Faksimile

Text

W
ISaN
box 23/5
18. Der
4
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Teleion: Norden 3051
BBRLIN N4
Ausschnitt aus:
Neue Leipziger Zeitung
11. Apr. 1927
Der einsame Weg
Gastspiel Bassermann im Schauspielhaus
Arthur Schnitzler ist, seitdem sein „Reigen“
manchen Direktor vor der Pleite gerettet hat, auf
den deutschen Bühnen selten geworden. Er war
immer ein Stiller in österreichischen Landen, und die
Zeit ist laut und hat ihn ein wenig in den Winkel
der Vergessenheit gedrängt. Es gibt Schriftsteller,
die nicht mitmachen wollen, die nicht hinter den
neuen Zeitläuften her sind und es vorziehen, auf
eine leise und vornehme Art unmodern zu werden.
Weltkrieg und Revolution sind an ihm abgeglitten,
als wären sie nicht. Die sogenannten großen
Probleme, sie existieren nicht für ihn. In Stich ge¬
lassen von der „neuen Zeit“, blieb er wie auf einer
Insel in seiner wienerischen Seelenlandschaft zurück.
So steht er da, melancholisch=heiter, spielerisch=sinnend,
ewig variierend das Thema vom Eros und vom
Tode.
Es ist die Problematik der müden, ausgelebten,
leeren Herzen, eine Aesthetenproblematik von vor
1911, die in diesem Schauspiel eine zarte Seelen¬
kammermusik macht. Es ist das melancholische Thema
von der Empfindungsarmut, die sich nach starkem,
naivem Erlebenkönnen sehnt und diese Sehnsucht
schon im Augenblick ihres Entstehens ironisch um¬
spielt. Herr von Sela kennt seine Bestimmung,
immer außerhalb des Gegenwärtigen, immer abseits
des wirklich Lebendigen zu stehen. Gelebtes wird
Spiel, Gespieltes wird Leben, Gegenwärtiges ver¬
blaßt schon zum Vergangenen, Vergangenes wirkt
wie Gegenwartiges. Eine solche allgemeine Zer¬
setzung des Charakters bedingt ein chronisches Ein¬
samkeitsgefühl, das überdies noch durch die akute
Krise des Alterns und der Todesnähe verschärft
wird. Dieser Herr von Sala wäre weiter nichts als
eine schattenhaft blasse, kranke, also etwas peinliche
Aesthetenfigur aus dem Hofmannsthal=, George= oder
Rilke=Kreis, hätte er nicht im morbiden Blut einige
Tropfen Kraft: Ironie und Haltung. Man könnte
fast erschrecken bei Herrn von Salas männlichen
Worten: „Ich will mich um das Bewußtsein meiner
Zwei Jahr¬
letzten Tage nicht betrügen lassen.“
zehnte später hat Rainer Maria Rilke den gleichen
Wunsch, sein schweres Sterben bis zuletzt zu erleben,
wahr gemacht. Das Wirklichwerden eines Dichter¬
wortes ist immer ein Adelszeichen hohen Wertes.
Dassermanns Stephan von Sala ist eine
exqvisite Mischung aus Literat und Kavalier. Um
seine schmalen, abwärts geneigten Lippen ist alles
Wissen um alle Lust der Welt und der fade Geschmack
davon und sehr viel Skepsis und Müdigkeit und
Trauer. Dieser kranke Körper federt noch imme
sein dekadenter Geist bewahrt unbedingt Haltung
und ist keiner Untadeligkeit fähig. Er hat eine Axt
heroischer Melancholie, die weder weich noch pathe¬
tisch und immer graziös ist. Die Rauheit seiner
Stimme schützt die Gestalt vor weichlich=lyrischem
Zerfließen. War ihr fehlt, ist die leicht wienerische
Klangfarbe, der österreichische Tonfall.
Josef Krahé (Professor Wegrath) kam im Aus¬
druck der Untadeligkeit dem Gast am nächsten. Er ist
ein Herr von Sala ohne dessen geistige Kompliziert¬
heit, die seinen Scharw ausmacht. Ueberhaupt muten
die Gestalten dieses Stückes wie die Gliede einer
großen Familie an; sie sind alle untereinander ein
wenig verwandt, entstammen einer geistigen Inzucht.
Auch Julian Fichtner (Otto Stoeckel) ist eine Ab¬
wandlung des Herrn von Sala, ein bißchen nach der
bedenklich=zügellosen Seite hin. Ganz Haltung,
Bravheit, unkompliziert, aber gemütvoll war Hans
Böhms junger Leutnant. Else Bassermann
(Irene Herms) hatte die menschlichen, echten Töne
einer Resignation die sich in Heiterkeit gerettet hat.
Gertrude Langfelder zeigte ergreifend ein stilles
Sterben. Dem allen Aeußerlichkeiten abholden Stil
des Stückes war Sieglinde Weichert (Johanna)
nicht ganz gewachsen.
s ist allerdings nicht leicht,
dieses schwer verdrehte Mädchen von Unnatur zu be¬
Hans Natonek.
wahzen.