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17.3. Zun Krossen Würstel
Telephon 12801.
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„ODSEHVER
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Aussohnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewühr.)
Ausschnitt aus:
19. 3. 1906
nifurter Zoitung
vom:
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#e Lehle Prattisch anzuwenden, und dann
ging er hin und schuf die Zensur.“
[Wiener Theater.] Man schreibt uns aus Wien:
Eine Schüssel voll Delikatessen servierte das Lustspiel¬
Thräter an seinem dieswöchentlichen literarischen Abend:
Lucians „Fahrt über den Styx“ in Paul Lin¬
daus Bearbeitung, die „Landstörzerin Courage“
des Grimmelshausen in einer Dramatisierung von
Erich Korn und endlich Arthur Schnitzlers Burleske
„Zum Froßen Wurstl“. Eine „Satire“, ein „Bild“,
eine „Burleske“; die Bezeichnungen sagen schon, daß keines
der Stücke als im Wesen dramatisch angesehen sein will.
Aber die Befriedigung des Zuschauers und Hörers war doch
eine starke, denn es gab zu schauen und zu horchen genug.
Lucian steht vielleicht von allen antiken Geistern uns am
nächsten, nicht nur in seiner Auffassung der Olympischen,
mehr noch in seinem Urteil über Menschliches, Allzumensch¬
liches. Der Philosoph und der Schuster, die vor dem Ty¬
rannen voraushaben, leicht sterben zu können, der Tyrann,
der selbst die Unsterblichen noch zu korrumpieren versucht, sie
sind Figuren von heute; ganz erschreckend modern aber ist
der unerbittliche Haß gegen den Despotismus, der in uner¬
sättlicher Machtgier ein. ganzes Volk unter seine Sohle
stampft. Der Spötter Lucian? Ja, aber ein Spötter mit
tragischen Akzenten, ein Pathetiker des Spottes, ein Ver¬
zweifelnder, der sich in die Ironie rettet. Die Fahrt über
den Styx ist ein anarchistisches Bekenntnis. Nur einen
Trost hat der Ohnmächtige: auch der Mächtige muß sterben,
und ihm tut der Tod doppelt weh. Merkwürdig, welche Stim¬
mung von den Bildern aus der Unterwelt ausgeht. Man
sollte das Stück überall spielen, wo schwelgerischer Reichtum
und hoffnungslose Armut nebeneinander wohnen. Es spricht
für Erich Korns Mamsell Kourasche, daß sie sich nach diesen
Stimmen aus der Antike noch behaupten konnte. Freilich,
die Farben zu dem Bilde aus dem dreißigjährigen Krieg hat
nicht der moderne Bearbeiter gemischt, sondern Grimmels¬
hausen selbst, dessen „Landstörzerin“ mit dem Simplicius
wetteifert an Lebensfülle. Aber Korn hat im Guten wie im
Schlimmen auch Eigenes dazu getan und, was ihm am mei¬
sten angerechnet werden soll, in der Dramatisierung den Ton
der Zeit getroffen. Eine dichterische Leistung, an der auch
der Philologe sein Teil hat. Nur die tragische Zuspitzung
des im Roman mit einer Prügelszene endenden Kapitels und
den pathetischen Aufputz der kecken Dirne hätten wir ihm gern
geschenkt. Ganz mod## Wien von beute, ist Schnihlers
B H
„Wurstl“. Eine Praterszene voll Witz und eine Selbst¬
persiflage voll Wehmut. Seine eigenen Gestalten läßt der
Dichter auf der Marionettenbühne auftreten, und sein Publi¬
kum und seine Kritiker dazu. Dann kommt der schwarze
Ritter und mäht sie alle nieder und schwingt sein Schwert
von der Bühne herunter selbst gegen das Parterre. Die
besten Gaben des Dichters sind in dem kurzen Spiel zu¬
sammengedrängt. Ein Scherzspiel auf dem düsteren Grunde
des Salomonischen „Alles ist eitel!“ Man kann der Regie
kein höheres Lob zollen, als daß man von ihr sagt, sie sei
den schwierigen Aufgaben des Abends gerecht geworden. Vom
Publikum läßt sich nicht das Gleiche sagen.
(Das bemalte Dorf.] In der illustrierten Halbmonats##
schrift „Die Schweiz“ (Verlag der „Schweiz“ in Zürich)s
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Telephon 12801.
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„ODSERVER
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt ausNational Zeitung, Berlin
20. 3. 1906
vom:
Vorgestern
bracht das Lustspieltheater einen literaxischen Einatter¬
abend, der einen starken künstlerischen Erfolg bedeutete. Zuerst
kam Lucian zu Wort, dessen Satire „Die Fahrt über den
Styx“ Paul Lindau für die deutsche Bühne bearbeitet und
auch im Humor ein wenig verdeutscht hat. Das Publikum folgte
dem geistvollen Stückchen, das durch die S hatten der Unterwelt die
Lichter eines freien Humors huschen läßt und mit der scharfen
klaren Kraft der Satire die Schlagschatten der handelnden Figuren
scharf umreißt, mit geteiltem Verständnis, woran die Darstellung,
die den Ton der leisen Ironie nicht völlig traf, vielleicht nicht un¬
schuldig ist. Das zweite Stück „Mamzell Courage, ein
Bild aus dem dreißigjährigen Kriege von Erich Korn, dem Autor
der „Colombine, ist ein kecker Wurf. Eine mutige Soldaten¬
dirne, im ganzen Lager als „Mamzell Courage“ gekannt und „ge¬
liebt“, heiratet einen jungen Fechtmeister, der in der Brautnacht,
des Mutes und der Vergangenheit seiner Frau wegen von den
anderen gehänselt, die Wette eingeht, er werde sie noch in dieser
Nacht mit der Peitsche schlagen. Blind von Eifersucht und betäubt
die Wette gilt fünfzig
von der Hoffnung auf das viele Gold
Dukaten — erhebt er nach einer künstlich gesteigerten Szene die
Peitsche, wird aber von Mamzell Courage mit seinem eigenen Degen
niedergest gen. Der Bräutigam in der Hochzeitsnacht! Der Dich¬
ter hat mit seiner Kunst heitere und tragische Elemente zusammen¬
gefügt, und es mit dramatischer Verve, die unverkennbar ist, ver¬
standen, die sehr gewagte Sache, immer hart an der Schneide, zu
starker dramatischer Wirkung zu bringen. Das Publikum spendete
dem Autor stürmischen Beifall. Den Schluß bildete Arthur
SchnitzlenTeinaktige Burleske „Zum großen Wurstl“,
ein entzückend seines Spiel mit Marionetten auf einer Prater¬
bühne. Ein lustiges Durcheinander von Ironie, Witz, Scherz und
tieferen Betrachtungen, von eines Dichters Hand mit reifer Kunst
gestaltet, und bei aller Wurstllaune doch durch den Grundgedanken
des Dichters, der auch in der Gestalt eines „Unbekannten im
blauen Mantel“ von der Bühne herabspricht, mit tieferem Inhalt
erfüllt: Ihr alle seid Marionetten, die an tausend Fäden hangen.
Ein Schwertstreich, der sie durchschneidet, und auch ihr fallt zu¬
sammen als tote Puppen! Das geistvolle Gedankenspiel, ein ernst
zu nehmendes Kind einer tollen Dichterlaune, wurde stürmischbe¬
jubelt. Die Darstellung und Inszenierung der beiden letzten Stücke
war vortrefflich.