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Leb
19. Der Ruf desens
der blauen, todgeweihten Kürassiere, der sich, getreu
dem Worte, selbst den Tod gab: „Er wird vielleicht der
einzige sein, dessen Name bleiben wird, weil er nicht
nur ein Held, sondern auch eine Art von Narr gewesen
ist. Solche Launen hat der Ruhm.“ Heute hat der Ruhm
keine Launen, unsere Existenz hat das Spielerische,
das Relative, zwischen Wahrheit und Täuschung
Schwankende, worin ein wesentliches Moment der
großen und bedeutenden Kunst Schnitzlers liegt, ver¬
loren: ist ernst, absolut, wahrhaft geworden. Aus diesem
Gefühl heraus blieb auch dem kürzlich in Berlin zum
erstenmal aufgeführten „jungen Medardus“ der volle
Erfolg versagt: ganz abgesehen davon, daß die bunte
Bilderfülle dieses in Einzelheiten wundervollen Dramas
den Rahmen der Bühne sprengt. Und es hätte ein
bedeutungsvoller Gruß Wiens, das ja die eigentliche
Heldin des Dramas ist, an das brüderliche Berlin
werden können: ein Symbol für das Wien von 1805
und 1809, da mitten im Banne der Fremdherrschaft
Beethovens „Fidelio“ seine Uraufführung erlebt. Freilich
war die „Konstellation“, wie ein Bericht meldet, recht
ungünstig, das Theater „gar nicht gefüllt“. Da war
die dichtgefüllte Hofoper, die nach dem Lohengrin den
„Fidelio“ brachte, ein erfreulicherer Anblick. Aus dem
Kerker Florestans wehten uns die Schauer des Despotis¬
mus entgegen, aber die ewigen Mächte der Menschen¬
seele siegen über die Dämonik der feindlichen Mächte,
wie Iphigeniens Seelenreinheit, durch die ausgezeichnete
Darstellung im Volkstheater uns neu vor die Seele
gerückt, über die Barbaren triumphiert. So werden
die altvertrauten Stücke, die zu Rollenstücken oder zu
Zirkusexperimenten herabgesunken schienen, wieder neu¬
lebendig, entschleiern uns den Sinn der Gegenwart
und unseres Seins überhaupt, befestigen uns im Ver¬
deutsche Kultur. Wie sehr diese Kultur die tragfähigen
und wirksamen Elemente der französischen Theaterkultur
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absorbiert hat, hat uns Südermanns Schauspiel „Der
fakalem Konnex zu den reduzierten Sc
gute Ruf“ gezeigt, vielleicht nur zu sehr. Er soll jetzt,
aber sie sind nicht nur eine wirtschaftlich
dem vor nicht allzulanger Zeit der Spottname: Kotzebue
sondern auch ein Sinnbild. Ein Sinn
entgegengellte, Sardou entbehrlich machen, er wird zum
heute die Kunst Zuflucht sein muß für
mobernen Juvenal von Groß=Berlin ausgerufen, zum
und Beladenen, daß heute auch der
Dichter der Plutokratie und ihrer fragwürdigen Ethik.
Parkett gehört, weil seine Söhne au
Wie harmlos und bieder ist noch etwa Fontanes „Frau
Schlachtentheater ebenso bluten, wie
Jenny Treibel“ gegen die Damen aus Berlin W., die
Herren, denen vordem diese Plätze all
Sudermann uns vorstellt. Uns ist heute Berlinwaren. Und auf die Galerien rücken vie
und das von Bernhard Shaw, dem Star fnach, die früher grollend abseits standen
der vorjährigen Burgtheater=Saison, geschmähte
Gaben der Kunst die Rede war. So vo
Potsdam etwas ganz anderes, als die Kreise aus „So¬
neuerung unserer Nation ganz in der
doms Ende“ zu vertreten imstande sind, deren Ahnen Plautesten internationalen Programme##
kaum viel mit dem märkischen Sande zu tun haben.
Das Theater wird zum Treffpunkt, an
Wir brauchen keine Sudermann=Renaissance, mag uns
Bevölkerung Anteil gewinnt: hier wer
auch der geschickte Theatermann nicht unwillkommen
blätter, die schon der alte Schilaneden
sein. Wir schauen sehnsüchtig nach dem großen Gestalter
Zwischenaktscoups auszunützen verstand i
aus, der uns alle die Sudermanns, das ganze Sardou¬
Berlin schon selbst auf die Bühne geko
Epigonentum, entbehrlich macht. Er reitet vielleicht,
Ereignissen, die dem Stück auf der B#
wie Lilieneron bei Gravelotte, gegen den Feind: Ich
Folie geben, ohne die wir uns heute ke
denke an Fritz von Unruh, dessen „Louis Ferdinand“
tägliches Ding mehr denken können. So
Zensurkonflikte, die unserem Repertoiredirektor sicher er¬ spieler zum Herold des Weltgeschehens
#art bleiben, erfuhr, dessen Drama „Offiziere“ heute heute Mitwirkende sind an dem großen
auf dem Spielplan der Neuen Wiener Bühne steht, der unseren Erdteil erschüttert. Es ziem
Oder an Karl Hauptmann, dessen grausiges „Kosaken“
diese Herolde unb Tröster nicht als lästt
Momentbild im knappen Aufriß einer Szene das ver¬
##r##i uns weisen, sondern weiterhin will
wüstete Ostpreußen vors Auge rückt. Wie in der Lyrik,
ihrem Spiel lauschen. In dem Alt=W
wird erst die Zukunft die Spreu des gutgemeinten oder
ochus Pumpernickel heißt es:
schlau erfundenen Gelegenheitsstückes sondern von der
„Einmal därf es keinem krän
köstlichen Frucht des echten, dem Geist der Epoche ent¬
Dem Theater Zwölferl schen
sprungenen Kunstwerks.
Zwölferl is ja so nit viel.“
Überblicken wir also die künstlerische Ernte dieses
Wir sollen nicht nur einmal, sond
ersten Theatermonats im großen Kriege, so können wir
trotz allem und allem zufrieden sein. Diese Zufriedenheit mur möglich dem Theater „Zwölferl schen
steigert sich zum beglückenden Bewußtsein: wir stehen
haben wir unsere Publikumspflicht geg
Theaterkultur erfüllt.
auch hier auf einem Posten, und auf keinem verlorenen.
Gewiß stehen die angenehmen billigen Eintrittspreise in