Faksimile

Text

Vom:
uch Ulferarseche Behs, verstg
n
Cchodel Bahnit=e.
Berlin
„Der Ruf des Lebens.“ Schauspiel in drei
Akten von Arthur Schnitzler, (Leising=Theater,
24. Februarc Buchangäber=S. Fischer Verlag,
Berlin.
(
ieser 24. Februar war für mich sehr schmerzlich.
—) Ersteus das Stück. Und dann Schnitzler. Es ist
C= ein so schönes Bewußtsein, daß sich unter unseren
erfolgreichen Dramatikern doch wenigstens einer findet, der
sich niemals wegwirst, der zuweilen schwach, aber nie roh
wird, der immer nock etwas Feines und Wertvolles zu
sagen hat, und der es auf eigene und simmungsvolle Art
zu sagen weiß, der nicht Theaterstücke fabriziert. Und
nun dieser „Ruf des Lebens“! Ein Stück, so brutal
in seiner Handlung, so papieren in seiner Diktion, so
unmöglich in seinen Charakteren! Unter Leben scheint
Schnitzler nur noch das sernelle Leben zu verstehen.
Der Inhalt dieses Schauspiels: erster Akt — Aufschrei
der Vagina, zweiter Akt
beim flotten Leutnank,
drikter Akt — Katzenjammer. Und das alles unter
ganz erschwerenden Umständen, unter sinnreich er¬
schwerenden Umständen. Marie ist 26 Jahre alt. Da
ist es also hohe Zeit; der Notstand, um mit Freussen
zu reden, ist schon erschreckend groß. Ihre kleine Consine
Käthchen ist zwar noch jung, aber sie wird bald sterben,
die Schwindsucht sitzt in der Familie. Sie hat also
auch keine Zeit mehr zu warten. Worauf soll sie
warten? auf den Tod? Sie denkt: lustig gelebt und
fröhlich gestorben, kneift ihrer Mutter aus und führt
ein sideles Dirnenleben. Es wird in der modernen
Literatur immer mehr Mode, die Mädchen der Bürger¬
kreise von dem einen Gefühl beseelt sein zu lassen: nur
Geschlechtsverkehr, gleichviel mit wem! Mal nennt es
sich Schrei nach dem Kinde, mal Ruf des Lebens. Hoffent¬
lich ist diese dem anständigen, wenn auch noch so leiden¬
schaftlichen und lebensdurstigen Weibe so grundfeindliche
Stimmung nur Literatur. Aber die Literaiür wirkt
ansteckend, selbst die biedersten Pastoren machen das
bierehrlich nach. Im dritten Akt stirbt Käthchen, als
sie lch mal wieder nach ihrer Mama umsehen wollte.
Sie hat also wenigstens nicht umsonst gelebt.
Marie geht es weit schlimmer. Sie hat keine
gute Mama, sondern einen Vater, der ein Ekel im
Quadrat ist: alt, krank, gehässig, feig und quenglich.
Er gönnt der Tochter nicht die Luft, buchstäblich ge¬
sprochen. Er hat einmal, als er noch jung und Major
war, das Ungluck einer Schlacht herbeigeführt. Wieder
steht ein Krieg vor der Tür. Und sein Regiment
hat sich gelobt, zur Sühne für die alte Schmach sich
bis auf den letzten Mann zu opfern, was militärisch
doch der reine Blödsinn ist. Dabei weiß keiner eigentlich
von der alten Schuld, und der Oberst hat die ganze
Sache nur aufgebracht, weil's ihm seine Frau zu bunt
treibt. Er ist müde und will sich opfern. Den nächsten
Morgen soll er mit der Schwadron aufbrechen, welcher
der Leutnant angehört, der seine Frau verführt hat
(sofern nicht sie ihn) und den auch just Marie liebt.
Sie hat also keine Zeit mehr. Der Alte bewacht sie
wie ein Höllenhund, aber zum Glück hat ihr der Arzt
eben ein Privatissimum gehalten über ihre heiligsten
Pfichten gegen sich selbst, und wozu man Schlaftropfen
alles gebrauchen kann. Na, und daß ein Mädchen,
der's so geht und der gar keine Zeit mehr übrig bleibt,
einen lästigen Vater um die Ecke bringt, wenn sie's
noch dazu so bequem hat, ist doch selbstverständlich.
Beim Leutnant, wo sie sich hinter einem Vorhang ver¬
steckt, findet sie aber schon die Frau des Obersten, die
den Geliebten zum Wortbruch, zur Fahnenflucht und
Feigheit überreden will, aber, von ihrem Gatten be¬
lauscht, über den Haufen gestoßen wird. Sie werden
das, bitte, auf sich nehmen, meint der Gemütsmensch
von Oberst zum Ehebrecher. Gemütsmenschen sind das
ja alle in diesem Schauspiel. Und über die noch nicht
kaltgewordene Leiche eilen die beiden ins bräutliche
Bett. Hinterher erschießt er sich, er hat also auch nicht
umsonst gelebt. Daß sie ihrerseits noch einem Ver¬
ehrer, der sie ehrlich beiraten will, das Herz ge¬
brochen hat, braucht nicht erst erwähnt zu werden.
Denn der Ruf des Lebens kommt vom Regiment und
nicht vom Walde, wo Forstadjunkten hausen.
Der dritte Akt bestehr aus lauter Feuillekon¬
schnitzeln. Marie ist verkatert, aber sie bereut nichts.
Sie versteht sich selber nicht, kommt sich uralt vor,
wie ihr eigenes Gespenst. Na, man kennt das ja,
wenn man mal verkatert war. Aber der Arzt tröstet
sie; auch Ihnen scheint noch die Sonne. Der Akt
spielt in heiterster Landschaft, und unter dem Gelächter
von Kindern, die Blumen sammeln, fällt der Vorhang.
Das Stück hat, so weit ich gesehen habe, kein
Ernsthafter ernst genommen. Aber wie war das
möglich?