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19. Der Ruf des Lebens
New-rein,
Toxonto.
Leipzcer-Keueeie Nachrichten
Ausschnitt aus:
4-FEB 1907
vom:
Schurt.
Der Ruf des Lebens.
Schauspiel von Artbur S
Erste Aufführung im Leipziger##lhause.
(Sonnabend, 2. Februar.)
„Ihnen scheint die Sonne noch, und mir — und denen . .. ich
weiß nichts anderes auf Erden, das gewiß wäre.“ Mit diesen müde
resignierten Worten seines Raisonneurs läßt Schnitzler sein neues
Stück schließen. Der Bankerott einer Weltanschauung, die alle Blüten
der Ideale durch schonungslose Skepsis zerpflückt hat, und der nun
nichts mehr in den Händen blieb als die nackte Tatsache des Lebens.
Des Lebens mit Sonnenschein und Essen und Sattwerden und Be¬
friedigung der Gelüste, woran auch der Wurm schon seine Freude hat.
Gewiß, es ist etwas Schönes und auch Gesundes um die naive Freude
am Leben um des Lebens willen, und es ist auch bedauerlich, daß uns
Kulturmenschen diese naive Freude hie und da schon abhanden gekom¬
men zu sein scheint. Aber das Leben muß über das bles Vegetative für
uns doch auch einen würdigen und lebenswerten Inhalt haben. Und
der kann ihm nur von der geistigen Seite kommen. Sei er auch nur
in der allgemeinsten und elementarsten Form treuer Pflichterfüllung
gegeben. Die Arten des Lebens, zu denen Schnitzler in seinem Stücke
rufen läßt, sind gewiß nicht wert, daß man dem Rufe folgt.
Die Heldin seines Stückes läßt der Dichter im Anfang an einen
egoistischen kranken Greis gefesselt sein. Die blühendsten ihrer Jugend¬
jahre ist sie von der Welt und allen ihren Freuden abgeschlossen ge¬
wesen in dem dumpfen Krankenzimmer in der schier unerträglichen
Gesellschaft des brutalen und launenhaften Vaters. Ein braver Mann
wirbt um sie, der um ihrer Liebe willen ihre Base einst verschmäht und
dadurch unglücklich gemacht hat. Geduldig hat Marie ihr Los bis jetzt
ertragen. Da fordert sie der Hausarzt auf, dem Rufe des Lebens zu
folgen. Er meint den wackeren Freier. In Maries Innern haben aber
die Worte des Hausfreundes einen Sturm anderer Art aufgerüttelt.
Ueber die Leiche des Vaters hinweg, dem sie einen „Trank für 1000
Nächte“ mischte, wirft sie sich einem Offizier, mit dem sie einmal im
Leben eine Ballnacht durchschwärmt hat, für eine einzige Liebesnacht!
in die Arme. Vorber mußte sie im Zimmer des Offiziers Zeuge sein,
wie dessen Oberst ihn mit seiner Frau überrascht und diese nieder¬
schießt. Glaube wer will an diese Menschen, die
von
Leichen fort zu
einer Liebesnacht eilen! Aber sie
spuken
unter dem Einflusse Nietzschescher Ideen und moderner Renaissance¬
Liebhabereien tatsächlich in dem Hirne unserer modernen Dichter.
