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18. Der einsadedeg
Menschenmenge
aus Pulsnitz und Umgebung wohnte dem ernsten Akte bei. Die Särge
af Familienmitglieder waren#d
der Frau Freudenberg und der übrige
elegischen Stimmung gerecht zu werden. Das gelang hier so
wenig wie früher bei Maeterlink. In rein technischer Beziehung
aber beging man dabei den Fehler, so leise zu sprechen, daß man
selbst in den vordersten Parkettreihen nur mit äußerster An¬
strengung dem Dialog folgen konnte, Manches aber blieh ganz
Wek
Sonnabend den 17. Tege
unverständlich.
Beethoven=Abend.
„Alle Schlachten der Beethovenschen Gedanken werden in seiner
Crainquebille.
Musik geschlagen; alle Kämpfe seiner Empfindungen, Siege und
Schauspiel in 3 Bildern von Anatole France.
Niederlagen haben hier ihre Wahlstatt. Die Subjektivität fühlt!
sich in dieser Musik in voller selbstherrlicher Macht, nicht nur durch
Erstaufführung im Theater am Thomasring am Sonntag den 18. Dezember.
ihre musikalische Gestaltungsfrende, sondern auch mit ihrem
Crainquebille, der Held des gleichnamigen Schauspiels, ist ein
menschlichen Leben, den geistigen Kämpfen, seelischen Leiden.“
alter Grüngramhändler in Paris, der in ein und demselben Stadt¬
Diese zwei Sätze von Max Graf aus seine „Beethovenstudie“
teil von Straße zu Straße zieht und so eine wohlbekannte Persön¬
fixieren auch den Standpunkt für alle Beethoven=Interpreten.
lichkeit für Alt und Jung geworden ist. Während die Klein¬
Das entfesselte und hochgesteigerte künstlerische Ich Beethovens
bürgersfrau Bayard ins Haus tritt, um das Geld für einen bei
verlangt für die Wiedergabe seiner Werke nicht bedingungsweise,
Crainquebille gemachten Einkauf zu holen, gerät er mit einem
sondern unbedingt ein seinem Ich nahestehendes nachschaffendes
Schutzmann in Konflikt, der dreist behauptet, von Crainquebille
Individuum, das „frei durch Vernunft, stark durch Gesetze“ und
mit dem Schmeichelwort Schw....hand belegt worden zu sein.
reich durch Gefühle. Es werden viele Künstler gewogen und
Crainquebille wird verhaftet. Auch das Zeugnis des Doktor
zu leicht für Beethoven gefunden. Denn die Größe seiner künst¬
Mathien hindert bei der Gerichtsverhandlung nicht, daß die Richter
lerischen Persönlichkeit ist ein zu schweres Gewicht für ihr Können
den alten Mann zu einer Gefängnisstrafe verurteilen. Im dritten
und Wollen und läßt sie in der Wagschale wie leichte Spren
Bilde sehen wir die Folgen. Crainquebille ist als entlassener Ge¬
emporschnellen. Kommt aber einer daher und erschließt die ge¬
fangener brotlos geworden. Von dem „Zuchthäusler“ will nie¬
heimsten Tiefen von Beethovens Wesenheit, dann bleiben die
mand etwas wissen. Er sehnt sich darum nach dem Gefängnis
Blicke bewundernd an ihm hangen. Ein solcher ist Eugen
zurück und beleidigt deshalb wirklich mit dem gleichen Schimpf¬
d'Albert. Daß er Mitwirkender in der Kammermusik am
wort einen anderen Schutzmann. Vergebens! Dieser belehrt ihn
vergangenen Sonnabend war, verlieh dem Beethoven=Abend erst
nur über sein „unpassendes Benehmen" und Crainquebille ist
die ihm zustehende Bedeutung. Die ins Programm ausgenommenen
nahe daran, verzweifelt in die Seine zu gehen. Aber ein junger
Werke bildeten eine Skizzierung Beethovens Entwickelung
Mensch, dem er einst einen halbverfaulten Apfel geschenkt hat, be¬
in der Kammermusik. Von einem der ersten Quartette, Op. 18
lehrt ihn, daß man den Mut nicht sinken lassen dürfe und wird
Nr. 4, in C=Moll, erhob sich die Linie über das kraftvolle Trio
dafür von Crainquebille als glücklicher Mann gepriesen, weil er
für Klavier, Violine und Violoncello, Op. 97, in B=Dur, zu einem
einem Menschen das Leben gerettet hat. — Dies der Inhalt des
der letzten Quartette für Streichinstrumente, zu dem Cis=Moll¬
Dramas, das durch die scharfe Charakteristik seiner Personen, die
Quartett, das Beethoven selbst für sein „größtes“ hält.
lebhaften Straßenszenen und die bewegte Gerichtsverhandlung
Entwirft der Meister in seinem C=Moll=Quartett Bilder der
keine üble Milieuschilderungen bietet, aber in langatmigen
Seele und des Lebens mit dunklerem Hintergrund, so lichtet er
Schlußreden voll billigen Pathos verpufft, so daß es kein tieferes
sie im B=Dur=Trio wieder auf. Unter den freudvoll sich auf¬
Interesse wach ruft. — Soll es stärker wirken, so müßten vor allem
schwingenden Sätzen nimmt das Andante candabile seines
die Volksszenen weit mehr natürliche Frische zeigen, als es bei
seelenvollen Inhalt wegen eine besondere Stellung ein. Es
der heutigen Vorstellung der Fall war, und die Gerichtsszene dürfte
gleicht einer herrlichen Perle in strahlender Fassung. Was
nicht in dem Maße durch das Gebrüll eines immer wieder Ruhe
Beethoven in seinem Cis=Moll=Oartett offenbart, läßt sich schwer
rufenden Gerichtsdieners gestört werden, was nachgerade uner¬
mit Worten sagen. Als Gegenstück zu seiner „Neunten“ ist es
träglich wurde. Die Hauptrolle wurde im ganzen scharf und sicher
der Inbegriff seines Daseinsgefühls voll Wonne und Wehe.
von Robert Forsch gezeichnet. Agnes Wenkhaus gab
Die Wiedergabe des B=Dur=Trios unter der genialen Führung
eine samose Schuhmachersfrau, namentlich trefflich in seiner
von d'Albert muß an erster Stelle genannt werden. Sie riß fort
Charakteristik bei der Gerichtsszene. Auch der nervöse Gerichts¬
1 und zeigte, daß Beethovens freies Schaffen ein ebenso freies Nach¬
präsident Bourriche wurde von Elimar Striebeck, dem
schaffen in seinem Geiste verlangt. Wie d'Albert die Sklaven=
solche Rollen liegen, hübsch gespielt. — Das Publikum nahm das
ketten des Taktes und des Tempos abschüttelte, und doch durch die
Schauspiel erst am Schluß wärmer auf. Nach dem zweiten Akt
Kraft seiner Vernunft und seines Gefühls den Beethovenschen
hörte man sogar starkes Zischen, obwohl hier viel Lebenswahres
in der Gerichtsverhandlung — auch für deutsche Verhältnisse! — Rhythmus im gewaltigen Sturmschritt zum Siege trug, bewies