Faksimile

Text

rie en e ee e een enee
Stunden zusammengestampft, das Leben mit seinem
Jubel und seiner Niedrigkeit an ihrem Auge vor¬
über. Sie kommt in die Kaserne, sie schleicht sich
in das Zimmer des jungen Offiziers. Hinter dem
Vorhang des Alkovens muß sie sehen, wie die Frau
des Obersten, die seine Geliebte war, ihn besturmt
zu bleiben, nicht in den Tod zu ziehen, ihr zu ge¬
hören, wie der Oberst dazu kommt und die Treulose
erschießt, indem er dem Räuber seiner Ehre es
überläßt, das Urteil an sich selbst zu vollstrecken,
Da taucht sie hervor aus dem Versteck, in die Arme
des Geliebten, ihm zu gehören, auf wenige Stunden,
Theater und Literatur.
bis er sich im Morgengrauen eine Kugel vor die
Stirn schießt.
„Der Ruf des Lebens“.
Die beiden Akte, in denen sich diese atemlose
Schauspiel in drei Akten von Arthur Schnitzler.
Handlung abspielt, gehören zum dramatisch Stärk¬
Berlin, 23. Febrir.
sten was Schnitzler jemals geschrieben hat. Gewiß,
Soeben habe ich den neuen Schnitzler, der nun
es sind vielfach bekannte Klänge, die ertönen. Der
morgen im Lessing=Theater zum ersten Mal aufge¬
Arzt, der als ein feiner Raisonneur eingeführt
führt werden soll, gelesen — und da ich das Buch¬
ist — solch einen gab es ja auch im „Zwischenspiel“
aus der Hand lege, umfängt mich die nachdenkliche,
— kommt aus dem „Einsamen Weg“ herüber und
traurige und doch leise bestärkende Seufzerstimmung,
der zweite Aufzug bringt etwas wie die „Liebelei",
in die mich die Werke dieses lieben Dichters von jeher
von der anderen Seite her gesehen. Aber es blüht
einwiegen. Aus unbekannten Regionen naht etwas
doch ein neues Gruppenspiel auf, von wundersam
und tragt mich fort von dem Erdenfleck, auf dem ich
geschlossener und gedrungener Kraft, das auch auf
eben saß, das gedruckte Buch vor mir, trägt mich
der Bähne nicht unwirksam bleiben kann.
empor auf einen stillen Hügel hoch über diesem Pla¬
Weniger gelungen erscheint mir der dritte
neten. Und ich blicke hinunter und sehe die Menschen
Akt, in dem der wehmutsvolle Ausklang folgt. Er
an einander vorübereilen, einsam, scheu, mißtrauisch,
spielt draußen auf dem Lande bei der Tante, der die
voll heimlicher Eigenwünsche, voll verhaltener Gluten
schöne Tochter als zügellose Sucherin des Lebens
und schlummernder Leidenschaften. Und plötzlich er¬
davongegangen ist. Sie kehrt zurück in fieberhafter
tönt eine laute Fanfare in das Gewimmel der Adams¬
Ekstase, eine Verzehrte und Sterbende. Still steht
kinder unter mir. Ein Engel mag sie geblasen haben,
Marie neben ihr, der der treue Arzt Leben und
oder ein Teufel, und über die Häupter der wirren
Freiheit geschenkt, da er die Spuren ihres Vater¬
Gesellen rauscht wie mit Sturmesbrausen der „Ruf
mordes verwischte. Sie hat ihre glühenden Wünsche
des Lebens“. Da kommt ein Tumult in die Mensch¬
erfüllt, zur Erfüllung gezwungen, in einer Nacht
lein, und sie stürmen vor in wüster Hast, jagen sich
voll von schrecklichen Dingen, von Mord und Liebe.
den Rang ab, drängen und stoßen einander und laufen
Nun ist sie wieder wie einst. Alles ist wie ausge¬
im Sturm zu dem Strauch, da die Rosen blühen sich
löscht. Alle Schrecknisse schwinden. Ruhig beichtet sie
eine nur zu pflücken. Alle Wildheit, die in ihnen schlief,
dem Adjunkten, der ergriffen von ihr Abschied nimmt
ist erwacht, das Blut kocht und es gibt ein Betrügen
— vielleicht um sie noch einmal wiederzusehen! —
und Belügen, ein Morden und Sichgatten, ein Tau¬
Wundersam—! Ungeheures hat sich ereignet, aber
meln im Sinnenrausch und ein Versinken in der Un¬
was bleibt übrig? Daß die einen tot sind, und die
bändigkeit.
anderen leben, noch leben! Und noch Rechte haben!
