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19. Der Ruf Lebens
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r jeder Wiederkehr desselben die Macht¬
schwächen. Im ganzen stehen zehn Kompagnien
keiches dort unten nicht wesentlich ver¬
mit sechs Geschützen, etwa 1000 Mann, den Auf¬
Marie Moser, ein Mädchen von sechsundzwanzig
er Ruf des Lebens.“
Jahren, ist wie eine Besessene diesem Ruf gefolgt.
Schauspiel von Artur Schnitzler.
Auf die äußerste Spitze getrieben sind alle Umstände,
ufführung im Lessing'Theäter.
die sie dazu drängten. Als Überspannung wirkt hier
alles, nicht als innerlich erhöhtes Gefühl. Wer ist
a in der Mitte des vorigen Jahrhunderts
diese Marie Moser, daß sie sich vermessen darf ihrer
rreich.“ — So verkündet der Theater¬
drei Todsünden, der Untreue, der Buhlerei und des
Schnitzler hat sein Drama in die
Mordes, sich zu rühmen? Wir sind nicht volle Zeugen
stundvierzig verlegt. Die außerorbent¬
ihrer wilden Leidenschaft. Wir erleben nicht mit, wie
nge des Stückes wären durch die Er¬
ihre Entschlüsse keimen und reifen. Sie lebt unmutig
Tage leichter erklärt worden. Sie be¬
neben einem Vater, den trübe Erinnerungen, hohes
Gebiet der Ekstasen. Doch weder aus
Greisenalter und verzweifelte Lebensangst unleidlich ge¬
Zeitepoche noch aus den Erlebnissen
macht haben. Sie erträgt ein kleinliches Geschick wie
den Personen ergibt sich die Ekstase
andere bedrückte Mädchen auch. Sie hat keine besonderen
gezwungen. Scheinglut brennt in ihr.
Züge; und ihr sollte man den Empörertrotz zumuten, der
nöchte man hinhorchen, wie man einem
vor Vatermord nicht schaudert und dem Leutnant
n folgt. Hintendrein kommen die Be¬
von den blauen Kürassieren zufliegt? Ein starker
über die Schnitzlers Kraft nicht mit
Dramatiker hätte ihre Gewissenskämpfe bis in die
heben kann.
Wurzeln bloßgelegt. Ibsen läßt uns aus der Ver¬
Gott, zu dem wir nicht beten, aber an
gangenheit eine Frau Alwing. ihren Willen und die
glauben müssen“, spricht einmal ein ab¬
tragische Ironie, wie ihr Wille zerbricht, begreifen.
atender Arzt in Schnitzlers Drama; und
Aus Vergangenem möchte auch Schnitzler er¬
t, ob Schnitzler nicht selber gerade zu
läutern, wie die Personen in seinem Drama zur
ebetet hatte, an den er nicht mit rechter
notwendigen Tat fortschreiten müssen. Aber Marie
ubt. Mich ergriff das Gedankliche im
Moser, ihr Leutnant Max und selbst ein romantisch
ens“, nicht so sehr die anschauliche Mocht;
verflogenes Dirnchen, die junge, kranke Katharina,
schluß erschien s mir, als schlüge das
die in einen frühen Tod tänzelt, handeln, wie wenn
angeschlagenen Themas in ungewollte
sie nicht durch ihre eigentümlichen Erlebnisse über¬
Jedenfalls entließ mich die Dichtung
hitzt worden wären.
rglichen Resignation: Was ist aller
Die Phantasie ihres Schöpfers quält sich ab, für die
Sturm im „Ruf des Lebens“?
ungemeinen Taten Voraussetzungen zu schaffen, die
za den Waffen
greifen, und wenn Herr Oberst von Deimling wieder
zu dem Ergebnis kam, daß man zurzeit auch nicht
doch wieder als erklügeltes Raffinement sich dar¬
stellen. Man kann sich mit diesen Voraussetzungen
nur befreunden, wenn man zugeben will: Unter
Tausenden von Möglichkeiten könnte die eine im „Ruf
des Lebens“ auch wohl möglich sein. Sie könnte,
aber sie müßte nicht möglich sein. Denn sie spielt
sich in der Hauptsache nicht ab. Schnitzler möchte
uns dramatisch überzeugen. Aber er erzählt uns nur
von einem seltsamen Fall; mit vielem Geschick im
einzelnen, mit gedankenreichen Betrachtungen, mit
lyrisch bewegten Worten über Leben und Lebenswert.
Mehr ein Räsoneur, der sich in Dialogformen aus¬
spricht, als der geborene Dramatiker.
Letzte Stunden sind es, die Marie Moser mit ihrem
Leutnant verbringt. Letzte Stunden für der Leutnant.
Die blauen Kürassiere müssen in den sicheren Tod.
Für sie gilt das Wort nicht: Es trifft nicht jede Kugel.
Sie sind entschlossen, ihr Regiment von einem Makel
zu reinigen. Sie haben sich insgesamt dem Tode
geweiht.
Eine Exaltation, die nicht glaubhaft wird. Der
Dichter selber muß sich erst an ihr berauschen. Die
Exaltation entspringt einer förmlichen Legende, die
in den Lüften schwirrt. Vor dreißig Jahren hat eine
Schwadron blauer Kürassiere kopflos Unheil ange¬
richtet; dafür muß nunmehr das „ganze Regiment“
sich „entsühnen“.
Hört denn im Krieg jedes Zweckbewußtsein auf?
Es geht nicht an, aus solchen Prämissen weitere
Folgerungen zu ziehen. Man verlöre sich ins Blaue.
Im Nebel verrinnen die weiteren Begebenheiten, und