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18. Der einsane Neg
Theater, Kunst und Literatur.
Berliner Theater.
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Das Milien nimmt auch den Kritiker gefangen. Die langen,
öffentlichen Vorbereitungen einer Theatervorstellung, die jede heimliche
Absicht der Direktion deulich merken lassen; die vornehmen Herren
und Damen, die bei der Première in ihren. glänzendsten Toiletten
erscheinen und deren lautes Urtheil auch er vernehmen muß; die leise
mitllingende, unkünstlerische, aber menschliche Bewerthung der wochen¬
lungen Arbeit und des rasch verbrauchten Geldes: all dies trübt auch
den schärfsten Blick für eine Stunde — und in derselben Stunde muß
der Kritiler seinen Bericht formuliren. Ton und Breite der Theater¬
kritik kann nur dadurch verstanden werden; nur so ist es erklärlich,
daß die Stücke eines jeden — sagen wir —— Alfred Capus ausführ¬
Flicher und fast liebevoller besprochen werden, als die Romane des
Anatole France. Aber am Ende des Jahres kommt die idealste,
selbst von dem Theater unabhängige Theaterkritik zu ihrem Rechie.
Das Fieber des Zuschauerraumes ist geschwunden. Der Kritiker
überblickt seine eigenen Impressionen mit der Ruhe des Historikers.
Ist es seine Schuld, daß ihm manchmal ein Theaterjahr weniger vor¬
kommt, als ein Theaterabend?
Allgemeine Betrachtungen können den Rückblick auf die ver¬
bewußt wird, was Liebe eigentlich ist. Ich meine, es kommt auf die
Frau an, die sie ihn lehren wird.“ Der Gatte vertraut ihrer Treue,
ihrer Reinhen: Candida verschweigt es nicht, daß sie all die kühlen:
Begriffe gern opfern möchte, — der Pastor kann nur ihrer Liebe ver¬
trauen. Morell verliert langsam das stolze Selbstbewußtsein, und weil
er mit Zweifeln, mit demüthigender Eifersucht in der Brust nicht leben
will, fordert er endlich Candida auf, zwischen den zwei
Männern zu wählen. Wenn Ihr mich versteigern wollt
muß ich doch wissen,
antwortet die Frau —,
wieviel Ihr Beide für mich bietet.. Der Gatte siottert, kann das nicht
für Ernst halten. Zur Antwort gezwungen, sagt er dann mit der
selbstredenden Geste des Siegers: „Ich habe Dir nichts zu bieten, als
meine Kraft zu Deinem Schutze, meine Ehrenhaftigkeit für Deine
Sicherheit, meine Geschicklichkeit und Arbeitskraft für Deine Lebens¬
annehmlichkeiten und Autorität, und meine Stellung für Deine
Würde, — das ist Alles, was ein Mann einer Frau geben kann.“
„Und Sie, Eugen, was bieten Sie?“ „Meine Schwäche, meine
Trostlosigkeit und meine Herzensnoth.“ „Das ist sehr viel, Eugen;
nun weiß ich, wie ich meine Wahl zu treffen habe.“ Morell schreit
erschrocken auf, Eugen versteht sie aber richtig: Candida bleibt bei
dem Schwächeren. Da ist für den Dichter nur der Abschied übrig. Die
geliebte Frau will ihn nicht ganz trostlos ziehen lassen. „Ein letztes
Wort. Wie alt sind Sie, Eugen?“ „Heute so alt wie die Welt.
Gestern bin ich zwanzig Jahre alt geworden.“ „Wollen Sie
mir zuliebe ein kleines Gedicht aus zwei Sätzen machen? ... Wenn
ich dreißig sein werde, dann wird sie fünfundvierzig sein; wenn ich
sechzig sein werde, dann wird sie fünfundsiebzig sein.“ In hun
dert Jahren werden wir gleichaltrig sein, aber ich trage ein besseres
Geheimniß in meinem Herzen.“ Candida küßt Eugen auf die Stirne
und der Dichter rennt in die ungeduldige Nacht hinaus. Frau Morell
aber schaut ihren Mann wieder an, er stürzt in ihre offenen Arme,
doch“ so lautet die letzte „Instruktion“ des Stückes — das Geheim¬
niß in des Dichters Herzen, das kennen sie nicht. — Wir Publikum
sino glücklicher. Uns wurde das tiefe Geheimniß eines wahren Dichters
offenbart.
