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19. Der Ruf des Lebens


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die empörendste Beschmutzung der Menschenwürde er=Kürassieren „durch einen lichten Saal geschwe
Ewigkeit. Das große Drama ist von der großen
schienen. Ist die Hinrichtung an sich die größte, eine Obwohl man uns versichert, daß das Mädchen
Philosophie nicht zu trennen. Isoldens „höchste Lust“
untilgbare Schmach der menschlichen Gesellschaft, so Leutnant nach dem Balle hätte besuchen müssen, h
ist das Aufgehen im wehenden All, und Brünnhilde
ist der letzte Ruf des Lebens, die Gewährung einer sich die beiden seit jener Ballnacht nicht mehr gesc
schließt die offenen Tore des ewigen Werdens hinter
Lieblingsspeise oder einer Lieblingszigarre im Mariens bitterböser Vater ist dem Siechtum verf
und gab dem Kinde, das ihn aufopfernd pflegte,
sich zu. Das kann man schlechterdings von Fräulein
Angesichte des unerbittlichen Todes, die Gunst, vor
Stündlein frei. Nun aber sammeln sich die bi
Marie Moser nicht verlangen. Bleiben wir also bei
dem höchsten Richter mit einem angenehm gefüllten
Kürassiere zum Todesritt. Das schwindsüch
der kleinen Philosophie und bei dem kleinen Drama.
Magen zu erscheinen, nur der ärgste Hohn auf alle
Bäschen Katharina, auch eine Todeskandidatin,
Die blauen Kürassiere reiten morgen früh um
vier Uhr in den Tod. Das Regiment hatte vor vielen ! Menschlichkeit. Spott ist es und keine Gnade, den
gerade mit einem andern Leutnant vom T#
Jahren durch seine Flucht eine schimpfliche Niederlage Verurteilten, der beinahe schon drüben in den wunsch¬
regiment die letzte Nacht der Liebe geseiert.
klosen Gefilden des ewigen Seins angelangt ist, noch
Beispiel bringt Mariens Blut zum Sieden, im
verschuldet. Wieder ist ein Krieg ausgebrochen. Der
an die Torheiten des Lebens zu gemahnen und mit
schlag der Rosse, die das blaue Regiment ins
neue Oberst verbindet seine Ofsiziere, obwohl er und
den nichtigen Freudenresten der Erde zu reizen.
derben tragen, vernimmt Marie den Ruf
sie alle in der kritischen Schlacht noch gar nicht dem
Wer den Gedanken des Todes in seiner Größe
Lebens. Sie reicht dem grausamen Vater
Regiment angehört hatten, zu einem Eidschwur, die
erfaßt, wird also von allen Dingen, welche die tod¬
eine ergiebige Portion Gift — erster Tod. —,
alte Schuld der Vorgänger zu sühnen. Der Kaiser
gewährt den blauen Kürassieren die erbetene Gunst, geweihten Kürassiere in der letzten Nacht vollführen,
eine Stellung zu beziehen, in der sie allesamt denganz und gar nicht dramatisch berührt werden; nicht zu dem blauen Leutnant von damals in die Ka
von den stärksten und nicht von den winzigsten. Das verbirgt sich hinter eine Gardine seines Zimn
sicheren Untergang finden müssen. Der Fahnenehre
Stärkste: Der Oberst der blauen Kürassiere beeilt während der Oberst daselbst seine Frau, die Ges
wird die unschuldige, blühende Jugend geopfert. Der
sich, in der letzten Nacht noch seine Frau, die ihn mit des Leutnants, niederschießt — zweiter Tod —
Gedanke ist so schauerlich erhaben, unsre Singe
einem oder mehreren Leutnants hintergeht, nieder=okkupiert den Leutnant rasch vor seinem
dritter Tod und Gesamttod mehrerer hu
werden von dem Heldenschicksal mit solcher Gewalt
zuschießen. Man hört den Knall, aber das Gefühl
umklammert, daß nichts andres als die Vorstellung
bleibt taub. Der Vorgang ist undramatisch und läßt Menschen — für den Rest der letzten Nacht.
Liebesdrang im Leichengeruche nennt sie den
von dem spartanischen Massentod und die damit ver¬
uns gleichgültig, weil der Oberst, der bald darauf in
knüpfte Unsterblichkeitsivee in unsre Phantasie ein¬
des Lebens.
Man glaubt wohl an den furchtbaren
zudringen vermag. Soll die Empfindung aber den Tod reitet, gar nicht mehr die Verantwortung
dichterisch ausgeweitet werden, so könnte es nur auf seiner Untat trägt. Das Winzigste: Ist es nicht un¬
jammer der Marie Moser im dritten Akt, aber
endlich komisch, daß ein Leutnant von den blauen
an die Versicherung, daß dieser unappetitlichen2
dem Grunde epischer Darstellung geschehen.
Kürassieren, der wenige Stunden vor dem Todesritt
welche die Nerven eines Wachtmeisters haben
Dramatisch ist dieser Vorwurf nicht. Denn das
für Augenblicke sein Zimmer verläßt, noch seinen
der Ruf des Lebens später noch einmal „viel
Drama treibt den lebendigen Einzelwillen im Be¬
Mantel vom Nagel holt und umhängt, als ob er
und tiefer in die Seele klingen wird“. Die M
wußtsein seiner Freiheit zum Kampfe mit einer
fürchten müßte, etwa mit einem Schnupfen in den
des Todes wird in dem Schauspiel so arg verles
höheren Weltordnung. Hier ist aber kein Kampf mehr,
sicheren Tod zu gehen. „Aus is!“ sagt so hübsch der
die Majestät der allgewaltigen Liebe. Wer
sondern tote Gewißheit. In der Galgenfrist oder in
Oberösterreicher, ob ihm nun die Suppenknödel mit
grausliche Vetermord dem Mädcher wenigsten
der Kartätschenfrist von heute bis morgen kann sich
kein Charakter entwickeln. Es ist kein ethisches und der Schüssel zur Erde fallen oder ob seine Mutter der
volles, mächtiges, brausendes Leben eröffnet
kein dramatisches Moment, sondern einfach Befriedi= Schlag rührt. Mit diesem „Aus is!“ läßt sich kein
Aber ein Vatermord für die Liebesstunde mit de
Drama erzeugen.
erbittlich festgestellten Zeiger ihres Abschlüsse
gung der Neugierde, wenn wir erfahren sollen, was
Trotzdem hängt der Dichter ein Schauspiel in
die Verurteilten in der letzten Nacht vornehmen. Das
sogenannte Henkermahl vor dem letzten Gange, vor das „Aus is!“ ein. Fräulein Marie Moser ist vor tiefe Kluft zwischen dem furchtbaren epischen
kom Zwangsichritt in die Ewigkeit ist mir immer als einem Jahre mit einem Leutnant von den blauen grunde des Todesrittes und den dramatisch