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nSam
18. Der es se Neg
Maler, das Mädchen verlassen, da er sich nicht be= das wundervolle Verstehen der Frauenseele
Gabrielens und dann die feine Psychologie des
zwingen konnte, seine Ungebundenheit, die Freiheit
jungen Felix, in dem so viel seinem Vater Julian
„de- Iheater und Mulik.
künstlerischen Schaffens ihr zu opfern. Wegrath
verwandte Züge stecken, die dann doch ge¬
aber, unbewußt des Verrats, den die beiden an
Ph. St. Im Deutschen Theater hat am
modelt und gesänftigt sind durch den Ein¬
ihm begangen, hat Gabriele geheiratet — auch
gestrigen Sonnabend Arthur Schnitzlers
Es ist leider
fluß andersartiger Erziehung.
ihm hatte geträumt von großer, freier Kunst,
Schauspiel Der einsame Weg“ einen Er¬
unmöglich, in dem knappen Rahmen dieser
aber seine Künstlerschaft hat sich geduckt vor dem
folg gehabt, der nach dem 4. und dem 5. Akte stark
Besprechung die ganze Bedeuung dieser Dich¬
Begehren nach dem stillen Glück an der Seite
bekämpft wurde. Der erste Alt hatte interessiert,
tung zu würdigen und all den mannigfachen
Gabrielens. Er hat es ja auch zu etwas ge¬
ohne das Publikum bereis zu gewinnen, allerlei
Anregungen zu folgen, die da auf uns einstürmen.
bracht, er ist Direktor der Kunstakademie und
Fäden der Handlung hatten sich verschlungen, aber
Dramatisch ist manches mißglückt, die Handlung geht
malt jährlich sein Ausstellungsbild — aber man
erst die Schlußszene hatte die Andeutung der Vor¬
zögernd und mitunter retardiert vorwärts; manches
nennt ihn nur einen Kunstbeamten. Julian aber,
fabel gebracht. Der 2. und der 3. Akt fanden
ist für das grelle Bühnenlicht allzu diskret be¬
der große Künstler, hat gelebt wie in einem Rausch
lebhaften Beifall und übten starke Wirkung
handelt, mit einer zurückhaltenden Künstlerkeusch¬
von Zärtlichkeit und Leidenschaft, ja von Macht
aus. Schnitzler konnte vom zweiten Aufzuge ab
heit. Im Schlußakt aber zeigt sich wieder der
über alle. Nun, da er zu altern beginnt, soll ihm
nach jedem Akte wiederholt erscheinen. Als
starke Dramatiker. Vor allem aber: „Der ein¬
da von aller Glut, mit der er die Welt umfaßt,
der Vorhang nach dem 4. Alte fiel, schien
same Weg“ ist eine Dichtung, der wir uns dank¬
nichts übrig bleiben? Und er fragt sich verzweifelt:
das Stück einen Augenblick gefährdet — ein paar
bar freuen müssen.
„Muß ich menschlichen Gesetzen so gut unterworfen
Zuschauer hatten in die Schlußszene hineingelacht,
Die Darstellung, im einzelnen und im En¬
sein wie ein anderer?“ Und die Geschehnisse be¬
es erhob sich lautes Zischen, aber der Beifall war
semble war glänzend — eine solche Vorstellung
jahen diese Frage, verurteilen ihn zu gleichem
stärker. Und nach dem Schlußakte kämpften Bei¬
bringt keine andere Bühne heraus: jede Leistung
Los mit all den anderen, all den Kleinen. Ver¬
fall und Zischen in vielleicht gleicher Stärke.
verdiente eingehende Analysierung. Bedeutendes
gebens offenbart er sich seinem Sohne Felix, der
Dramatisch hat dieses Werk viele Mängel, aber
gaben Else Lehmann und Irene Triesch, Sauer,
als Wegraths ältester Sohn gilt — Felix liebt
rein als dichterische Schöpfung betrachtet, ist es nächst
Bassermann, Rittner, zumeist auch Stieler, in
den Mann, in dessen Hause er geboren und er¬
„Rose Berndi“ das Bedeutendste, was diese Spiel¬
kleineren Aufgaben Godeck und Frau Pauly. Die
zogen ist, jetzt, da er weiß, wie man ienen
zeit uns gebracht hat. Es ist das Werk eines echten,
Inszenierung war von künstlerisch vornehmem
betrogen hat, noch mehr als früher.
seinen Poeten, reich an intimen Schönheiten, an
Geschmack. Es war kein eigentlicher Erfolg, aber
Das Stück beginnt kurz vor dem Tode
piychologischem Gehalt, an Tiefe der Gedanken.
ein sehr interessanter Theaterabend.
