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19. Der Ruf Lebens
Telephen 12.591.

„UBULRTER
I. österr. bebördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschaltts
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christianis.
Oenf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolls.
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Prters¬
burg, Toronto.
(Gslesagabe ohse dewähr.
Ausschnitt aus:
vom: I2 2 19/0 Teplitz-Schönauer Anzeige
Teplitz, Böhmen
I„Der Ruf des Lebens“—Schauspiel in
3 Akten von Arthur Schnitzler.] Beim Anhören
eines solchen Dichterw möchte man allein sein,
um sich ungstört den ergreifenden Eindrücken hin¬
geben zu können die die Worte des Autors in uns
hervorbringen. Inmitten einer hustendon und sich
räuspernden Mange, die sich auf knarrenden Sitzen
hin= und herschiebt, sind unsere Gedanken allzusehr
vom der Sorge beeinslußt, etwas von dam zu über¬
hören, was der Dichter uns zu sagen hat, und un¬
sere Phantasie fühlt sich durch die banalen Einwir¬
kungen aufgeschaucht, die von außen her unser In¬
nenwofen, das wir zur Gänze mit dem Inhalte der
Dichtung erfüllen möchten, beunnuhigen. Diese Em¬
pfindung allein zaugt für die Macht, die Schnitzler
auf unsere Sinne ausübt. Man möchte sein Werk
genießon im stillon Winkel einer friedlichen Abge¬
schiedenheit, um es voll und ganz genießen zu kön¬
nen. Denn es ist in seinem Inhalte ein Gefüge,
das der Dichter aus lauter Menschlichkeiten zu¬
sammengesetzt hat, und in seinen Worten ein Prunk¬
gewebe, das die feinsten Fäden seelischer Empfin¬
dungen und die goldig-schimmernde Pracht glühen¬
der Leidenschaften veranschaulicht. Schnitzler führt
in seiner Tragödie die Greignisse auf die höchste
Stufe dramatischer Entwicklung und läßt die Heldin
des Stückes von der plötzlich erwachten, nicht zu zü¬
galnden laidenschaftlichen Sehnsucht nach dem Le¬
ben, dessen Ruf sie zu hören vermeint, alle Schran¬
ken der Überlegung übensetzen und selbst von dem
Schrecklichsten nicht zurückschaudern, um von den
Fesseln befreit hinausstürzen zu können, ins Leben.
Aber sein Stück schließt micht mit der Disharmonie
des blutigen Eisektes oder der dramatischen Logik,
die eine Sühne als befriedigende Lösung bedingt.
Der Dichter führt den Zuhörer aus der glühenden
gleichlichen Art, die Tragödie in sanfter Milde und
versöhnend ausklingen zu lassen, das Gemüt zu
einer lichten Höhe der Befretung, die wie ein Bai¬
sam blutende Wunden heilt. Und hierin liegt wohl
auch eine charakteristische Eigenart des Dichters, der
in sich wohl noch immer den Beruf des Arztes
fühlt. Die Gestalt des Arztes in dem Stücke ver¬
körpert gleichsam die Ideen des Dichters, der durch
den Mund des ärztlichen Freundes zu den Men¬
schen wie ein Mensch spricht, der für sie fühlt und
sich nicht scheut, selbst dann offenherzig seine Mei¬
nung zu sagen, wenn man darin eine Gefahr für
die Gesellschaft erblicken lönnte, der ein Ratgeber
ist voll Menschlichkeit und richtiger, gesunder Le¬
bensauffassung und der schließlich die zutreffende
Tiagnose stellt und darnach seine Hoilmethode ein¬
richtet. So findet auch Marie, die Heldin des Stük¬
les, die dem vermeintlichen Rufe des Lobons gefolgt
ist und für eine einzige Stunde lodernden Genus¬
ses alles hingegeben hat, sich schließlich wieder, in¬
dem sie ihrem Dasein einan Lebensinhalt zu goben
vermag. Im Mittelpunkte der spannanden Hand¬
lung, die sich durch den geistvollen Dialog noch be¬
sonders bemerkbar macht, steht die Tochter des ehe¬
maligen Rittmeisters Moser, eben diese Marie.
Den alten Mann quält schwere, unheilbare Krank¬
heit und die Erinnerung an ein Juganderlebnis.
Er hat vor 30 Jahren seine Eskadron zur Flucht
bewogen und dadurch den Naman des Regiments der
blauen Kürassiere mit Schmach bedeckt. Er hat sein
Weib ins Grab gequält und peinigt nun seine ein¬
zige Tochter, die er mit hartherzigem Egoismus an
sein Krankenlagor kettet. Manie hegt eine schöne
Erinnerung in ihrer Bruft; ein einzigesmal im
vergangenen Winter war sie mit ihre Base Katha¬
rina ouf einem Ball und lernte einen Offizier ken¬
nen und lieben, einen jener blauen Kürassiere, die
einst vor dem Feinde geflohon sind. Nun steht wie¬
der der Feind an den Grenzen des Landes und die
Offiziere und die Mannschaft des Regiments haben
sich zugeschworan, die einstige Schmach durch den
e#enen Untergang zu ühnen. Sie wollen auf dem
gefahrlichsten Punkte kämpfen und keiner will aus
der Schlacht wiederkehren. Marie erfährt von die¬
sem Entschlusse durch den Doktor, der ihr dringend
rät, auch an sich zu denken und sich eine Stunde
Erholung in freier Luft zu gönnen. Über die Pflich¬
ten gegen andere stehen die höheren Pflichten gegen
sich selbst. Diese Worte, die Nachricht von dem To¬
desschwur der blauen Kürassiere und schließlich ein
Gruß, den die Base von dem Offiziere überbringt,
drängen sie zu dem Entschlusse, zu ihm zu eilen, nach
dem alle ihre Pulse schlagen, ihm ans Herz zu sin¬
ken, der dem Tode geweiht ist. Zur selben Stunde
enthüllt ihr auch der Vater die eigene Schuld, daß
er es gewesen, der vor 30 Jahren das Regiment
mit Schmach bedeckt. Sie vermag nun nicht mehr
dem Ruf des Lebens zu widerstohen. Einen Schlaf¬
trunk, den der Arzt für 100 Nächte bestimmt, füllt
Marie auf einmal in das Wasserglas des Vaters
und dieser finkt leblos zu Boden. Marie eilt in
die Wohnung des Geliebten. Hinter dem Fenster¬
vonhang verbongen, sieht sie, wie ihr Gekiebter sich
den Armen einer anderen, der Gattin seines Ober¬
sten, die ihn zu feiger Flucht mit ihr überreden
will, vergeblich zu entwinden sucht. Das Erschei¬
nen des Gatten, des Obersten, führt eine Katastrophe
herbei. Er schießt die Treulose nieder und weist
dem Offizier den Weg zum Selbstmord. Trotzdem
wirft sich Marie dem Offizier an die Brust, sie will
an seiner Brust die erträumte Seligkeit genießen.
Der letzte Akt läßt Marie in könloser, an dem
Zwecke ihres Daseins verzweifelnder Stimmung er¬
scheinen, Der Anzt, ihr Freund, ### Balsam auf
ihr blutendes Herz. Er habe einen Zug weitlicher
Krankenpflegerinnen ins Schlachtfeld ziehen sehen.
Marie versteht und befolgt seinen Rat mit dank¬
erfülltem Herzen. — Die Darstellung stand auf be¬