Schnitzler bat schon im „Schleier der Beatrice“ etwas Aehnliches ge¬
schaffen, und auch auf unserer städtischen Bühne sahen wir vor kurzem
eine ganz entsprechende Szene. Auch an jenen Offizier erging der
Ruf des Lebens, aber er warf — eine merkwürdigeInkonsequenz in der
Weltanschauung des Dichters — sein durch Schuld beflecktes Leben frei¬
willig von sich. Noch eine andere Frau taumelt, dem Lebensrufe fol¬
gend, durch ihr Dasein: Maries Base Franziska. Sie genießt es,
nachdem sie von jenem verlassen wurde, mit vollen Zügen durch eine
schleichende Krankheit sowieso dem baldigen Tode geweiht. Ermüdete
der erste Akt und stieß ab durch langausgesponnene Raisonnemen
und Brutalitäten, so wurde der zweite zuerst durch ein sein geführt
Gespräch zwischen dem Obersten und dem jungen Offizier eingeleit
ging dann aber zu noch brutaleren Theatereffekten über. Der drit
zerfließt in müde Resignation und entläßt den Zuhörer mit eine
ganzen Bündel ungelöster Fragen. Der neue Schnitzler gehört jedei
falls zu seinen am wenigsten erquicklichen Werken, wenn man au
über manche sinnvolle Stelle seine Freude haben mag. Erfreulichen
wie der Bühnenanblick ist die Lektüre des Werkes, die auch über manch
Zusammenhänge, die auf der Bühne verloren geben, aufklärt.
Die Darstellung vermochte eine einheitliche und befriedigende Er
klärung des Stückes noch nicht zu geben. Die Marie fand in Fr.
Herma Oswald keine der Rolle voll gewachsene Vertreterin. Di
Figur zerfiel in ihrem Spiel allzu sehr in einzelne Episoden. Treff
liche Leistungen gaben Herr Schreiner als Oberst und Her
Junker als Offizier, die vorzüglichste aber Frau Hruby al¬
lebensgierige treulose Gattin südländischen Bluts. Herr Forsa
machte aus seinem Kranken ein wünschenswert porträtähnliches Unge
heuer. Frl. Reimers konnte ihrer Katharina auch noch keinen ein
heitlichen Zug geben. Herr Willi hätte etwas weniger hausbacker
sein können. Herr Mühlhofer und Herr Wildenhain warer
an ihrem Platze.
Gustav Brendel.
Telephon 12801.
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P EMM
O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
O
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
O in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne GewahrA
*
6 Ausschnitt aManchnor
155
Ee vom: 5·FER1907
* Kleine Mitteilungen. Artur Schnitzlers drei¬
aktiges Schauspiel „Der Ruf ##“ das
bisher nur im Berliner Lessingtheater zur Auffüh¬
#ing gelangt war, fand bei vorzüglicher Darstellung
im Leipziger Schauspielhause sehr beifällige
Aufnahme. Freilich wirkten auch einige krasse Szeuen
lziemlich abstoßend.
Telephon 12.801.
„ODOERTER
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeltungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockheim, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.
Ausschnitt aus:
Hamburger Nachrichten
5-FEOASO
Hamburg
vom:
H. G. Leipzig. Eine das Schauspielhaus
kaum bis zur Hälfte füllende Premiere erlebte ddrt
am Sonnabend, 2. Februar, Arthu##
#
lers leite dramatische Arbeit
die nach der Uraufführung vor
kurzem in Berlin bis jetzt noch nicht weit herum¬
8
gekommen ist. Das tragische Schicksal liegt hier ja
in dem Konflikt zwischen Vater und Tochter, diese:
ein nach dem Leben sehnsüchtiges Mädchen, jener:
ein alter, siecher egoistischer Mann der sein Kind
zu seiner Pflege gewaltsam und für jede Minute
an sich gefesselt halt. Die Tochter tötet ihn, um
freizukommen, und findet doch nicht mehr, was sie
3
ersehnt hat. — Das Stück vermochte nicht sonderlich

zu packen. Der Grund erklärt sich bald, denn
bei vielen Vorzügen des Inhalts, der hin und
wieder Tiefen zeigt und dichterisch wirkt, tritt doch
auch (wie bei so vielen neueren Stücken) der ge¬
fährlichste Mangel auf, daß nach einer guten Ex¬
position das Ganze, statt zur Höhe aufwärts, einem
keeren Ende nach abwärts zustrebt, das in
seiner Nichtigkeit denn auch freilich einen vernichten¬
den Schatten über den ganzen Weg des Stückes
zurückwirft.