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17.4. Marionetten zyklus
26 11. 1910
en#sches Abendblatt, Prag
(Die gefährdeten „Marionetten.“ Gestern
Abend waren im Neuen deutschen Theater Arthur
nitzlersentzückende 3 Ein akter „Marionetten“ zur
Fersten Wiederholung angesetzt. Das Haus war
glänzend besetzt und das Publikum folgte mit großem
Interesse den zwei ersten Einaktern und spendete
den Darstellern, allen voran Herrn Dr. Manning,
reichen Beifall. Doch jetzt sollte der 3. Einakter
„Zum großen Wurstel“ beginnen, und der Zwischen¬
akt zog sich in unerhörter, ja unerträglicher Weise
in die Länge. UnserGewährsmann begab sich auf die
Bühne, um nach dem Grunde der Verzögerung zu
fragen und erfuhr, daß der Darsteller des „Tod“
vorläufig nicht ins Theat er in seine Garde¬
robe gekommen war, und man doch nicht an¬
fangen konnte, bevor alle beschäftigten Schauspieler
beisammen waren. Wieder verrann eine kleine
Weile! Noch nie ist wohl der „Tod“ mit größerer
Ungeduld erwartet worden wie gestern Abend im
Neuen Theater. Endlich entschloß sich der Regisseur
der Vorstellung zu einer helfenden Tat. Herr
Mandée, der in demselben Stücke in einer kleinen
Rolle beschäftigt war, wurde gebeten, die Worte für
den „abwesenden Tod“
zu übernehmen,
und das Röllchen des Herrn Mandée wurde ge¬
strichen! Und nun konnte man mit dem „Wurstel“
beginnen. Das Stückchen wu##de auch bis zum Auf¬
tritt des „Todes“ glatt heruntergespielt das Publi¬
kum unterhielt sich sehr —— Mandée als Tod trat
auf die Bühne, sprach eine kleine Rolle und wollte
in die Kulisse „abgehen“ — da tritt er jemandem,
der auf die Bühne stürzen will, auf den Fuß! — Es
war der Darsteller, der eben — eine halbe Stunde zu
spät — im Theater und auf der Bühne angekommen
war und nun seinen„Tod“ absolut sprechen wollte.
Als man ihm begreiflich machte, daß sein Kollege
Herr Mandée für ihn gespielt, wollte er dies
absolut nicht gelten lassen! Schwer war es, ihm
begreiflich zu machen, daß man — um die
Vorstellung nicht zu stören — gezwungen war,
den Remplacanten zu stellen. Nun wurde der
Künstler bestürmt, zu erklären, warum er nicht zur
rechten Zeit erschienen sei. „Aber mein Gott“, sagte
der Missetäter, ich war ja schon vor drei Viertel¬
stunden im Neuen Theater, aber da bemerkte ich,
daß mir an einer nicht näher zu bezeichnenden
Stelle meine Hose geplatzt ist. Ich ging also rasch
noch einmal nach Hause — ich wohne hinter'm Ka¬
nal'schen Garten — und habe mir, da ich Junggeselle
bin, selbst meine Hose geflickt, natürlich hat das
lange gedauert — aber die Hose ist jetzt ganz. Die
Juristen der Direktion beraten jetzt, ob man auf
dieses „Verbrechen gegen den „Tod" „Todesstrafe“
setzen soll.
box 22/10
Pensdania,
# Mikurid, Mailand, Minneapolis,
alls, Kom, San Francisco, Stockholm, St. Petess¬
burg, Toronto.
(Quelienangabe ohse deu###
Ausschnftt aus Montagsblatt aus Böhmen, Prag
28. NOU. 1910
vom:
Theater.
Schauspiel.
Schnitzlecs „Marionetten“, die drei Ein¬
nPpieler“, „Der tapfere Cassian“ und
aben
„Zum großen Wurstel“ erlebten Donnerstag, etwas post
festum, im Neuen deutschen Theater ihre Erstaufführung.
Die drei Werke sind von ungleichem Wert; im Puppen¬
spieler wird ein Schnitzlerscher Lieblingsgedanke abgehan¬
delt, das plötzliche Lebendigwerden einer geheimnisvollen
Wahrheit, die ein Mann der Vergangenheit vor zwei
Menschen aufflackern läßt. Und wie so oft bei Schnitzler
siegt auch diesmal die Gegenwart, behält [Recht gegenüber
dem meuchlerischen Handstreich aus dem Reich der Schat¬
ten ... Der „tapfere Cassian“ ist bewegter, farbiger als
das graue Problemstückchen, aber auch flacher. Seine
Philosophie hält sich ungefähr an die Weisheit des Hazar¬
deurs, der im Morgengrauen seine letzten Heller zählt.
„Das Leben ist .. .“ — wobei man einen beliebigen
Vergleich anwenden kann (eine Hühnerleiter; ein Kinder¬
hemd; eine Zigarre, die man verkehrt ins Maul steckt;
ein Zylinderhut usw. usw.) Das Beste ist wohl der „große
Wurstel“. Hier ists Schnitzler gelungen, die Skepsis des
Dichters und Menschen in einem anmutigen Bild voll
Humor und Witz widerstrahlen zu lassen. Die Aufführung
der drei Werke, die der Dramaturg Dr. Eger inszenierte,
war sorgfältig und geschmackvoll. Den Puppenspieler gab
Dr. Manning mit Verständnis, den Oboespieler
Herr Max Schütz als einen braven Mann, der
sich im Hafen bürgerlichen Wohlbefindens glü¬
fühlt. Vortrefflich wat Herr Viller als
—Nr. 48

Cassian, gut auch Frl. Medelsky als kleines Luderchen.
Im „Wurstel“ gab Herr Hofer als Schmierendirektor
das Schmierige des „Direktors“ sehr wikungsvoll; Herr
Rittig den starken Mann der Tragödie mit viel Witz;
Frl. Steinheil die „Dame“ des modernen Dramas
anschaulich und lustig. Auch die übrigen Darsteller boten
ihr Bestes. Immerhin ein genußreicher Abend.“