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erschwert ihm so das Verständnis ihres Handels. Sala ist
der Räsoneur Schnitzlers. Ihm legt er die geisireichsten und
tiefsten Sentenzen in den Mund. Sala ist eine tragische
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nsam
Erscheinung. Er durchschaut die egoischen Triebfedern seines
18. Der elunaue neß
Lebens, kann sich ihnen jedoch nicht entziehen. „Lieben heißt,
für jemand andern auf der Welt sein ... Was hat das,
was unsereiner auf die Welt bringt, mit Liebe zu tun?
Haben wir jemals ein Opfer gebracht, von dem nicht un¬
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jere Sinnlichkeit oder unsere Eitelkeit hren Vorteil gehabt
hötte? Haben wir je gezögent, anständige Menschen zu be¬
Theater und Kunst.
trügen oder zu belügen, wenn wir dadurch um eine Stunde
J. G. Brunner Städttheater. Ibsens Belenntnis „Dich¬
des Glücks oder der Lust reicher werden konnten?" Das
ien heißt Gerichtstagshälten über sich selbst“ klingt als weh¬
Gegenstück Salas ist der Hausarzt Wegrats, Dr. Reumann.
mütiges Leitmotiv aus dem „Einsamen Weg“, Artur
Dessen Sehnsucht ist es, ein Schuke zu sein, ein Kerl, der
Stester und ergreifendster Dichtung, die uns
heuchelt, verführt, hohnlacht, über Leichen schreitet. Aber er
gestern, elf Jahre nach ihrer Entstehung, zum erstenmal die
ist durch Mängel des Temperaments dazu verurteilt, ein
wehen Rhythmen ihrer verklingenden Sehnsuchtsmelodien zu
anständiger Mensch zu sein. — „Der einsame Weg“ ist wohl
offenbaren suchte. In keinem anderen Werk ist der Wiener
Schnitzlers tiefste Dichtung, doch nicht sein bestes Drama.
in Technik, logischer Dialogverklammerung und Tiefgrün¬
Zwei, ja drei Handlungen laufen parallel, sie lösen einander
digkeit der ethischen Problemne dem großen Skandincoier
ab, statt miteinander zu verschmelzen. Breite epische Stellen
so nahe gekommen. Ohne die „Wildente“, die „Frau vom
erdrücken den dritten Akt und man muß den Weg durch
Meer“ und den Epilog „Wenn wir Toten erwachen“ sind
das Buch gemacht haben, um den seinen, überzarten Fäden
viele Szenen der fünf Akte kaum zu denken, womit jedoch
der feelischen Verschlingungen folgen zu können. Kommt
nicht gesagt sein soll, daß Schnitzlers Schauspiel dadurch
überdies wie gestern eine Aufführung zustande, die mit
irgend etwas an geistiger Selbständigkeit eingebüßt habe.
Ausnahme Harry Waldens und Frau Brandts dem
Im Gegenteil: Es#it ja das persönlichste Werk des Dichters.
Geiste des Dichters nicht einmal Annaherungswerte zu vie¬
Schnitzler war vierzig Jahre alt, als er den Einsamen
ten vermag, so darf man sich nicht wundern, daß der Ein¬
Weg“ schrieb. Er stand an der wichtigsten Wegwende des
druck des „Einsamen Weges“ nicht sonderlich günstig war.
Mannes. Prüfend überblickt man die Zeit des Aufstiegs;
Wer als junger Mensch etwas Faszinierendes, Blendendes,
was bisher im Schein des Lebenswichtigen geglänzt hat,
Geniales hat, kann mit kaum fünfzig Jahren nicht zu einem
überschätzt. Eintagsherrlichkeiten verwehen gespenstisch vor
gänzlich unbedeutenden, jedes Interesse ausschließenden
den gereiften Blicken des Vierzigjährigen, er bekommt den
Spießbürger herabsinken. Und den hat Herr Rubel aus
Sinn für das Wesentliche, diesen erprobten Führer im Reich
dem Künstler Julian Fichtner gemacht. Frau Graf (Jo¬
des herandämmernden Alters. Der Tod erhebt langsam und
hanna) spielte ein verraunztes Bürgermädchen, das einge¬
mahnend die Sanduhr und der Männlichste wird im Augen¬
lernte Worte aufsagt, und mit dem geistig reifen Felix
blicke jäher Beklemmung bebend nach einer ermutigenden
wußte Herr Rehberger gar nichts anzufangen. Die bei¬
und stützenden Hand tasten. Weh dem, dessen Schaffens¬
den Auftritte zwischen Julian und Felit, die schönsten des
und Liebesegoismus verstehende Mitgeschöpfe endgültig aus
Dramas, verloren vollständig ihre dichterische Physiognomie.