Gabrielens, da Felix bereits 23 Jahre zählt. Die
Etwas von der Lebensauffassung der „Lebendigen
beiden Hauptszenen zwischen Julian und Felix sind
Stunden“ ist darüber ausgebreitet, und von
von ergreifender Innigkeit, künstlerisch und auch
Schnitzlers Novelle „Sterben“ kommen leise
kunsttechnisch vollendet. Der Herzenskampf Julians
Stimmungen herüber. Es bedeutet eine neue
um den Sohn ist nun wohl das Hauptstück im
Schaffensperiode für diesen reifen Voeten,
Stücke, aber daneben laufen doch noch Interessen,
eine neue Stilart, die dramatisch voll zu
die, an sich sehr bedeutsam, doch allzu oft und allzu
beherrschen ihm diesmal noch versagt blieb.
stark vom Haupikern der Dichtung ablenken. Bei
Diese fünf Akte sind wie ein großes Finale in der
einem minder reichen Poeten wären vielleicht
Art, wie es die meisten Dramen Ibsens sind. Und
drei Stücke aus diesem Material zustande
auch darin kommt es Ibsens Schaffen nahe, daß
gekommen. Die wundervoll durchgeführte Ge¬
es eigentlich keine Gestalten darin gibt, die nur
stalt der Schauspielerin Irene Herms
Hülfsmittel wären, keine, in denen nicht mit
hier wenig mehr als eine Episode bedeutet,
meisterlicher Kunst lebensvolle, warmpulsierende
wäre allein schon genügendes Thema für eine
Menschen geschaffen wären. Und inmitten der
eigene Dichtung: sie verkörpert ein Schicksal, einen
weichen Poesie, in die das Ganze gehüllt
Frauentypus und eine Frauenindividualität zu¬
ist, erscheint eine Fülle von Lebensmaximen,
gleich. Ihre Szene im zweiten Akt ist ein Glanz¬
geistestiefen Einfällen und Beobachtungen, oft
punkt der Dichtung, voll wundervollen Humors. voll
durchweht von einem feinen Humor und wahrer
strotzender Lebensfülle, und doch steckt auch in
Ironie. Eine schmerzliche Resignation klingt aus
dem Schicksal dieser lebensfrohen Natur eine
der Fülle der Gestalten, ihrer Schicksele und An¬
Traurigkeit wie in einer ganz sonnigen Früh¬
schauungen, und dann zum Schluß doch wieder
„die Traurigkeit steckt in
lingslandschaft
ein Aufdämmern der Hoffnung, „daß jetzt wieder
den Dingen oft viel tiefer verborgen, als
ein besseres Geschlecht heranwächst — mehr Hal¬
man ahnt". Und dann — welch eine Kraft
tung und weniger Geist“
der künstlerischen Prägung zeigt sich in der Ge¬
Die beiden, die in ungestümer, rücksichtsloser
stalt des Todeskandidaten Stephan von Sala,
Lebensgenußsucht den „einsamen Weg“ gegangen
einer Julian verwandten, aber schrofferen, ab¬
sind, Julian und Stephan, die niemals ein Opfer
lehnenderen, mehr in sich gefesteten Natur!
gebracht nur um anderer willen, sie müssen sich
Diese Gestalt, mit minutiöser Kunst ausgefeilt und
schließlich gestehen: „Und wenn uns ein Zug
doch wie ein geschlossenes Ganzes wirkend, ist
von Bacchanten begleitet haben, den Weg hinab,
vielleicht das psychologisch Feinste, das Schnitzler
den Weg des Alters gehen wir allein, wir, die
geschaffen hat. Und nun — das Liebesleven
selbst niemandem gehört haben." Julian graut vor
Stephans mit Johanna, der Tochter Weg¬
solchem Alleinsein, und er klammert sich an Felix,
"eigentlich wiederum ein
raths! Das
der sein Sohn ist, und doch vor der Welt nicht
Stück für sich; bedeutend, wenn es für sich allein
dafür gilt. Julian hat einst Gabriele kennen
aufgetreten wäre, aber das Publikum verwirrend,
gelernt, als sie bereits die Braut seines
da es nur im Rahmen des Ganzen erscheint und
Freundes Wegrath war. Julian und Gabriele
diesen Rahmen beinahe zu sprengen scheint. Dann
kamen zueinander in unbezwinglicher, jugend¬
stürmischer Liebe — dann hat Julian, der geniale die liebevolle Zeichnung des Akademiedirektors.