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18. Der einsane Nes
box 23/5
„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZELLE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
##Freie Presse, Wien
Auendblatt
8.
vom:
(Vorlesung Gertrud Klastersky=Kolar.) In der Urania
veranstaltete kürzlich Gertrud Klastersky=Kolar unter
Mitwirkung von Marianne Mislap=Kapper einen den
Manen Rilkes, Schnitzlers, Trakls und Hofmannsthals gewid¬
meten Dichterabend. In einer einleitenden Conférence wies Trudl
Glogau auf das Gemeinsame dieser vier Heimgegangenen, doch
Unvergeßlichen hin, die alle Dichter der Jahrhundertwende waren
und alle Dichter der Empsindjamkeit. Indem sie das künstlerische
Prosil jedes einzelnen von ihnen sehr glücklich umriß, gelangte sie
bei Rilke zu dem Schluß: er verlor sich in der Fülle der Welt und
blieb doch Individualist. Weniger bekannt als Rilke, Schnitzler
und Hofmannsthal ist Trakl, wie Hölderlin gekennzeichnet durch
eine tiefgründige Melancholie. Während Hölderlin jedoch aus der
Antike schöpft, ist Trakl der Dichter des österreichischen Berg¬
landes. Sein Leben glich einer Flamme, die sich selbst verzehrt;
siebenund zwanzigjährig, starb er an den scelischen Erschütterungen
des Weltkrieges. Nach dieser von Trudl Glogau hübsch gesprochenen
essayistischen Einführung brachte Gertrud Klastersky=Kolar zunächst
eine Auswahl von Gedichten von Rainer Maria Rilke zum Vor¬
Bekanntes und minder Bekanntes, Verse, zart wie
trag —
Blüten im Frühlingswind, durchdustet von verseinerter Geistig¬
keit, getragen und beschwingt von einer wundersamen Musik der
Secle. Auch in den Gedichten Hosmannsthals und Trahls erwies
Gertrud Klastersky=Kolar sich als seinsinnige und geschmackvolle
Interpretin, doch erreichte sie ihre höchste Ausdruckskraft in den
dramatischen Szenen aus „Die Frau am Fenster“ von Hugo
v. Hofmannsthal und „Der einsame Weg“ von Arth
die sie mit seiner Eindringlichkeit und plastischer Gestaltung zu
packender Wirkung brachte. Marianne Mislap=Kapper sang, von
Franz Mittler am Klavier begleitet, sehr anmutig Lieder
von Rilke, Trakl und Hofmannsthal in der Verlonung von Franz
Mittler und Wilhelm Grosz und durfte sich mit Gertrud Klastersky
in die Ehren des Abends und in den reichen und herzlichen Beifall
——.
des Publikums teilen.