Ich aber auf meinem Hügel oben, ich sehe das
Das ist hin, und das ist noch da. — „Ich weiß nichts
alles und sehe es wieder nicht. Alles bewegt sich vor
anderes auf Erden, das gewiß wäre“, so spricht der
meinen leibhaftigen Augen, aber es erscheint mir
Arzt zum Schluß. Und die Kinder, die auf der
doch wieder so unwirklich, nur wie ein Symbol, wie
Wiese dicht dabei gespielt, „lachen, laufen und ver¬
ein Gleichnis nur. Da steht der Dichter neben mir
schwinden im Wald.“
und sieht mich mit ernstem Blick an ....
Alles moralische Einschachteln von Gutem und
Und nun will ich kurz erzählen, was sich da
Sündhaftem versinkt vor dieser primitiven und doch
unten begab. Denn ich soll ja einen Bericht schreiben.
hohen Weisheit. Leben! Leben! Alles andere ver¬
Also. Es war einmal ein junges Ding, von
schwindet dahinter. Alles ist zu überwinden. Der
schönem Wuchs und mit runden Armen und wogendem
Mann ist sentimental; er sinkt in tausend Befangen¬
Busen. Die hieß Marie Moser und lebte allein mit
heiten; Kastengeist, Ehrbegriff, Pflichtgefühl, Auf¬
ihrem kranken Vater, einem bösen, argwöhnischen
opferungslust. Das Weib als das Urtümlichere,
Menschen, der sie bis aufs Blut peinigte. Das Leben
Naivere hängt mit dumpfem Empfinden, halb un¬
hatte sie wohl einmal geprüft und noch ein ander
bewuß“, die Angen verlangend in unbestimmte
Mal. Einmal, als sie bei der Tante und der schönen
Fernen gerichtet, am Dasein und seinen goldenen
Cousine draußen auf dem Lande war und der junge
Früchten.
Forstadjunkt die Cousine um ihretwillen verließ, um
Schnitzler hat die Einheit des Ganzen ein
ihr in stiller, innigerLiebe sich zu nähern. Aber stärker
wenig gefährdet, indem er im letzten Akt, der in einer
das andere Mal, als sie mit einem jungen Offizier
neuen szenischen Umgebung spielt, auch eine neue
tanzend die Nacht durchschwebte. Seit jener Stunde,
Tragödie einführt: in der entschwundenen und ster¬
da die Gier nach dem Leben in ihr erwachte und sie
bend zurückkehrenden Base Katharina. Freilich, er
nicht wieder losließ, da alle Sinne nach dem Manne
schrien, der sie durstig an seine junge Brust gepreßt, brauchte diese dramatische Aufstuchelung des In¬
teresses, weil sonst alles in nachdenksamer Betrach¬
kannte sie nichts als den einen Gedanken: ihm ge¬
tung verglimmen würde. Der Schluß wird darum
hören! ihm nur einmal gehören! Doch sie ist weiter
vielleicht morgen teils zerreißend, teils matter
in ihr Gefängnis gebannt bei dem bösen, kranken,
wirken; die Bühne ist ein anspruchsvoller Boden.
alten Mann, der sie peinigt und nicht von sich
Aber der Leser wird dies Werk, unter dessen auf¬
lassen will.
geregter Oberfläche sich Blicke bis in den Grund
Da erfüllt sich das Schicksal mit ehernem
des menschlichen Wesens bieten, nicht vergessen. Aus
Schritt. Der Krieg bricht aus, und mit den „blauen
den Verworrenheiten dieses Lebens den Sinn wahr¬
Kürassieren“ rückt der junge Offizier ins Feld. Er
zieht in den sicheren Tod. Denn vor dreißig Jahren haft zu deuten, wird keinem ganz gelingen. Aber ihn
hat das Regiment durch seine Feigheit eine Nieder= ahnen zu lassen, ihn unter Gleichnissen schimmern
lage verschuldet, und nun haben sich die Offiziere das zu lassen, weiß niemand wie Schnitzler. M. O.
Die Premiere.
M. O. Berlin, 24. Feb.
Schnitzlers „Ruf des Lebens“ errang am
Lessingtheater einen starken, wenn auch nach dem
zweiten und dritten Aufzug bestrittenen Erfolg.
In der vorzüglichen Aufführung tat sich namentlich
Irene Triesch als glänzende Darstellerin der
Hauptrolle hervor; neben ihr Reicher (Schindler),
Bassermann (Oberst), Rittner (Rainer), Marr
(Moser), Else Lehmann (Frau Richter), Grete
Hofmann (Katharina), Else Schiff (Irene), Stieler
(Max). Dem Ruf des Publikums konnte der Ver¬
fasser nach jedem Aufzug einigemale Folge leisten