Faksimile

Text

W
nSam
box 23/5
18. Der EE
Ausschnitt aus: Bayerische Staatszeitung
München
30. Juni

resigniert hat. „Ihr seid halt so,“ sagt sie zu Fichtner. „Was soll
Der einsame Weg.
man da machen?“ Dies Wort könnte das Motto für das ganze
Stück sein. Fichtner und Sala sind nun mal so, daß sie Frauen
Schauspiel in vier Akten von Arthur Schnitzler.
1 Sch
verführen und ins Unglück stürzen: was kann man da machen?
Erstaufführung im Schauspielhaus.
Der Titel „Der einsame Weg“ paßt im Grunde nur auf die
erste und dramatisch wirksamste Handlung; Fichtner muß zur
Das Stück spielt in Wien und in der Gegenwart. Diese
Strafe für seinen Egoismus auch ferner seinen einsamen Weg
Gegenwart ist gut zwanzig Jahre alt, denn im Jahre 1903 ist
gehen ohne die Liebe seines Sohnes. Es ist merkwürdig und für
es entstanden, im Jahre darauf ist es am Deutschen Theater in
das Stück, eines seiner älteren und schwächsten, verhängnisvoll,
Berlin zur ersten Aufführung gelangt, und wieder zwei Jahre
daß es Schnitzler nicht gelungen ist, dieses dankbare Thema, wie
später hat es ein Gesamtgastspiel des Berliner Lessing=Theaters
der Vater um die Liebe seines Sohnes kämpft, in den deutlichen
mit demselben Albert Bassermann, dessen Gastspiel es uns
Mittelpunkt seines Stückes zu stellen. Ohne Saft und Kraft ver¬
am Samstag beschert hat, nach Wien gebracht, wo es angeblich
fließt alles in ein mehr oder minder geistreiches Geplauder um
spielen soll. Es könnte aber auch ebensogut in jeder anderen
die Sache herum, und während die ersten Akte ein Drama vom
Stadt spielen, wie denn auch das Wiener Lokalkolorit der Dar¬
vergeblich gesuchten Sohn vorzubereiten scheinen, schließt der letzte
stellung einzig in einer österreichischen Ulanenuniform eines Leut¬
mit der Tragödie des verführten Mädchens, das seinem Verführer
nants besteht. „Der einsame Weg“ ist eine Tragödie des
dankbar die Hand küßt, als er sie zu heiraten verspricht und darauf
Egoismus, in der, notdürftig verbunden, drei Handlungen neben¬
in den See springt. „Was soll man da machen?“
einander laufen, von denen die erste und bedeutendste allein ge¬
Ich glaube, die Rolle der „heiligen Johanna“ Shaws wird
nügt hätte, ein Stück zu füllen.
Fräulein Tiedemann wesentlich lieber gewesen sein, als vie
Der Maler Julius Fichtner hat von der Frau des Professors
dieser armen, offenbar halb verrückten Johanna, die sie aber auch
und Direktors der Akademie der bildenden Künste Wegrath einen
rührend zu spielen wußte. Den Stephan von Sala gab, wie schon
9
Sohn, dessen Herkunft Frau Gabriele ihrem spateren Gatten ver¬
vor zwanzig Jahren, Albert Bassermann. Sie muß ihn be¬
borgen hat. Fichtner kehrt von seinen großen Reisen nach Wien
sonders zur Darstellung gereizt haben, und er spielt sie denn auch
zurück und wirbt um die Liebe seines inzwischen erwachsenen
mit der imponierenden Ueberlegenheit eines in allen Sätteln ge¬
Sohnes, die er aber ganz verliert, als dieser in einer Aussprache
rechten Kavaliers, mit zarter Andeutung eines tödlichen Herz¬
erfährt, wie sehr der, den er bis dahin für seinen Vater gehalten,
leidens und mit einer wohltuenden Dosis von Liebenswürdigkeit,
getäuscht worden ist. Er schließt sich ihm umsomehr an, als seine
die versöhnend wirken kann. Frau Else Bassermann kam uns
kranke Mutter nach dem ersten Akt stirbt. Der Maler, der stets
in der Rolle der ehemaligen Schauspielerin Irene Herms mensch¬
und überall nur seinen egoistischen Launen gelebt, hat das Nach¬
lich näher als neulich. Hermann Nesselträger stellte mit
sehen. Die Tochter Johanna Wegraths, die zu einem alten Freunde
0
Resignation und Würde den von seiner ganzen Umwelt betrogenen
der Familie, dem Roué Stephan von Sala, eine unerklarliche
Professor Wegrath vor, und Carla Holm darf als seine Frau
Neigung gefaßt hat, läßt sich von ihm verführen und geht in dem
Gabriele schon nach ihrer ersten Szene an einer Krankheit sterben,
Augenblick, wo dieser sie zu seiner Frau machen will, ins Wasser.
über die uns ihr Arzt (Herr Walther), der durch das ganze
Warum? Man kann es nur erraten, denn alles ist in diesem
Stück geht, dem ich mich aber nicht anvertrauen möchte, nichts zu
Schauspiel nur angedeutet in einer sanften Melancholie, die sich
sagen weiß. Den Leutnant Felix, der zwischen zwei Vätern steht,
über das ganze Stück ausbreitet. Herr von Sala ist schwer herz¬
gab Herr von Jordan in einer hübschen Ulanenuniform, die
krank, und deshalb springt die arme Johanna nächtlich in den
leider nicht mehr „Gegenwart“ ist, und Herr Stoeckel spielte
Teich seiner neuen Villu und verläßt Vater und Bruder. Es ist
dessen Vater mit dem traurigen Abgang, Julius Fichtner mit
vielleicht der dümmste und unmotivierteste Selbstmord der Lite¬

jener ausdrucksreichen Lebendigkeit und nervösen Beweglichkeit
701
ratur. Stephan von Sala kommt, als er dadurch erst erfahrt, wie
auf Sesseln und Tischen, die wir an ihm gewöhnt sind. Ein an¬
krank er ist, seinem natürlichen Tode durch die Ankündigung seines
scheinend ausverkauftes Haus zollte der ganzen Darstellung, vor
Selbstmordes zuvor Dieses war der zweite Streich. Der dritte
allem natürlich den Gästen Albert und Else Bassermann, reich¬
basiert auf ein früheres Verhältnis des Malers Fichtner mit der
lichen Beifall. Inwieweit dieser auch Arthur Schnitzler galt,
Schauspielerin Herms, die wieder in Wien auftaucht, ihren ehe¬
A. v. M.
maligen Geliebten und auch den Herrn von Sala besucht, mit ] muß dahingestellt bleiben.
ihnen in Erinnerungen sich ergeht, aber für ihr Leben anscheinend !