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box 23/2
18. Der einsane Nes
Dr. Max Goldschmidt
e Bureau für
Zeitungsausschnitte
Berlin N. 24.
Telephon: III, 3051.
Ausschnitt aus
Frankfurter Zeitung
18 9. 04
besser aus Einfällen und Stimmungen her= legentlich Visionen haben, in ferne Vergan
und in die Zukunft hineinschauen. Auch
aus, wird in diesem Stück sehr viel gesagt und
findet sich vor. Aber was bei dem nordisch
Kleines Feuilleton.
getan. Und deshalb ist „Der einsame Weg“ so ganz und
lerische Absicht ist, sodaß immer die Bezieh
gar undramatisch. Er ist eine von zarter Künstlerhand
erkennbar wird und Glied um Glied sich 3
dialogisierte Novelle, aber kein Drama. Wer auf die
zusammenschließt, das wird bei Schnitzler
Frankfurt, 17. September.
Bühne blickt, um zu sehen, wie sich ein Geschick erfüllt, der
Einfällen, die an sich sehr poctisch sind, die
will wissen, mit wem er es zu tun hat. Aber die Personen
= [Frankfurter Schauspielhaus.] Von dem Schau¬
belasten, statt ihn zu stützen. Auch die
in Schnitzlers Schauspiel sind von der Bühne herab nicht zu
spiel „Der einsame Weg“ von Arthur Schnitzler,
führung wird es nicht vermögen, hier de
erkennen. Sie schreiten durch einen Nebel. „Schleier glei¬
das heute zum erstenmal hier gegeben wurde, s## de#
reich zu Hilfe zu kommen; sie kann schär
ten über alles,“ heißt es einmal, und wirklich: es hängen
Stelle wiederholt die Rede gewesen. Man weiß, daß in
allzu Gedämpftes betonen, Längen durch
überall Schleier herunter. Fast jeder Auftritt zeigt uns ge¬
dem Stück zwei Handlungen das Interesse beanspruchen. Zu¬
rung überwinden, aber es ist ihr unmog
bildete Leute in einer geistreichen Konversation, in der
nächst entwickelt sich die eine: die jetzige Frau des Akademie¬
ungslose für die Wirkung bedeutend
Paradoxe und Antithesen hinüber und herüber fliegen.
direktors Wegrath hat sich als junges Mädchen, kurz vor
Auch die heutige Wiedergabe im Frankf
Diese Menschen sprechen sehr klug über dies und das
der Hochzeit, einem Maler den sie liebte, hingegeben. Die
haus wurde der Schwächen des Stücks nicht
und prägen Worte voll melancholischer Wahrheit: daß
Beiden wollten zusammen fliehen, der Künstler aber sagte
dete in jeder Richtung die sorgfältige Vor
wir von einander nichts wissen, daß jeder anständige
sich in zwölfter Stunde, daß er der Freiheit mehr als der
Herr Quincke hatte zuteil werden lasse
Mensch in seinen besten freien Stunden an den Tod
Liebe bedürfe, und entfloh allein. Dreiundzwanzig Jahre
genden wie die offeneren Partien kamen
denkt, daß es kein sichereres Mittel gebe, zwei Men¬
später. Frau Wegrath, die wir nur als Leidende kennen¬
wurden Stimmungen geweckt und festgehal
schen von einander abzurücken, als dieses: sie durch
lernen, stirbt. Der Maler, dem es nach mancherlei Fahr¬
klug angedeutet, was der Dichter allzutief
eine Pflicht zu binden, daß eine Lüge, die den Frieden
ten und einem durchstürmten Leben einsam um den Weg
hatte, aber volles Leben konnte sie nicht:
eines Hauses erhält, verehrungswerter sei als eine Wahr¬
wird, möchte Felix, seinen Sohn, reklamieren. In einer
Mitwirkenden ist in erster Linie Herr B
heit, die ihn zerschlägt, daß alle Dinge der Welt gleich
Szene zwischen dem Maler
seltsam visionären
nennen, der sich wieber einmal als vort
wichtig und gleich unwichtig sind, und weiter: wie gut es
Mann eine
jungen
und Felix durchzuckt den
bewährte und dem alten Skeptiker fesselnd
ist, daß wir uns nicht kennen und daß wir auch in den
daß er seinem Vater gegenübersteht.
