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18.einsane Neg
Neues Wiener Tagblatt, Wien
zschnitt aus:
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TE
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zweiten Akt, so glaubhaft und siegessicher, daß seine
schließliche Niederlage mit verdoppelter Wucht wirkte;
Theater, Kunst und Titeratur.
Frau Bleibtreu sprach die Irene Herms mit
einem köstlichen Anklang ans Wienerische, und sie
Der einsame Weg.
war hinreißend, wenn sie weinte und wenn sie lachte.
Schauspiel in 5 Aufzügen von Artur Schnitzler.
Ihre große Szene mit Julian brachte ihr stürmischen
Zum erstenmal aufgeführt am Burgtheater¬
Beifall bei offener Szene. Herr Walden gab dem
19. Februar 1914.
Sala einen Zug ins Spitze und Pedantische;
Vor Jahren hat uns das Berliner Lessing¬
namentlich im ersten Akt, der ihn älter und trockener
theater, dem damals noch Brahm vorstand, einige
erscheinen ließ, als ihn der Dichter gewollt haben
Aufführungen von Schnitzlers Schauspiel gebracht,
mag, mehr den gealterten Junggesellen als den
das jetzt erst den Weg ins Burgtheater gefunden hat.
vereinsamten Witwer. Vor allem war es schwer zu
Die heutige Aufführung hat uns gezeigt, daß die Zeit
glauben, daß dieser Mann die zurückhaltende, ver¬
dem Werke nichts hat anhaben können; in der Dar¬
schlossene Johanna — welche Fräulein Wohl¬
stellung des Burgtheaters erscheint es sogar, als sei es
gemuth mit allem Reiz ihrer schönen Erscheinung
in seiner Wirkung vertieft, klarer in seiner allgemein
und der Trauer einer rätselhaften Psyche ausstattete
menschlichen Fassung herausgearbeitet und über das
in bedenkenloser Liebe an sich ketten würde. Im
Niveau einer bühnentechnisch mehr oder minder
letzten Akt riß er aber doch wieder die Hörer zu
geschickt konstruierten literarischen Arbeit empor¬
lautem Beifall hin durch scharf pointierte Rede und
gehoben.
markantes Spiel. In guter Haltung spielte Herr
Die Aufführungen der Berliner liegen so weit
Gerasch den Felix, und den Professor Wegrath
hinter uns, daß eine Rekapitulation des Inhalts des
zeichnete Herr Paulsen ungemein charakteristisch.
Schnitzlerschen Schauspiels uns nicht überflüssig
Nach den beiden ersten Akten dankte Herr
erscheint. Der Dichter führt uns ungezwungen unter
Treßler namens des Autors; nach den folgenden
die Menschen ein, deren Geschicke sich unter unsern
Aktschlüssen quittierte Schnitzler selbst den leb¬
Augen vollziehen sollen. Zuerst sehen wir Johanna
haften Beifall, der ihn am Schlusse noch mehrere
(Fräulein Wohlgemuth) und Felix (Herr
1.—
Male an die Rampe rief.
[Gerasch) im Garten ihres Vaters, des Akademie¬

hatertr
professors Wegrat (Herr Paulsen), im Gespräch
über die Krankheit der Mutter (Fräulein Haeberle).
Johanna weiß, daß der Mutter Tod nahe bevorsteht,
dank der schmerzlichen Gabe des zweiten Gesichts, die
ihr schon einmal den Tod eines Kindes vorhergesagt
hat, des einzigen eines Freundes der Familie, des
Herrn v. Sala (Herr Walden). Und nun treten sie
vor uns hin, deren Beziehungen zueinander ein in
sich geschlossenes Stück Leben gestalten: Herr v. Sala,
der überlegene Lebenskünstler, der sich jetzt auf die
Teilnahme an einer wissenschaftlichen Reise nach
Baktrien vorbereitet, der resignierte „Kunstbeamte“
Professor Wegrat, seine kranke, den nahen Tod
ahnende Gattin Gabriele und ihr Arzt und Ver¬
trauter. In den Gesprächen werden zwei Namen
genannt, der halbverschollene geniale Maler Julian
Fichtner (Herr Devrient), Wegrats Jugendfreund,
und die Schauspielerin Irene Herms (Frau
Bleibtreu) — und aus der Zwiesprache des Arztes
mit seiner Kranken geht hervor, daß Felix Julians
Sohn ist. Der Arzt beschwichtigt die Skrupel der Frau,
die es schwer trägt, den zärtlichen, vertrauenden
Gatten belogen zu haben.
Diese Exposition bereitet die nun in rascher
Folge sich abspielenden Dinge ausgezeichnet vor
Julian ist, des Umherschweifens müde und in plötz¬
lich erwachter Sehnsucht nach seinem Sohn, zurück¬
gekehrt. Von Sala erfährt er Gabrielens Tod —
Sala weiß, daß Felix Julians Sohn ist. Eine Szene
mit Irene Herms, Julians einstiger Geliebten —
ein Stück im Stücke — zeigt uns sein Charakter¬
bild so klar und scharf umrissen, daß die
darauffolgende Szene mit Felix geradezu be¬
wunderungswürdig in ihrer konsequenten Führung
erfcheint. Felix kommt, sich ein Bild auszubitten, das
Julian von der Braut Wegrats gemalt hat; der
Ausdruck des Bildes macht Felix betroffen
„dieser Blick war auf Sie gerichtet?!“ — und Julian
bedenkt sich nicht, ihm in wenig Worten alles zu
sagen. Erschüttert und unsicher verläßt ihn Felix.
Sala, der mittlerweile mit Johanna zu in¬
timen Beziehungen gelangt ist, bietet Felix die Teil¬
nahme an der baktrischen Expedition an, die dieser
mit Freuden zusagt, vielleicht um dem Konflikt aus
dem Wege zu gehen, in den ihn Julians gestrige
Mitteilungen gestürzt haben. Da unternimmt Julian
noch einen Sturm auf Felix, den er durch die