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18. DeNeg
Wien, Sonntag
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von all den Forschern, die den gigantischen Bau der
Physik in seiner Grundlage erschüttert und eine ganz
neue Welt der Erkenntnis aufgerichtet haben?
Wie in allem, so ist die Menschheit unsrer Tage
auch in dieser Beziehung aus dem Gleichgewicht und
so sehr außer Rand und Band geraten, daß sie sich
einseitig fast nur mehr für das Ungeistige interessiert;
ihr Ideal ist der Negerboxer, dessen Körper die
Dimensionen des Davids Michelangelos, dessen
Schädel aber die Größe eines mäßigen Maschansker¬
apfels hat. Jede Zeit von halbwegs ausgeglichenem
Wesen und wirklicher Kultur hat Maß zu halten ge¬
wußt in Ausbildung des Körperlichen wie des
Geistigen. In der Renaissance, die gegenüber der
mittelalterlichen Askese den menschlichen Körper und
dessen Schönheit so recht wieder entdeckt hat, waren
Festtage der Kunst, etwa die Neuaufstellung eines
Bildes oder einer Bildhauerarbeit von Masaccio,
Ghiberti, Donatello, Michelangelo, wahre Volksfeste
und Volksereignisse, bei denen sich Tausende drängten,
und bei der Enthüllung eines neuen Freskos im Stadt¬
hause von Siena war der Zulauf der Masse nicht ge¬
ringer als bei den Pferderennen auf dem Stadthaus¬
platz. Der glücklich hinter uns liegenden Zeit ver¬
kümmerter und verkrüppelter Körper darf nicht eine
Zeit der verkümmerten und verkrüppelten Gehirne
folgen.
Notruf der Kaufmannschaft
Industrielle, Kaufleute und Gewerbetreibende
zühlen zu den konservativsten, besonnensten, ruhigsten
ementen unsrer Bevölkerung. Aus leicht begreiflichen
Gründen sind insbesondere Kaufleute stets Gegner einer
Politik der Straße, die ihnen nicht nur in aller Regel
das Geschäft stört, sondern bei zufälligen oder absicht¬
lichen Exzessen schwerste Sachschädigung bringen kann.
Wenn diese Männer und Frauen nun selber am
11. Oktober auf die Straße gehen wollen, dann ist das
an sich ein Zeichen unerträglicher Notlage, ein Schritt
der Verzweiflung. Industrie=, Kaufmanns= und Gewerbe¬
stand sind seit Jahren von allen öffentlichen Gebiets¬
körperschaften als das Zug= und Lasttier für die steuer¬
lichen Allgemeinbedürfnisse behandelt worden. Die
Kaufleute haben sich an den Bundespräsidenten mit
einer Denkschrift gewendet, in der sie schwere Klage er¬
heben. Sie fühlen sich von allen Seiten im Stiche
gelassen. Steuern und öffentliche Abgaben haben stets
mit besonderer Wucht den Kaufmannstand getroffen.
Zoll= und Handelspolitik, Zwangsbewirtschaftung der
Devisen, zu allerletzt das ungleiche Recht, das man bei
der Erhöhung der Warenumsatzsteuer walten ließ,
haben auch in der Kaufmannschaft das Gefühl un¬
gerechter Zurücksetzung heraufbeschworen. Einer der
wichtigsten und wertvollsten Teile der berufstätigen
Bevölkerung wird dem Untergang entgegengetrieben.
Dem österreichischen Kaufmannstande kommt auch mit
Rücksicht auf den Fremdenverkehr in unserm Lande ganz
besondere Bedeutung zu. Aber eine Firma nach der
andern, deren Name weit über die Grenzen unsres
Landes hinausgedrungen war, zuletzt die Wiener Werk¬
stätte, ist ein Opfer dieser untragbaren Verhältnisse ge¬
worden. Unter ihnen leiden nicht nur die Luxusgeschäfte,
sondern die gesamte Kaufmannschaft, die sich jetzt ein¬
mütig, ohne Unterschied der Partei, von rein wirtschaft¬
lichen Interessen geleitet, die auch im höchsten Maße
Interessen der Gesamtheit sind zu einer energischen