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19. Der Ruf des Lebens
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Deutsche Rundschau.
geltendzumachen. Aber das parteilose Amt eines Direktors und der schauspielerische
Drang lassen sich nur zum Vorteil des Theaters vereinigen, wenn es sich um so
hervorragende Talente handelt, wie es Friedrich Haase in Leipzig und Ludwig
Barnay im Berliner Theater waren; eine Durchschnittsbegabung wie die Max
Grubes, die alles Mögliche im „Charakterfach“ spielen wollte, geriet beständig mit
der Pflicht des Direktors in Zwiespalt. Zwischen dem neuen Intendanten, Georg
von Hülsen, und dem Oberregisseur soll von vornherein keine innere Übereinstimmung
geherrscht haben, und der Gegensatz mußte sich verschärfen, als das Schauspielhaus
während der letzten drei Jahre überhaupt aufhörte, in dem Theaterleben Berlins
eine Rolle zu spielen.
Am 1. Januar 1906 ist Max Grube aus dem Verband des Schauspielhauses
geschieden und Hofrat Ludwig Barnay als Direktor mit der Leitung der Bühne
betraut worden. Bei dem Rufe, den Barnay als einer unsrer ersten Helden¬
schauspieler genießt, bei der dankbaren Erinnerung, die ihm das Publikum
von seiner Leitung des Berliner Theaters in den Jahren von 1888—1893 noch
bewahrt, als er diese Bühne zu der volkstümlichsten unsrer Stadt machte, wo von
dem Kaiser bis zum bescheidensten Bürger, von Theodor Mommsen bis zum jüngsten
Studenten sich Vertreter aller Stände und Berufe zusammenfanden, hat diese
Ernennung die höchsten Erwartungen erweckt. Weit über alle Möglichkeiten der
Erfüllung hinaus. Denn Barnay ist im Schauspielhause nicht mehr, wie vordem
im Berliner Theater, der unumschränkte Herr, und da er schon dort kein besonderer
Freund der modernen Dramatik war, wird er in seiner neuen Stellung noch weniger
geneigt sein, ihr ein großes Entgegenkommen zu beweisen. Seine künstlerische
Vergangenheit und seine Neigung weisen ihn mehr auf die Pflege des klassischen
Dramas als auf eine Erweiterung des Repertoires, mehr auf die Ausbildung des
Bühnenbildes in großem Stil als auf die Kleinkunst Max Reinhardts hin. Gegen¬
über dem Lessing=Theater, dem Deutschen Theater, dem Neuen und dem Kleinen
Theater, die allen Wandlungen des Geschmacks und der literarischen Mode gern
und rasch folgen und dafür immer ein neuerungssüchtiges und sensationslüsternes
Publikum finden und das neumodische Ding „Die Première“ mit ihrem prickelnden
Reiz und gelinden Gruseln zur Virtuosität ausgebildet haben, hat das Schauspiel¬
haus neben der Erhaltung seines klassischen Repertoires die ernstere, historische und
romantische dramatische Dichtkunst, das bürgerliche Schauspiel und die feinere
Komödie zu fördern. In deren Pflege wurzeln seine besten Traditionen; darin
sollte es auch fernerhin seinen Ruhm suchen. Gewiß ist das Drama nicht dazu da,
künstlich den Patriotismus zu nähren, aber ein Nationaltheater, das nicht immer
wieder vom Flügelschlag der Geschichte durchrauscht, von dem Kothurngang der
großen Kunst erschüttert wird, dessen Darbietungen nicht mehr die tiefsten und
stärksten Saiten der Volksseele zu rühren vermögen, verdient seinen Namen nicht.
Die Deutschen mit ihrer Nachahmungssucht und ihrer Bewunderung des Fremden,
die zestern der französischen Frivolität nachlief und heute vor dem Magus im
Norden kniet, können nicht oft genug an das Wort erinnert werden, daß auch die
Kunst des Vaterlandes bedarf. Möge es Ludwig Barnay gelingen, das Schauspiel¬
haus wieder zu einer Heimstätte der deutschen dramatischen Kunst zu machen.
Unter den Aufführungen des Schauspielhauses in dieser Spielzeit beansprucht
nur eine, Oskar Blumenthals Lustspiel in drei Aufzügen, „Der Schwur
der Treue“, eine literarische Würdigung. Seit Sonnabend den 23. Sep¬
tember 1905, hat es sich bis heute in der Gunst des Publikums behauptet.
In der Erfindung gesellschaftlicher und ehelicher Irrungen und Verwicklungen, die
sich in der Sphäre des Scherzes und des Humors bewegen und den Ernst des
Lebens nur streifen, und in ihrer gefälligen Ausführung in einer leicht und glänzend
dahinfließenden Verssprache ist Oskar Blumenthal ein bewährter Meister. Die
Durchsichtigkeit und Verständlichkeit seiner durch keine Symbolistik getrübten Hand¬
lung, die Zierlichkeit und Anmut seiner Sprache sind Vorzüge, welche die Mängel