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18. Der einsane Neg
Julian: Für einige Zeit. Auch um Felix' willen. Sein frisches
Wesen berührt mich so angenehm, macht mich geradezu selbst jünger. Wär'
er mein Sohn nicht, ich würd' ihn vielleicht beneiden — und nicht um seine
Jugend allein. (Lächelnd.) So bleibt mir nichts anderes übrig, als ihn
zu lieben. Es hat wahrhaftig etwas Beschämendes für mich, daß ich es
sozusagen inkognito tun muß.
Sala: Kommen alle diese Empfindungen nicht ein wenig spät?
Julian: Sie existieren wohl schon länger, als ich selbst weiß. Und
dann, Sie wissen ja: ich sah den Jungen zum ersten Mal, als er schon
zehn oder elf Jahre alt war, und erfuhr erst damals, daß er mein Sohn sei.
Sala: Das muß ein seltsames Wiedersehen gewesen sein zwischen
Ihnen und Frau Gabriele, zehn Jahre nachdem Sie den schnöden Verrat
begangen — wie unsere Ahnen gesagt hätten.
Julian: Es war nicht einmal so seltsam. Es fügte sich ungezwungen.
Kurz nachdem ich aus Paris zurückgekehrt war, begegnete ich Wegrath zu¬
fällig auf der Straße. Wir hatten ja gelegentlich voneinander gehört und
traten einander als alte Freunde entgegen. Es gibt Menschen, die zu derlei
Schicksalen geboren sind . . . Und was Gabriele anbelangt — —
Sala: Die hat Ihnen natürlich verziehen.
Julian: Verziehen? ... Es war mehr und weniger. Nur einmal
sprachen wir von der Vergangenheit — sie ohne Vorwurf, ich ohne Reue;
als wäre jene Geschichte andern begegnet. Und dann nie wieder. Ich hätte
glauben können, jene Zeit wäre durch ein Wunder aus ihrem Gedächtnis
verschwunden. Und eigentlich bestand für mich zwischen dieser stillen Frau
und dem Wesen, das ich einmal geliebt hatte, gar kein wirklicher Zusam¬
menhang. Und den Jungen — das wissen Sie ja — hatt' ich anfangs
gewiß nicht lieber, als ich irgendein anderes hübsches und begabtes Kind
lieb gehabt hätte. — Nun ja, vor zehn Jahren sah es in meinem Leben
anders aus als heute. Damals hielt ich noch so vieles fest, was mir seither
entglitten ist. Erst im Laufe der folgenden Jahre zog es mich immer stärker
in das Haus, bis ich begann, mich dort heimisch zu fühlen.
Sala: Daß ich damals den Zusammenhang zu verstehen anfing, haben
Sie mir hoffentlich nicht übel genommen.
Julian: Immerhin, Sie fanden mich nicht sehr vernünftig ...
Sala: Warum? Ich finde ja auch, daß das Familienleben an sich
etwas sehr Hübsches ist. Aber es sollte sich doch wenigstens in der eigenen
abspielen.
Julian: Sie wissen ja, daß ich mich selbst des Widersinnigen in
diesen Beziehungen manchmal geradezu schämte. Das war sogar mit einer
der Gründe, der mich davontrieb. Natürlich kam damals noch manches
andere dazu, was mich verstimmte. Insbesondere, daß ich mit meinen
Arbeiten kein rechtes Glück hatte.
Sala: Sie hatten doch schon lange vorher nichts mehr ausgestellt.
Julian: Ich meine es auch nicht äußerlich. Es wollte eben keine
gute Stimmung mehr kommen, und ich hoffte, das Reisen würde mir auch
diesmal helfen, wie schon oft in früherer Zeit.
Sala: Und wie ist es Ihnen denn nun ergangen? Man hat ja so
selten von Ihnen gehört! Sie hätten mir wirklich öfter und ausführlicher
schreiben können. Sie wissen ja, daß Sie mir viel lieber sind als die meisten
andern Menschen. Wir bringen einander die Stichworte so geschickt — finden
Kunstwart
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