichen Flucht vom Tode ins Leben zu überreden. Der
Oberst. eine seltsam zwiespältig charakterisierte Figur, tritt da¬
zwischen und streckt seine Frau mit einem Pistolenschuß nieder.
Max wird sich selber richten, aber vorher genießt er noch eine 1
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