Faksimile

Text

W
box 23/1
13. Derne
868
Echo der Bühnen: Berlin.
867
einem reichen und tiefen Drama ausarbeiten lassen.
Carnegie=Lyceum“ wo nun an mehreren Nachmittagen
Schnitzler aber hat neben die drei genannten Gestalten
in der Woche „Candida“ und das Napoleonstück Shaws,
noch eine Anzahl von Vertretern derselben beiden Typen
„The Man of Destiny“, gegeben werden. Arnold Daly,
gestellt, um sie dadurch vielleicht in schärfere Beleuchtung
der sich um die Einstut erung dieser Sachen verdient ge¬
zu rücken, er hat jedoch durch diese Maßregel nur den
macht und durch seine Interpretation der Rolle des jungen
Ueberblick gestört, und eine seiner Hilfsgestalten — wenn
Dichters in die erste Reihe amerikanischer Schauspieler
ist ihm an¬
man den Ausdruck gebrauchen darf
getreten ist, hat neulich seinen Ansichten über Schauspiel
scheinend während der Arbeit so sehr ans Herz ge¬
und Schauspielkunst Ausdruck gegeben und u. a. gegen die
wachsen, daß er die anderen Personen darüber fast ver¬
traditionelle Einteilung in Charakter= und andere Rollen
nachlässigt und insbesondere den eigentlichen Träger der
protestiert. Jede Rolle sei ein Charakter, und ihr
Tragödie viel weniger bestimmt und lebensvoll aus¬
Träger sei verpflichtet, sich in sie zu vertiefen und Geist
geführt hat, als zum Verständnis und zur unmittel¬
und Wesen des verkörperten Typus wiederzuspiegeln.
baren Wirkung des Werkes erforderlich wäre. Diese
Der hübsche Liebhaber im Melodrama, der jüdische
somit zur Hauptgestalt gewordene Persönlichkeit ist der
Geldwechsler und der irische Stalljunge seien alle
Lebenskünstler Sephan von Sala. Um dieser Figur
Charaktere. Was Shaw betrifft, so stehe er dem Mimen
willen wird man, wo ein vornehm und diskret
hülfreich zur Seite; die Winke, die er den Darstellern
charakterisierender Darsteller vorhanden ist, das Stück
gebe, hätten die Klarheit von Federzeichnungen. — Im
spielen. Sala ist ein Genießer wie sein Freund Julian
„Lyrie Theatre“ geht eine Dramatisation von Frank
Fichtner, aber er ist ein Dilettant in der ursprünglichen
Norris Börsenroman „The Pit“ in Szene; im
Bedeutung des Wortes, ein Mant der mit dem Leben
„Manhattan“ Owen Wisters „Virginian“ im „Hudson
spielt und überall Genuß sucht, ohne jemals Menschen
Theatre“ Richard Harding Davis „Ranson’s Folly“.
und Dinge zu nahe an sich herankommen zu lassen.
Im „Garrick“ spielt Annie Russell eine Bearbeitung von
Daher ihm denn auch echter Schmerz fremd ist,
Henri Bernsteins „Le Detour“ unter dem Titel „The
wie er sich auch nie mit Reue beschwert hat. Das ist
Younger Mrs. Parling“; im „Knickerbocker“ spielt
ein gefährlicher Menschentyp für den Dichter, denn gar
Viola Allen die Viola in „Was ihr wollt“.
zu leicht übersieht er bei seiner Ausgestaltung die feinen
A. von Ende.
Nem Vork.
Wurzeln, die doch auch ihn mit dem Mutterboden des
Menschlichen verbinden, und es kommt eine Gestalt zu
Tage, die sich im Wesen nicht von dem Typus des
geistreichen Raisonneurs aus jener Epoche der Litteratur
unterscheidet, gegen deren innere Unwahrheit sich die
= Echo der Bühnen
moderne Bewegung in erster Linie richtete. Dieser Ge¬
fahr ist auch Schnitzler nicht entgangen. Sein Stephan
1.—
S en. D4
von Sala ist bei aller Feinheit der Farben und Linien
doch nur ein Verwandter der Salon=Raisonneure des
Berlin.
Salon=Dramas. Ueberhaupt herrscht in diesem Schau¬
„Der einsame Weg.“ Schauspiel in fünf Akten von
spiel eine gefährliche Neigung zum geistreichen Gespräch,
Arthur Schnitzler (Deutsches Theater, 13. Februar).
und dem Dichter kommt es anscheinend oft mehr auf
erkauk“ Schauspiel in drei Aufzügen
geistvolle Wendungen des Dialogs als auf innerlich
von Richard Skowronnek (Berliner Theater,
wahre Entwickung der Charakiere an. Die Handlung,
13. Februar). — „Medea.“ Drama in zwei Akten von
in der Stephan von Sala mitwirkt, ist stark romantisch
Euripides, deutsch von Ulrich von Wilamowitz¬
gefärbt. Seine Liebelei mit der Tochter des Professors
Moellendorff (Neues Theater, 20. Februar).
