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19. Der Ruf des Lebens
2 Feuisseton.
Berliner Theater.
Von Dr. Max Meyerfeld.
7
Oesterreich — Griechenland — Rußland.
Mitte März.
Zweimal im Laufe des Winters kam Arthur
Schnitzler (am Lelsing=Theater) zu Wort. Nach der
arlistischen Komödie „Zwischenspiel“, in die der Ruf des
Lebens nur wie ein fernes Echo drang, mit dem veri¬
stischen Schauspiel „Der Ruf des Lebens“*), das
hoffentlich im Schaffen des Dichters nur ein Zwischen¬
spiel bedeutet. Warum hoffen wir es? Weil uns die
grobkörnige Mache dieses Melodrams verstimmt hat;
weil wir den feinsten und den stärksten Wiener Poten
hier nach Kränzen langen sahen, die seiner nervösen
Hand versagt sind; weil er in Effekten schwelgte und
grelle Vorgänge häufte, die ihm schlecht anstanden;
weil die Fülle äußerer Geschehnisse ein gar zu theatra¬
lischer Mantel für das brünstige Liebesverlangen eines
Mädchens und der seelische Gewinn zu dürftig ist.
Darum hoffen wir es
Hatte Arthur Schnitzler bisher besondere Menschen
in alltäglichen Situationen aufgezeigt, wie es die Art
des Charakterdramas ist, so nähert er sich hier dem
Handlungsdrama, das alltägliche Menschen in besondere
Situationen stellt. Ein Vater muß vergiftet, die Frau
eines Obersten erschossen werden, ein Offizier Selbst¬
mord begehen, ein ganzes Regiment in den Tod reiten,
*) Buchausgabe bei S. Fischer, Berlin.
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eine Schlacht verloren werden, ein anderer junger Offi¬
Boden. Es ist eine schlimme Ungeschicklichkeit, daß sich; der
die Heldin hinter einem Vorhang verbergen muß, um zu
Spra
zier Hand an sich selbst legen, eine hysterische Base nach
habe
erfahren, daß ihr Liebster noch in ein anderes Abenteuer
krankhaften Liebesverwirrungen an der Schwindsucht
Wisse
verstrickt ist; und da ein Uebel selten allein kommt, be¬
sterben — all das, damit die Heldin aus dem Labyrinth
gegnet der ominöse Vorhang noch in einem Duplikat,
der Brust den Weg zu einem gefriedeten Dasein zurück¬
viel
hinter dem sich der Oberst „versteckt hält, um die Untreue
findet, damit sie in idyllischer Waldesruhe von dem
sieht
Kampf und Krampf des eigenen Herzens genese, damit
seiner Gattin zu erlauschen. Es ist die schlimmste Un¬
welch
geschicklichkent, daß besagter Oberst plötzlich aus seinem
ein Arzt als Arzt der Seele und Raisonneur das
elegische Fazit ziehe: „Wer weiß, ob Ihnen nicht später
schwe
Schlupfwinkel klirrend ins Zimmer des vielbegehrten
daru
Leutnants springt und besagte Ehebrecherin kaltlächelnd
— viel später einmal aus einem Tag wie der heutige
der Ruf des Lebens viel reiner und tiefer in die Seele
niederknallt; darum die schlimmste, weil ein unvorbe¬
züge
Arbei
reiteter Schuß auf der Bühne immer fehlgeht und nur
klingen wird als aus jenem anderen, an dem Sie
reiche
das Peinliche der Ueberraschung mit sich bringt, das in
Dinge erlebt haben, die so furchtbare und glühende
diesem Falle doppelt peinlich wirkt, weil uns die Fran
Namen tragen wie Mord und Liebe.“ Es wird mit
Oberst (abgesehen von ihrer Liaison dangereuse) eine
bishe
Kanonen (nicht nur bildlich) nach Vögeln geschossen;
der Aufwand der Mittel steht in einem schrillen Mi߬
yöllig Fremde ist. Nicht minder staunen wir darüber,
daß sich ein Meister des Dialogs wie Schnitzler hier in
verhältnis zu der inneren Lehre, die in Goethes Worte
lang
einer so papierenen Sprache oder novellistisch blumigen
blick
mündet: „Was soll all der Schmerz und Lust? Süßer
Friede, komm, ach komm in meine Brust!“
nach
Ausdrucksweise gefällt. Was soll man von folgender
Soll ich den Inhalt noch eingehender erzählen? Für
Stelle halten: „Ich könnte in einer Stadt überhaupt
überz
nicht wohnen. Wie ein Grauen überfällt es mich manch¬
die Gattung des Melodramas gibt es keine furchtbarere
aufs
mal im Lauf der Straßen. Stockwerk baut sich über
und zugleich fruchtbarere Kritik als die bloße Wieder¬
Mör
gabe der Fabel, auf der zum Schaden der Logik das
Stockwerk, die Fenster sind verhängt, die Türen zu, eine
Ban
Steinwand starrt die andere an — ein bekkemmender
Schwergewicht ruht. Aber Schnitzler ist kein Philippi,
flau
kein Brieux und kein Pinero. Selbst eine perfekte Ar¬
Ernst lastet über den Dächern, verworren scheint der
Fein
beit von ihm darf den Anspruch erheben, daß ihre
Tag und die Nacht gefährlich, und Schicksale fallen über
suchen
Schwächen verschleiert, ihre Vorzüge doppelt betont wer¬
die Menschen wie Räuber her“? Ist das noch lebendige
zu des
aus
den. Und die Schwächen sind diesmal mit Händen zu
Sprache? Was denkt man von folgender, übel aufge¬
ergib
greifen. Sowohl was die Technik wie den Dialog be¬
bauschten Wendung: „Zu Wallungen eines irrgewor¬
trifft. Es ist eine schlimme Ungeschicklichkeit, daß der
denen Leib's hätt' ich das tiefste Walten meiner Seele
Max
das
Schluß des zweiten Aktes dem Schluß des ersten wie
umgelogen"? Und ein Dutzend solcher Entgleisungen
denkt,
ein Ei dem andern gleicht: beidemale stürmt die Heldin
könnte man mit Leichtigkeit zusammenstellen. Es hat
1 zum Liebesgenuß davon, beidemale liegt eine Leiche amI fast den Anschein, als habe Schnitzler das Romanhafte! hänge