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18. Der einsane Neg
zu spüren war. Die große Menge des Publikums war jedenfalls
nicht wenig verblüfft darüber, Schnitzler, den Dichter heiterer und
ungebundener Lebensfreude, der bislang seine Stoffe mit Vorliebe
in den Kreisen der Genußmenschen gesucht hat, hier die düstern
und geheimnisvollen Pfade Ibsens wandeln zu sehen. Das
Schauspiel will anscheinend die Verwerflichkeit des Egoismus zeigen,
der nach angerichtetem Unheil seiner Wege geht, ungeachtet des
Unglücks, der Verzweiflung und der vernichteten Lebensfreude, die
er hinter sich zurückläßt. Aber auch die Strafe fehlt nicht,
der altgewordene Egoist bleibt, nachdem Reue und Ver¬
zweiflung bei ihm eingekehrt einsam in der Welt,
mit dem nagenden Wurm seines Schuldbewußtseins im Herzen,
nachdem sein Versuch, wenigstens etwas von seiner Schuld zu
sühnen, erfolglos geblieben ist. Das ist das Schicksal des Künstlers
Julian Fichtner, der, nachdem er die Braut seines Jugendfreundes
Wegrath verführt, seiner Wege gegangen ist, um „pflichtlos und
unbeladen“ sein ungebundenes Künstlerleben weiterführen zu können.
Wegrath, der es bis zum Akademiedirektor gebracht, ist Vater zweier
Kinder, Felix und Johanna. Felix ist, und darum dreht sich in der
Hauptsache die Entwicklung des Schauspiels, eigentlich der Sohn
Dr. Max Goldschmidt
Fichtners, dieses krassen Egoisten, der Frau Gabriele Wegrath durch
seine Flucht gezwungen hat, ihr ganzes Leben lang eine furchtbare
„ „ „ Bureau für ...
Lüge herumzuschleppen. Zum Glück stirbt die arme Gabriele bereits
kurz nach dem ersten Akt, sie braucht's nicht länger mehr zu
Zeitungsausschnitte
tragen. Nur zwei Personen sind zunächst in ihr Geheimnis ein¬
geweiht, der Hausarzt Dr. Reumann, ein sehr sympathischer Herr,
verbunden mit direktem Nachrichtendienst durch
der aber so gut wie nichts zu sagen und zu tun hat in den ganzen
eisene Korrespondenten.
fünf Akten, und ein gewissei Herr v. Sala, ein reiche Privatmann
Telephon: III, 3051.
in „mittleren Jahren“, der den besten Teil seines Lebens sich weg¬
Berli N. 24.
amüsiert hat, durch und durch Cyniker, aber mit einem Stich ins

Wissenschaftliche. Wenigstens will dieser sonderbare Mensch, der
auch mit Fichtner innig vertraut ist, noch an einer Expedition nach
Ausschnitt aus
Baltrien teilnehmen, um dort Ausgrabungen vorzunehmen. Nötig
hat er es wahrlich licht, denn er hat bei Wien eine wunderhübsche
Villa mit allem behaglichen Komfort, und lange zu leben hat er
auch nicht mehr. zn diesen Sala verliebt sich Johanna, die bald
Treisinnige Zeitung, Beran
mystisch=tiefsinnig orakelnde, bald exaltiert schwärmende Schwester
des Leutnants Felix mit den beiden Vätern; sie ertränkt sich
schließlich im Teich des Salaschen Gartens, warum, ja, das
bleibt leider so ziemlich dunkel. Felix aber, der die Expedition
46. 2.04
nach Baktrien begleiten sollte, wird durch dieses Familienunglück
gerade zu Wegrath so recht von Herzen hingezogen. Sein wirklicher
Vater, der egoistische Fichtner, dem er schon vorher trotz aller nach¬
Fträglich erwachten väterlichen Zärtlichkeit Fichtners den Laufpaß
gegeben hat, schleicht beschämt von dannen, er bleibt einsam auf
seinem Wege. Möglich, daß er sich noch einmal tröstet mit der
schon recht angejahrten, aber immer noch munteren und lebens¬
Im Deutschen Theater fand am Sonnabend Arthun
lustigen Schauspielerin Irme Herms, die wie ein Meteor in dem
[Schnitzlers fünfaktiges Schauspiel „Der einsame Weg“
Schauspiel erscheint, eine Zeit lang das Publikum recht
bei seiner=Premiere eine sehr geteilte Aufnahme. In den Beifall
hübsch unterhält in pikantem Zwiegespräch mit ihrem
mischte sich mitunter kräftiges Zischen und sehr oft war überhaupt
früheren Verehrer Fichtner und dann wieder verschwindet. —
gänzliche Teilnahmlosigkeit des Publikums zu konstatieren, ja auch
Schnitzler hat in seinem neuen Schauspiel wiederum Tüchtiges an
ein Ausdruck von Langeweile kam zum Vorschein, wenn der Dialog
auf der Bühne sich endlos hinzog, ohne daß von Handlung etwas Charakterschilderung geleistet, ebenso erweist er sich wieder als der