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Das hab’ ich vor zwanzig Jahren geschrieben, Ich lese es, be¬
vor ich in die „Tribüne’ gehe, und fühle eine leise Beklem¬
mung: wird sich Schnitzler nach so langer, durch den Krieg doppelt
lang gewordener Zeit noch behaupten? Und bin überrascht, wie er
sich behauptet. Freilich nicht ohne dramaturgische Nachhilfe. Georg
Altmann hat die fünf auf drei Akte (in vier Bildern) gebracht
und damit erstens das gemächliche Schauspiel dem Tempo der Ge¬
genwart einigermaßen angenähert, zweitens dem Dialog entzogen,
was uns heute vielleicht doch auf die Nerven fallen würde. Die wer¬
den genug angegriffen von einer Inszenierung und einigen Mimen, die.
Aber laßt mich alten Mann lieber bejahen, und wenn ich mich dazu
als Kind zurücketräumen und lrene Trieschs gedenken müßte, deren
Johanna, unter den Wissern und Nichtwissern die Ahnerin, anno 1904,
das feuchte Auge für die verhüllten Dinge und die jäh ausbrechende
Leidenschaft einer ersten und letzten Liebe hatte. Das Herz der
neuen Aufführung ist die Höflich. Sie trifft meisterhaft den Ton, um
den eine Bühnenkünstlerin Leid und Freud lauter äußert als jede
andre FTrau. Aber zugleich ist sie eine, die beides aus einer Tiefe
empfindet, daß einem die Tränen kommen. Bei Schnitzler sind die
Klagen der Schauspielerin, nicht Mutter geworden zu sein, von Ella
Rentheim. Bei der Höflich haben sie eine überwältigende Ursprüng¬
lichkeit. Diesem anbetungswürdigen Stück Natur steht ein erlesenes
Kunstgebilde gegenüber. Sala hat sich von Jugend auf bemüht, sein Le¬
ben zu schmücken, ihm Stil zu geben, er sei, woher er sei. Bewußt
hat er sich die edelste Kulturfinesse des Europäers anzueignen ge¬
sucht: den bezaubernden Charme des Parisers und die überlegene
Gemessenheit und Zurückhaltung des Engländers. Das vereint Basser¬
mann mit der sublimsten Selbstverständlichkeit. Das allein aber wäre
für diesen prachtvollen grauen Künstlerkopf zu wenig. Er ist auch
von der Tragik lebenslänglicher Einsamkeit und von einer Poesie
der Todgeweihtheit umwittert, die die Gestalt ganz groß und so er¬
schütternd machen, wie nur die höchsten Gebilde der Kunst es sind.
Gedicht aus der Stadt von Willy Gutermann
Tage vergehen in Glut
Und die laute Stadt.
Liebende singen sich Mut
Und küssen sich satt.
Gucken sich liebgroß an
Mit verstörtem Gesicht.
Fangen zu tuscheln an
Und vergessen die Pflicht.
Abende schleichen davon,
Sternenüberdacht.
Liebende gehen fromm,
Beschmeicheln die Nacht.
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