Wegrath, einem hysterischen Mädchen aus dem Geschlecht.
ie „Tragödie des einsamen Weges“ ist die Tragödie
dem auch die „Frau mit dem Dolche“ entstanimt, ist
— eines Menschen, der Zeit seines Lebens nur bestrebt
wenig überzeugend durchgejöhrt und weder ihn, noch
war, allein seinen Weg zu gehen, ohne sich um die anderen
sie vermögen wir plastisch zu sehen. Beiden Gestalten
zu kümmern und den am Ende dieses Weges die
haftet etwas Schemenhaftes an. Schnitzler reizte
Sehnsucht nach Gefährten überkommt, die an sich zu
jenes Paradoxon der Natur, daß das echte Kind
fesseln er aber nie gelernt hat. So straft das Leben.
aus der Ehe des Altruisten Professor Wegrath ein
Julian Fichtner, der ein unbekümmerter Genießer war,
Wesen mit rein ausgeprägt egoistischen Trieben ist,
so lange ihn sein Wesen zum Genuß drängte, der immer
während der Sohn, der in Wahrheit das Kind des
nur Leidenschaft begehrte und gab, — auch ihn ergreift
Egoisten Fichtner ist, die altzuistische Lebensauf¬
endlich beim Nahen des Alters die Sehnsucht nach
fassung des Mannes geerbt hat. der nicht von
Liebe, nach einer Liebe, die im Glück des anderen ihr
Natur sein Vater ist. Der Bildner inserer Lebensauf¬
Höchstes findet und deren Wesen Aufopferung ist.
fassung ist also nicht die Natur, sondern die Erziehung;
Aber er kann nicht ernten, wo er nicht gesät hat, und
in schmerzlichen Erfahrungen muß er es lernen, seinen
Sala ihr Ideal gesehen und von ihm ihre bestim#enden
Weg als ein Einsamer weiter zu gehen. Aus einer
Einflüsse empfangen, so sehr auch ihr Vater um ihr
flüchtigen Verbindung mit einer Frau, die die Braut
Vertrauen und ihre Neigung geworben hat. Dieses
eines anderen war, die er verlassen hat, und die
Paar also gehört auch zusammen, und als Johanna
dann das Weib jenes anderen geworden ist, hat er
die Gewißheit hat, daß Stephans Herzleiden ihn binnen
einen Sohn, der vor aller Welt als der Sohn
kurzem überwältigen wird, scheidet sie freiwillig aus
jenes anderen gilt und von dessen Existenz auch
dem Leben, das sie nicht allein zu tragen willens ist.
er erst nach vielen Jahren erfahren hat. Der Jüngling
Stephan selbst hätte sich nicht vor dem einsamen Wege
hängt an ihm, und so kann er denn hoffen, wenn
des Alters gescheut, dennoch aber kommt er der Natur
er ihm das Geheimnis seiner Geburt enthüllt hat,
zuvor und scheidet freiwillig aus dem Leben. Außer diesen
ihn ganz für sich zu gewinnen. Aber das gerade
Personen hat Schnitzler noch zwei weitere eingefügt, die
Gegenteil ereignet sich, als Fichtner gesprochen hat: sein
wiederum Variationen der beiden Typen darstellen: den
Sohn wendet sich von ihm ab und nun erst mit ganzem
Doktor Reumann, der um Johanna wirbt, aber mit seiner,
Herzen dem Manne zu, in dem er bisher seinen Vater
derjenigen Salas diametral entgegengesetzten Lebensauf¬
gesehen hatte und dessen große, schlichte Herzensgüte er
fassung sie nicht gewinnen kann, und die frühere Schau¬
jetzt erst voll zu begreifen beginnt.
spielerin Irene Herms, ein naives Geschöpf mit gutem
Dieser Stoff hätte sich wohl, auch ohne die Neben¬
Herzen, die ihr Leben genossen hat, ohne aber je den
handlungen, die Schnitzler*) mit ihm verknüpft, zu
Zusammenhang mit den Menschen zu verlieren. Auch
war einst Fichtners Geliebte, aber das Kind, das
sie
*) Die Buchausgabe des Dramas erschien bei S. Fischer,
diesem Bunde hätte entsprießen sollen, ist nicht zum
Berlin.