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19. Der Ruf des Lebens
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Dies Drama ist technisch von einer geradezu fenilen Unbeholfen= daß ein Reiterregiment in die Schlacht zieht, um bis auf den letzten
des Lebens
Mann umzukommen, ist doch nicht als eine läppische Komödian¬
heit und leidet inhaltlich — um das kurz und deutlich herauszusagen
terei. Glaubt Herr Schnitzler im Ernste, daß in irgend einem
— an moral insanity. Man wird uns nicht im Verdachte haben,
San
Heere der Welt ein Oberst, der die Absicht kund gibt, ein ganzes
unter die Lex=Heintze=Männer gegangen zu sein, die nur die Buch¬
euischer=Themer, 24 Februan)
stolzes Reiterregiment à la Max Piccolomini zu schanden zu reiten?
staben=Moral des „Du sollst —“ und „Du sollst nicht —“ wollen
Daß der auch nur 24 Stunden länger im Kommando belassen würde?
wärtigste Quälgeist von Vater, der
gelten lassen. Wir haben keinen Augenblick daran gezweifelt, daß
Der Krieg ist kein Schlächterhandwerk, und wenn schon der kein
verleugnung gepflegt wurde. Vor
„der Ruf des Lebens“ nichts and# es sein würde als der Brunst¬
guter Soldat ist, der nicht bereit ist das Leben einzusetzen: ein noch
er der blauen Kürassiere, in einem
schrei der sexuellen Begierde; denn die ist das einzige, wofür es sich
viel schlechterer Soldat wäre der, der bereit ist, es in Hamlet¬
versagten, das ganze Regiment
nach Schnitzler's Dichtungen zu leben lohnt. Aber daß Schnitzler
stimmung wegzuwerfen. Und nun sollen wir uns gar ein ganzes
sen. Diese Schmach will der jetzige
diesen Grundsatz mit einer so brutalen Gefühlsroheit predigen
Reiterregiment von Hamlets vorstellen! Ist das etwa nicht zum
dem er es in den sichern Tod führt.
würde, wie in der Schlußszene des 2. Aktes, das konnte man nicht
Lachen, weil's von Artbur Schnitzler ist?
en Kürassiere hat Marie, die Toch¬
erwarten. Man denke sich: da am Boden liegt die Ehebrecherin, die
e Ballnacht durchtanzt. Dann hat
der Leutnant so oft in seinen Armen gehalten hat, mit der tötlichen
Im Lessingtheater freilich gab's Leute, die diesem unappetit¬
Kugel im Leibe, die ihm gehört hätte, aber noch nicht erkaltet, und
ergessen hat sie ihn nicht. Morgen
lichen Gemisch von Gefühlsroheit und Abgeschmacktheit rasend Bei¬ 8
Alte läßt sie nicht fort, da vergiftet
schon läuft er mit der zweiten davon, um vor dem sicheren Tode
fall klatschten — zu Anfang. Nach jedem Aktschluß freilich wurden
m Schlaftrunk und läuft zu ihrem
rasch noch diesen jungen Leib zu genießen. Dieser Leutnant ist kein
sie kleinlauter und die Zischer lebhafter, was Herrn Schnitzler nicht
t der zweite Akt. Sein Oberst hat
Mensch mehr, für den wir Teilnahme empfinden könnten, sondern
hinderte, vor dem Vorhange zu erscheinen und sich dankend zu ver¬
einer Frau zu sein; der Leutnent
ein Vieh, das einen ehrlichen Soldatentod nicht verdient hat.
neigen. Auch die besten Kräfte des Lessingtheaters vermochten das
Seite fechten, Herr Oberst.“ — In
Immerhin mag solch ein Vieh denkbar sein. Aber will Herr
Stück nicht zu retten, die dankbarste Rolle des Obersten hatte
Schnitzler uns einreden, daß eine virgo intacta — der Leser wolle
t Marie gelaufen und verbirgt sich
Bassermann, die Triesch mit all ihrer Kunst war als Marie
hst erscheint der Leutnant mit der
verzeihen, wenn wir physiologisch reden, Herr Schnitzler zwingt
eher zu beklagen. Eine Episodenrolle — eine Schwindsüchtige, die
Geliebten dem sichern Tode zu ent¬
dazu — sich in unbändigem Sinnenrausche, toll und blind über den
die wenigen, ihr noch verbliebenen Jahre im wildesten Tempo durch¬
er springt der Oberst, schießt seine
noch nicht erkalteten Leib ihrer Vorgängerin weg dem Geliebten
tollt — ward von Grete Hofmann — sonst Frau Kammersänger
utnant, mit sich das gleiche zu tun.
in die Arme wirft?
Ernst Kraus genannt — nicht übel gegeben. Die Inszenierung
da stürzt Marie yervor, der Leut¬
brachte zwei Interieurs im Biedermeierstile — das Stück spielt in
Darin eben liegt die moral insanity dieses Stückes, daß allen
wie „Oskar Wilde sagen würde —
den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts — und eine Wald¬
Menschen darin die natürliche Achtung abgeht, die der gesunde
und der ganze dritte Akt hat weiter
und Wiesenlandschaft, die erfolgreich mit Reinhardt'schen Stimm¬
Mensch vor der höchsten Majestät empfindet, die er kennt: vor der
len, daß der Leutnant am Morgen
Dr. Paul Harms.
seiner toten Geliebten zu erschießen.] Majestät des Todes. Auch die ganze Voraussetzung des Stückes, ungskünsten in Wettbewerb trat.