„Der einsame Weg“ ist die letzte Arbeit Arthur
Schnitzler's. Er läßt uns nicht lange im Zweifel, welchen Weg er
gemeint. Stefan v. Sala, der alternde Schriftsteller, sagt zu Julian
Fichtner, dem alternden Maler: „Es graut Ihnen vor der Einsam¬
keit?... Und wenn Sie eine Frau an Ihrer Seite hätten, wären
Sie heute nicht allem? ... Und wenn Kinder und Enkel um Sie
lebten, wären Sie es nicht? . .. Und wenn Sie sich Ihren Reich¬
thum, Ihren Ruhm, Ihr Genie bewahrt hätten, wären Sie es nicht?...
Und wenn uns ein Zug von Baechanten begleiet — den Weg hinab
gehen wir Alle allein... wir, die selbst Niemandem gehört haben.“
Leute, die mit Pathos reden, möchten die Beiden Freunde rinnen;
Sala sagt nur so viel, daß sie geschickt einander die Stich,porte
bringen. Seit zwei Jahren haben sie sich nicht gesehen,
in dem Stück treffen sie sich auch nur zufällig. Sie
gehen allein den Weg hinab. Leute, die mit Pathos reden,
pflegen zu sagen, daß Jedermann im Schweiße seines
Angesichtes sein Kreuz nach Golgotha zu schleppen hat; das Beispiel
der zwei alternden Freunde zeigt, daß schmerzlicher der Weg, der
abwärts von Golgotha führt, wo kein Kreuz mehr ist, — auch kein
Kampf, auch keine Täuschung. Wo die Selbsterkenntniß, die in dem
Rausche der Jugend unser Hofpoet gewesen, mit der Vilanz des
Hauptbuches unseres Lebens herumkramt und solche Posten unter¬
streichen muß: „Haben wir jemals ein Opfer gebracht, von dem nicht
unsere Sinnlichkeit oder unsere Eitelkeit ihren Vortheil gehabt
hätte? .“ „Wir haben die Thüren offen stehen und unsere Schätze
sehen lassen aber Verschwender sind wir nicht gewesen.“ „Anderen
mögen unsere Thorheiten, unsere Niederträchtigkeiten verborgen
bleiben, — uns selber nie.“
Der Fall Fichtner ist wohl interessanter. Vor vielen, vielen
Jahren hat er sich in die Braut eines Freundes verliebt. Es war
Glück und Sünde, Schicksal und Verrath. Es war ein Traum. Sie
wollten Beide fliehen. Und Fichtner ist allein geflohen. Damit er das
Leben bis zu Ende leben und genießen kann, allein, unabhängig. Das
Mädchen heirathete den Verlobten und Niemand ahnte, daß ihr Sohn,
Felir, das Kind von Fichtner sei. Nach zehn Jahren kehrte der herum¬
irrende Maler zurück, lebte in ruhiger Freundschaft mit der einstigene
Geliebten — und der Vater hat seinen Sohn liebgewonnen. Zwischen
dem ersten und zweiten Akt stirbt die Frau; an ihrem letzten Abend¬
sprach sie mit Felir über ihr Bild, das Fichtner in ihren Mädchen¬
johren gemalt. Der Sohn möchte dieses Bild betrachten und erfährt
die Wahrheit. Denn Fichtner will seine Rührung gar nicht mehr
verbergen; denn er hegt nur den einen Wunsch, daß Felir in bewußt
findlicher Liebe ihn umarmen soll. Der junge Offizier hört ruhig die