Ahnung,
dem er die kühlen Aphorismen mit einig
Freunden nur flüchtige Tischgäste zu sehen haben und am
Ein Jugendbildnis von Frau Wegrath, das der Maler be¬
Weniger wollte uns die Maske des Kün
letzten Ende alle ins Leere greifen. Aber alle diese Worte,
sitzt und von dem sie am Abend vor ihrem Tode sprach,
sie die Gebrechlichkeit des geistreichen Ra
leicht gesprochen, als ob der Augenblick sie hertrüge, stehen
gibt den äußeren Anlaß zu der Unterredung. Felix versteht
betonte Herr Kirch als Julian Fichtne
zu sehr um ihrer selbst willen da, sie beleuchten den Reden¬
anerkennenswert gut, daß Fichtner seine Geliebte ihrem
nächst für einen Künstler, wie ihn Schul
den, aber sie verdunkeln ihn auch, sodaß die Konturen
Schicksal überließ. Vergeblich aber ist das Bemühen Ficht¬
schneidig, nicht zwanglos genug, wozu
I immer unsicherer werden — das gilt vor allem für die Ge¬
ners, den Sohn seinem Leben zu gewinnen. Felix, der dem
bestimmte Sprechweise beitragen mochte.
stalten von Sala und Johanna —, und je mehr die Züge
Künstler bisher leidenschaftlich zugetan war, entdeckt nun,
Vergangenes aufzurufen, Erinnerungen3
zerfließen, desto sicherer erkennen wir, daß es dem Dichter,
daß seine Liebe doch dem Manne gehöre, der ihm zeitlebens
in dem Kampf um den Sohn wurde der
der so viel abseits vorbringt, nicht gelingen wird, die
ein Vater gewesen. Fichtner wird hinfort allein bleiben.
liebenswürdiger und erweckte Interesse
Handlung vorwärts und auf einen dramatischen Höhepunkt
Die Einsamkeit dehnt sich auch vor Irene Herms, einer Ge¬
Den Julius gab Herr Fricke in sicheren
zu treiben. Es ist denn auch so: es wetterleuchtet bestän¬
liebten des Malers, einer echt Schnitzlerschen Wiener Figur,
eindrucksvollem Spiel, Herr Bauer zeid
dig, aber es kommt nicht zum Gewitter; die Katastrophe,
opferfreudig, liebenswürdig, resch, in der aber jetzt der Hu¬
Wegrath und Herr Pfeil einen Arzt
die den Schluß herbeiführt, ist kein Geschehen, das sich
mor durch aufziehende Bitterkeit fast verdrängt wird. Man
gaben ihren Rollen, was ihnen gehörte.
motivierte und nun kommen mußte, sondern ein trau¬
erfährt aus ihren drollig=ernsten Aeußerungen, daß sie ein
nerin mit dem guten Herzen hatte in F
riges Ereignis, und der schwere Verzicht, der dem
Kind gewollt hätte, ja — sie hätte es beinahe gehabt. Eine
Vertreterin gefunden, die zwar die wien
alternden Maler auferlegt wird, hat nur eine epische,
Frau, die kein Kind hat, so meint sie, ist überhaupt nie eine
herausbrachte und mitunter auch den l##
keine Theater=Wirkung. Neben dem Mangel an dramati¬
Frau gewesen, und obwohl sie ein tapferer Kerl ist, weiß
fehlte, die aber in den ernsten Stellen d
scher Hitze trägt die wenig straffe Technik dazu bei, daß
sie doch, daß ihrem Leben der Inhalt fehlt und daß sie ins
Herzension anzuschlagen verstand. Frl.
das Interesse an dem Spiel erlahmt. Das Schauspiel
Leere sieht. Neben dieser Handlung läuft — nein erhebt
sich der schattenhaften und hellseherischen
enthält zerstreuende Auftritte und andere kompositorische
sich, zerfließt, taucht wieder auf — eine andre. Herr
mit ihrem besten Vermögen an, und
Fehler. Die Aufmerksamkeit, die zu Beginn des Stückes
Sala, ein herzleidender Aristokrat, ein Skeptiker und
Das Visionäre und Entrückte im Wesen
0
auf Sala und Johanna hingelenkt wird, wird später für
Froniker, ein Herr französisch=literarischer Abstammung,
brachte sie in vornehmster Weise zur Ge
andere Gestalten, so für Irene, erregt, sie gleitet dann auf
ßt sich tot, aus zwei Gründen. Einmal, weil er ja doch
der Frau Wegrath war bei Frl. Bochs
Fichtner und Felix hinüber, man verliert die ersten Per¬
bald ans Ende glauben muß und die ungebrochene Schön¬
ufgehoben. Der Beifall, den das Scha
sonen in ihren Beziehungen zu einander aus den Augen
ür schwach und begegnete dazu noch sta
heit der letzten Stunden genießen will, dann aber wohl
und ist erstaunt, wenn sie dann wieder die Bühne beherr¬
auch, weil Johanna, die Tochter Wegraths, sich im Teich
schen. Und in ähnlicher Weise kommen und gehen die An= Wirzverstehen das, möchten aber doch
vor seiner Villa ertränkt hat. Warum sie das tat? I
daß Arthur Schnitzler uns im „Einfame
dern. Der Wiener Poet, der sonst so scharfgesehene Men¬
nun, vielleicht, weil Herr v. Sala totkrank ist, vielleicht
schlechtes Stück, aber ein gutes Buch gege
auch, weil ihrer Liebe zu Sala keine Gefüllung wird, schen zeichnete, scheint dem Einfluß Ibsens unterlegen. Cha¬
hielleicht auch aus Laune. Denn aus Laune, ratteristisch dafür ist, daß alle Personen des Stückes ge¬