seinem Bereich verbannt hat. „Und wenn uns ein Zug von
Bacchanten begleitet — den Weg hinab gehen wir alle [Herr Recke (Wegrat) und Frl. Birnbaum (Gabriele)
allein wir, die selbst niemandem gehört haben.“ Schnitz=lblieben bereits in den ersten Parkettreihen unverständlich,
wie überhaupt das unhörbare Geflüster seit einiger Zeit
ler hat während der ersten zehn Jahre seines Wirkens eine
szum allgemein beklagten Übel geworden ist. Herr Strauß
Reihe solcher Genüßlinge und leichtsinniger Individualisten
(Dr. Reumann) wählte nicht mit Unrecht die Maske Schnitz¬
oft mit verstehendem Entgegenkommen gezeichnet und nur
sehr selten den Stab über sie gebrochen. Jeit ruft er sie flers und verstand wenigstens, was er zu sagen hatte. Blei¬
und sich vors Gericht und zieht die letzten Konsequenzen.ben Herr Walden und Frau Brandt. Walden gibt dem
manirierten Schöngeist Sala eine unwiderstehliche, raffi¬
(Goethe tat Ahnliches im „Götz“ und „Clovigo“.) Und so
nierte Kultur der Gebirde, der Kleidung und des Wortes.
verschlingen sich im „Einsamen Weg“ die Grundakforde
Doch bleibt der Künstler nicht an diesen Außerlichkeiten haf¬
seiner gesamten Dichtung: Leben, Liebe, Selbstsucht, Schick¬
ten, sondern erschließt auch restlos das komplizierte Seelen¬
sal und Tod zu einem herzerschütternden Parzenlied. —
Julian Fichtner, ein seinerzeit berühmier Maler, hat in der Gild des bis zum Grabesrand ästhetelnden Selbstsüchtlings,
ßja om Schlusse, als der Wunsch, das verschüttete #rbatana
Jugend die Braut seines Freundes Wegrat verführt und
zu betreten, durch die jählings niedersausende Todesfense
war auch entschlossen, sie am nächsten Tage mit sich in die
Welt zu nehmen, doch im letzten Augenblie überwältigt ihn Funichte gemacht wird, da ergriff und durchzitterte wohl
die Furcht, sein Leben ewig an ein Wesen gekeitet zu sehen, ljeden Zuhörer die Stimmungsgewalt seiner auserlesenen
das seinem bisherigen pflichtenlosen Hinstürmen durch die Kunst. In der großen Szene mit Julian feierte Frau
[Brandts ungezwungene und in der Gefühlsreihe von
Genußmöglichkeiten der Welt unbedingt Fesseln anlegen
Scherz zum Schmerz völlig ausgeglichene Dialogbeherrschung
wirh und so slieht er allein, ohne Reue, im berauschenden
einen berechtigten Triumph. Das ausverkaufte Haus dankte #
Gefühl von Jugend und Unbeschränktheit. Er hätte sich so¬
Herrn Wolden durch Beifallsstürme, namentlich nach den###
phar des eventnellen Selbstmordes der Geliebten für wert
gehalten. Als er Gabriele nach zehn Jahren wieder ent¬
gegentritt, erfährt er, daß sie damals ihren Verlobten soKarten Art.—
sort geheiratet habe und daß ihr erstes Kind Felix sein
Sohn sei. Seit dieser Zeit zieht es ihn mit magnetischer
Gewalt in das Haus der Wegrats und nach Gabrielens
Toge"beschließt er, Jelix das Geheimnis seiner Geburt zu
geinen. Denn Felix ist für den alternden, einsomen!
rünstler, der nach allen Seiten ins Leere greist, die letzte
Hoffnung. Die oft verherrlichte Stimme der Natur verjagl
jedoch. Feliz weist ihn von sich, sein Platz jei an der Seite
Wegrats, der die Mutter geliebt und der seine Kindheit
und Jugend mit Zärtlichkeit umgeben habe. Denn man hat
für einen Menschen sehr wenig getan, wenn man nichts
tat, als ihn in die Welt zu setzen. Und da Julian Fichtner
auch die zweite Gelegenheit, die ihm das Schicksal bot, zu
einem Gefährten des Alters zu kommen, versäumt hat, jo
schleichi er einsam und gebrochen hinaus. Diese zweite Ge¬
legenheit wor seine Beziehung zu der Schauspielerin Irene
Herms. Beider Liebesverhälinis hätte durch die Geburt
eines Kindes gekrönt werden können, vielleicht wäre daraus
ein Liebesbund erwachsen und sie hatte auch einer momen¬
kanen Untreue gegen Julian, die zur Trennung beider ge¬
führt hat, sicher widerstanden. Als die Gealterten jetzt nach
K
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